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Im 20. Jahrhundert, vor allem seit dem Beginn der Abstraktion emanzipierte sich die Zeichnung in einer bis dahin nicht bekannten Weise. Sie befreite sich aus ihrer dienenden Funktion gegenüber anderen Gattungen und entwickelte sich äußerst vielseitig zu einem eigenständigen Ausdrucksmittel. Als Wandzeichnung expandierte sie in den Raum, und Linearität als künstlerisches Prinzip gewann sowohl für die Plastik als auch für die Malerei eine immense Bedeutung. Diese Entwicklung hat zu einem vor allem seit den 80er Jahren weiter gesteigerten künstlerischen Interesse für dieses Medium geführt. Sein Facettenreichtum frappiert, und dennoch ist es eher eine Ausnahme, dass sich ein Künstler fast ausschließlich der Zeichnung widmet, wie der 1949 in Bitterfeld geborene, heute in Berlin lebenden Hanns Schimansky, dem die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe vom 5. April bis zum 29. Juni 2003 die Ausstellung "quellenfeld" widmet. Seine Zeichnungen sind in ihrer wachsenden Abstraktion sowohl Teil des Projektes der Moderne, die sich wesentlich der Befragung der bildkünstlerischen Mittel annahm, als auch höchst eigenwillige Erkundungen über Wahrnehmung und Welt. Beharrlich hat Hanns Schimansky in den letzten zwei Jahrzehnten ein erstaunlich breites und vielfältiges Werk geschaffen, durch das die Ausstellung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe einen aufschlussreichen Querschnitt legt, der den Erfindungsreichtum, die Experimentierfreude und die Konsequenz des Künstlers gleichermaßen dokumentiert. In neun Abschnitten führt die Ausstellung "quellenfeld" an das Werk Hanns Schimanskys heran. Als Auftakt der Präsentation empfangen den Besucher großformatige Werke des Zeichners - das größte Blatt misst 2,22 auf 1,60 Meter. Auf diesen großen Formaten arbeitet Hanns Schimansky mit Graphit und Tusche systematisch, mitunter fast seriell. Eindringlich untersucht er seine eigenen Setzungen in Variation und Durchführung eines Themas, bedient er sich durchaus musikalisch, fast "melodiös" in Linienschriften und Horizontalschichtungen der Prinzipien von Rhythmisierung und Poetisierung eines Formmotivs. Das sich anschließende erste Kabinett umfasst ausschließlich Bleistiftzeichnungen: Einerseits begegnet der Betrachter hier dem Künstler als "Botaniker". In einem wunderbaren Zyklus auf chamoisfarbenem Büttenpapier knüpft Schimansky an seine frühen Jahre an, in denen er an der Universität Rostock während seines Agraringenieur-Studiums Pflanzen mikroskopierte. Nicht nur davon, sondern auch durch Bilder des Berliner Fotografen Karl Blossfeldt ließ er sich für seine Arbeiten anregen. Schimanskys Variationen über Natur sind Fiktion, einerseits Ausdruck des Variantenreichtums natürlicher Prozesse und Phänomene, andererseits aber vor allem des Einfallsreichtums des Künstlers. Während diese Arbeiten auch daran erinnern, dass die Linie bei Hanns Schimansky bis in die 80er Jahre hinein noch gegenstandsbeschreibende Funktion hatte, zeigen die miniaturhaft kleinen Bleistiftzeichnungen, die sich ihnen zugesellen, eine völlig abstrakte Formensprache. Schimansky bezeichnet sich selbst als "Lesestoff". Der wirbelnde Formkosmos dieser Notate geht allerdings nicht auf Zeichen zurück, sondern wird - und ist nur insofern einem "Text" verwandt - von einer eigenen Grammatik getragen. Wie verschieden die Linie innerhalb der Zeichnung bei Verwendung unterschiedlicher zeichnerischer Materialien funktionieren kann, zeigen die Werke in den folgenden Kojen: In den tiefschwarzen Ölkreiden-Blättern nimmt der Strich eine annähernd körperlich anmutende Plastizität an. In manchmal rotierenden Bewegungen schließt er sich sogar zu flächigen Partien zusammen, die dennoch ein differenziertes Hell-Dunkel charakterisiert. Schimanskys Tuschzeichnungen führen im Kontrast dazu den filigranen und fragil wirkenden, strengeren und brüchigen Federstrich vor. Weniger organisch, eher tektonisch, geradlinig und seismographisch muten die Arbeiten dieser Werkgruppe an. Seit einem Stipendien-Aufenthalt 1996/97 in Paris hat sich Schimanskys Bezug zur Farbe verstärkt. Das deutet sich nicht nur in einer buchstäblich "bunten" Reihe von Werken auf farbigen Karteikarten an, die er mit Tusch-Feder, aber auch mit satt-farbigen Ölkreiden bearbeitete, sondern vor allem auch in seinen beidseitig bemalten und mit schwarzer Tusche bezeichneten Faltungen, in denen sich in einem interessanten Verfahren Systematik und Zufall begegnen. Paraphrasen des Urbanen, Anklänge an Natürliches, psychomotorische Automatismen, serielle Reihungen, die Arbeit mit dem Zufallsprinzip - all dies vereint Hanns Schimanskys Werk. Seine besondere künstlerische Qualität liegt sowohl im hochsensiblen Umgang mit seinen Materialien und den Eigenheiten der jeweiligen Techniken als auch in der Suggestion von psychischen Befindlichkeiten und ganz freien poetischen Kontexten. Zeichnung wird zum Träger ästhetischer und existentieller Bedeutung, klärt durch Komprimierung Verhältnisse und Beziehungen. Seit 1997 ist Hanns Schimansky Mitglied der Akademie der Künste Berlin, seit 1998 Professor an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe knüpft mit der Präsentation von knapp 170 Arbeiten des Künstlers an eine Reihe von Ausstellungen in den vergangenen Jahren an, in denen wiederholt zeichnerische Positionen der Gegenwartskunst vorgestellt wurden, wie zum Beispiel mit den Ausstellungen von Paco Knöller, Jürgen Partenheimer oder Helmut Federle. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Hatje Cantz Verlag mit Texten von Klaus Schrenk, Kirsten Voigt und Robert Kudielka. Pressetext

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Hanns Schimansky - quellenfeld
Zeichnungen, Faltungen