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HYPERSTYLE