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Das Museum Haus Konstruktiv widmet der österreichischen Künstlerin Helga Philipp (1939–2002) die erste institutionelle Einzelausstellung in der Schweiz. Mit ihrem Werk, das im Umfeld der kinetischen Kunst und der Op-Art anzusiedeln ist, leistete Philipp einen wesentlichen Beitrag zu den konstruktiv-konkreten Tendenzen in Österreich. Die Ausstellung zeigt eine repräsentative Werkauswahl, die Philipps gesamte Schaf-fenszeit von den frühen 1960er- bis in die frühen 2000er-Jahre umfasst: von Zeichnungen, Druckgrafiken und Malereien über dreidimensionale Werke bis hin zu Objekten aus dem Bereich der angewandten Kunst.

Die konkrete Kunst hatte es im Österreich der Nachkriegszeit nicht leicht: Beharrlich wurden ihre rationalen Grundanliegen von den bestimmenden Kunstströmungen kon-terkariert, ob von den mystisch-apokalyptischen Bildthemen der Wiener Schule des Phantastischen Realismus in den ersten Jahrzehnten nach 1945, den mit gesellschaft-lichen Tabus brechenden Auftritten der Wiener Aktionisten in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren oder dem expressiven Duktus in der Malerei und Plastik der Jungen Wilden in den 1980er-Jahren. Unbeirrt davon wirkte Helga Philipp seit Mitte der 1960er-Jahre massgeblich daran mit, die konstruktiv-konkrete Kunst in Österreich zu etablieren. 1961 mit der Op-Art-Avantgarde in Kontakt gekommen, war Philipp fortan in die kleine, insbesondere in Wien aktive Szene involviert. Diese beschäftigte sich im Zeichen der Objektivierung künstlerischer Arbeit auf unterschiedliche Weise mit der Erforschung eines geometri-schen Formenvokabulars und dessen Zusammenspiel mit Farbe, Fläche und Volumen. National in der kurzlebigen, von Philipp mitbegründeten Gruppe A_ustria (1968/1969) oder in der losen künstlerischen Gruppierung Exakte Tendenzen (ab 1975) organisiert, vollzog sich die Etablierung österreichischer Vertreterinnen und Vertreter des Kon-struktiv-Konkreten im internationalen Kontext vor allem im Rahmen der Künstlerbewe-gung Neue Tendenzen, die zwischen 1961 und 1973 wegweisende Ausstellungen orga-nisierte.

geometrischen Formen spielt die Interkation zwischen Bild und Betrachter; ein Aspekt, auf den die Künstlerin auch in einem in den 1960er-Jahren verfassten Manifest hinweist, wenn sie schreibt, dass nur die Existenz des Betrachters die Existenz des Bildes garantiere und umgekehrt. Als weitere damit in Zusammenhang stehende Begriffe führt sie Bewegung, Raum, Licht und Veränderung an. Besonders deutlich wird dies angesichts ihrer Kineti-schen Objekte aus den 1960er- und frühen 1970er-Jahren, in denen Philipp mit be-druckten Plexiglasscheiben Prinzipien wie Reihung und Permutation sowie wahrnehmungspsychologische Überlegungen künstlerisch umsetzt. Indem sie Quadrat- und Kreisraster in unterschiedlichen Variationen verzerrt, dreht oder nach einem festgeleg-ten Schema hervorhebt, werden diese – hervorgerufen durch den optischen Effekt der Interferenz – im Auge des Betrachters in Bewegung versetzt. Aber nicht nur das: Die Montage mehrerer bedruckter Scheiben übereinander bewirkt eine Vervielfachung der Strukturen und eine faszinierende tiefenräumliche Wirkung, die dazu animiert, vor den Objekten hin und her zu gehen, um sie aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.

Auch in Philipps mitunter grossformatigen, mehrteiligen Malereien aus den 1980er- und 1990er-Jahren steht die Beziehung zwischen Bild und Betrachter, Raum und Licht im Zentrum. Am eindrücklichsten dürfte ihr die Inszenierung dieses Zusammenspiels mit der 56-teiligen Arbeit Domino gelungen sein, die in ihrem Aufbau dem gleichnamigen Spiel folgt. Anstatt mit dem Punktesystem arbeitet die Künstlerin hier mit parallel oder diagonal zum Bildrand angelegten Linien, deren Grauwerte sie entsprechend dem Punktewert variiert. Durch den pastosen Farbauftrag, die Verwendung von Grafitstaub für die Schwarztöne und Aluminiumstaub für die silbergrauen Farbflächen, aber auch durch das einfallende Licht und die exzentrische Hängung wird die Bildoberfläche (op-tisch) und der Betrachter (physisch) in Bewegung versetzt.

Philipps gelegentliche Rückkehr zur künstlerischen Handschrift, zum erkennbaren Duk-tus, zeigt sich an ihrem malerischen Werk besonders deutlich, ist jedoch auch an eini-gen ihrer druckgrafischen und zeichnerischen Arbeiten abzulesen, so zum Beispiel in einer siebenteiligen Serie von 1978, in der die Künstlerin horizontale, von links nach rechts aufsteigende Linien direkt mit dem Grafitstift auf Büttenpapier zeichnete. Die feinen grauen Linien erhalten durch die gut sichtbare Strichführung ein gestisches Element, das wiederum einen gewissen Flimmereffekt auslöst. Andere Arbeiten auf Papier bleiben, ähnlich wie die Kinetischen Objekte, vollends befreit von sichtbaren Spuren der Werkentstehung, beispielsweise eine ebenfalls siebenteilige Serie (1975–1976) mit vertikal gesetzten Linienprägungen, in der sich die Linien sukzessive vonei-nander entfernen, bis sie auf dem letzten Blatt die gesamte Bildfläche in regelmässigen Abständen ausfüllen.

Neben Philipps kinetischen Objekten, Malereien, Zeichnungen und Druckgrafiken wird im Museum Haus Konstruktiv auch ein Exponat aus dem Bereich der angewandten Kunst gezeigt. Es handelt sich um eine Sitzgruppe von 1970, die sich aus zwei Elemen-ten zusammensetzt: dem Kreis und dem Zwischenraum der sich ergibt, wenn vier gleich grosse Kreise in einem Quadrat gruppiert werden. Für die Ausstellung wurde eine Neu-auflage dieses Designobjekts gefertigt, die dem Publikum zum Gebrauch zur Verfügung steht. In Anlehnung an ihre erstmalige Präsentation während der Ausstellung Leben mit Kunst in einem Möbelhaus in Graz (1970) wird die Sitzgruppe zusammen mit dem hochformatigen kinetischen Objekt mit Kreisraster inszeniert. Darüber hinaus zeigen historische Schwarz-Weiss-Fotografien drei Möglichkeiten, als Betrachter mit Objekt und Raum zu interagieren. Wie so viele Arbeiten Philipps bringt auch diese zum Aus-druck, dass eine systematisch konzipierte Kunst nicht zwingend spröde oder kühl, son-dern durchaus spielerisch und spektakulär sein kann. Es ist dieser vermeintliche Wi-derspruch, der auch im Titel der Ausstellung anklingt.

Kuratiert von Sabine Schaschl