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Als die Zürcher Konkreten im Jahr 1961 auf Initiative von Karl Gerstner aus Bildvorlagen Plakate gestalteten und diese zwischen Werbeplakaten streuen liessen, war dies zum damaligen Zeitpunkt ein ebenso gewagtes wie auch innovatives Unternehmen. Die in aller Stille geplante Aktion wurde mit Hilfe verschiedener Sponsoren realisiert. Gehängt wurden die Plakate ohne jede Textbotschaft auf den offiziellen Plakatflächen der Stadt Zürich. Kaum vorstellbar heute, in einer Zeit, da Graffitis und andere bildlichen und schriftlichen Botschaften in der ganzen Stadt spriessen, welche Irritation die Plakate von Max Bill, Karl Gerstner, Camille Graeser, Verena Loewensberg, Richard P. Lohse und Marcel Wyss auslösten. Die von der damaligen Fotoklasse der Kunstgewerbeschule Zürich aufgenommenen Situationsfotos zeugen von der allgemeinen Verwirrung, die sich auch in unverhohlener Zerstörungswut kundtat. Offensichtlich ist, dass gerade der offizielle Aushang der Plakate auf jenen Flächen, die sonst der kommerziellen Message vorbehalten bleiben, für Unbehagen sorgte.

Die PassantInnen, gewohnt, sich nur als KonsumentInnen angesprochen zu fühlen, wussten ihrer Verwirrung teilweise nur durch ein Herunterreissen der Plakate Ausdruck zu verleihen. Unausgesprochene Vereinbarungen zur Aufteilung und Besetzung öffentlicher Räume waren mit der Plakataktion Gerstners durchbrochen worden. In den Typografischen Monatsblättern schrieb dieser im gleichen Jahr über die Aktion und die dahinterstehende Intention:

" Wir nahmen für einmal den Slogan wörtlich: die Plakatwand ist die Galerie der Strasse. (...). Jedes (Bild) eine sichtbar gemachte Idee mittels Farben und Formen; buchstäblich ein Zeichen der Zeit. Jedes eine unverbindliche Einladung, sich mit ihm zu beschäftigen, das Verbindliche an ihm zu entdecken. Das war der Zweck unserer zweckfreien Aktion: den Passanten nicht etwa vorzubereiten auf eine Ausstellung, sondern ihn unmittelbar mit einem Kunstwerk aus unserer Zeit zu konfrontieren, ihm die Frage zu entlocken: was ist das? - Vielleicht hätte der eine oder andere damit den Anfang gemacht, für sich ein Stück unbekannte Welt zu entdecken." Kurt Thaler, 1981

Aesthetisch-ethische Bildung als vorrangiges Ziel war späteren Akteuren künstlerischer Plakat-Interventionen fremd. Verwandtschaft hingegen besteht zwischen jüngeren Plakatauftritten und der Bildplakat-Aktion der Zürcher Konkreten insofern, als es hier wie dort um den Versuch einer Durchdringung von Kunst und Leben geht, um einen Ausbruch aus den Bahnen des konventionellen Kunstbetriebs und seinen etablierten, nur scheinbar der breiten Öffentlichkeit zugänglichen Kunsträumen.

Unweigerlich verbunden ist damit jedoch die Störung unserer Wahrnehmungskonventionen, die auf einem nicht weiter hinterfragten Konsens beruhen. Ein Innehalten im Alltagstrott, eine Sensibilisierung der Sinne, gar die Einleitung eines Reflexionsprozesses sind Intentionen, die mit dem Aushang künstlerischer Plakate ohne Werbebotschaft im kommerziellen Umfeld verfolgt werden. Im Vergleich mit der Aktion der Zürcher Konkreten sind die Plakatbotschaften des Franzosen Ben Vautier, die er in seinem Land streute, sehr viel ironischer und frecher, weniger ideologisch geprägt. In ihnen drückte sich ein anderer Geist aus, der für einige KünstlerInnen um 1968, auch unter dem Einfluss der politischen und sozialen Aufbruchstimmung in Europa, bestimmend wurde. Neodada und Fluxus, wichtige Kunstströmungen der damaligen Zeit, beeinflussten viele Kunstaktionen im öffentlichen Raum, ging es doch nach wie vor um die zentrale Frage, die auch Gerstner gestellt hatte: Wo ist der Platz der Kunst? Das Plakat als ein der breiten Öffentlichkeit zugängliches Medium wurde als künstlerische Werkform entdeckt, um die traditionellen Formen des Kunstbetriebs zu unterlaufen. Kurt Thaler ebenso wie Heinz Brand gehören zu den frühen Vertretern des Plakats als künstlerische Werkform in der Schweiz. Seit Ende der 60er Jahre sind beide unerschöpflich in der Ausführung immer neuer visueller Botschaften. Dabei geht es ihnen nie um ein Verkünden konkreter Inhalte, sondern vielmehr um ein Gegen-Zeichen-Setzen, das sich jeder ideologischen Vereinnahmung entzieht. Die Kleberaktionen von Carlo E. Lischetti und Kurt Thaler gehören ebenfalls in das zeitliche Umfeld der Nach-68er Jahre. Auch Daniel Buren, dessen einziges visuelles Instrument bis heute aus senkrechten, parallelgesetzten farbigen und weissen Streifen besteht, trat 1969 erstmals in der Schweiz in Erscheinung. Parallel zu Szeemanns epochemachender Ausstellung When attitude becomes form im Berner Kunstmuseum klebte er seine Streifen "bilderstürmerisch" über kommerzielle Plakate in der Berner Innenstadt. Die Einnahme des städtischen Raumes als Lebens- und Kommunikationsraum mittels des Plakates wurde erneut in den 80er Jahren ein Thema. Peter Schuler streute in Basel seine knappen Textplakate, die Monotonie und Alltagsroutine ins Bewusstsein rückten. In St. Gallen machte sich eine innovative Plakatszene bemerkbar, die sich die Erfindung der Xerografie zunutze machte. Fotokopierte Kleinplakate von KünstlerInnen wirkten als Initialzündung. Die PassantInnen reagierten und traten als aktive StadtbewohnerInnen in Erscheinung, indem sie selbst Plakate streuten. Auch M. Vän?i Stirnemann, ein Pionier der Copy Art in der Schweiz, nutzte die revolutionäre Erfindung der Fotokopie für seine Plakataktionen. Die Manipulation durch die Medien und die kommerzielle Dressur des Menschen bilden das Zentrum künstlerischer Auseinandersetzung mittels des Plakats in den 90er Jahren, wobei oftmals der direkte Dialog mit dem Werbeplakat gesucht wird. Hans Jürg Gilgen attackierte Werbeplakate und setzte Kleinplakate als Gegen-Zeichen ein. Les Levines Billboards der Serie Yourself, die auf Initiative der Galerie Mai 36 auch in Luzern zu sehen waren, forderten ebenfalls explizit dazu auf, sich einer konsumorientierten Medienkultur zu entziehen. Spielerischer schliesslich reagieren Res Ingold und PROTOPLAST auf die Herausforderung durch das Werbeplakat, indem sie die Versprechungen der Werbung und ihre Strategien zwar in ihren Plakaten imitieren, das propagierte Produkt jedoch der reinen Imagination überlassen. Die Verheissungen der Tourismuswerbung werden in den Arbeiten von Raoul Marek und Claudia Di Gallo aufgenommen, um die Sehnsuchtsbilder und Klischeevorstellungen zu entlarven. Bei Jean-Damien Fleury wird das Plakat 1 pain / 2 prix zum Bestandteil eines umfassenden künstlerischen Projekts. Die Bevölkerung wird zum Brotkauf aufgefordert, der Preis des Brotes kann aber laut Plakatbotschaft selbst bestimmt werden, womit ein Nachdenken über komplexe gesellschaftliche Prozesse und das eigene Handeln ausgelöst wird.

Das Gesicht und der menschliche Körper wird in den Plakaten von Mittmannsgruber / Strauss, Daniele Buetti, Katrin Freisager und Daniel Zahner als visueller Anziehungspunkt eingesetzt. Buettis "verletzte" Gesichter bekannter Modells, die in der Art kriminalistischer Suchbilder verzerrten Porträts berühmter Persönlichkeiten auf den Plakaten von Mittmannsgruber / Strauss, Freisagers fragile, intime Darstellung des weiblichen Körpers, die mit der Ambivalenz von Entblössung und Verbergen spielt, schliesslich das provozierende Selbstporträt Zahners mit tränennassen Augen: in allen diesen Arbeiten geht es wesentlich darum, den Abstand zum perfektionierten, konditionierten - und missbrauchten - Menschenbild der Werbung aufzuzeigen. In ihrer projektbezogenen Zusammenarbeit mit Jugendlichen versucht auch Eva Saro, ein Bewusstsein über Mechanismen, Stereotypen und Klischees der Werbung zu aktivieren, indem sie Werbeplakate in Fragmente zerteilt, im Collageprinzip zu neuen visuellen Botschaften zusammensetzt und in den Strassenraum zurückführt. Auf den Plakaten von Lang / Baumann werden Wörter aus jedem Bedeutungskontext gerissen und funktionieren dadurch primär als ästhetisches Material. Die vergebliche Sinnsuche hinter den einzelnen Wörtern lässt auch die angebliche Sinnstiftung der Werbeslogans in Frage stellen. In den jüngsten Plakatarbeiten funktioniert Werbung mithin meist als direkter Gegenpol, auf den inhaltlich und visuell Bezug genommen wird, um die Manipulation durch die Medien zu verdeutlichen, Stereotypen offenzulegen und die kommerzielle Dressur aufzudecken. In früheren Plakaten von KünstlerInnen ging es hingegen stärker um ein Gegen-Zeichen-Setzen, sie waren emblematischer und offener in ihrem Bedeutungsgehalt. Die in dieser Ausstellung präsentierten Plakate von KünstlerInnen mögen somit exemplarisch verdeutlichen, welche Chancen das Medium Plakat bietet, um neben der reinen Werbebotschaft ganz andere Botschaften im öffentlichen Raum zu streuen.

Gezeigt werden Arbeiten folgender KünstlerInnen: Max Bill, Heinz Brand, Claudia Di Gallo, Jean-Damien Fleury, Katrin Freisager, HR Fricker, Pascal Froidevaux, Karl Gerstner, Hans Jürg Gilgen, Camille Graeser, Res Ingold, Lang / Baumann, Les Levine, Carlo E. Lischetti, Verena Loewensberg, Richard P. Lohse, Raoul Marek, Otto Mittmannsgruber und Martin Strauss, Josef Felix Müller, PROTOPLAST, Eva Saro, Peter Schuler, Roman Signer, Kurt Thaler, Ben Vautier, M. Vänçi Stirnemann, Marcel Wyss und Daniel Zahner

Projektleitung: Dr. Bettina Richter

Eine Publikation zu dieser Ausstellung erscheint im Juni 2001 im Lars Müller Verlag / Museum für Gestaltung.

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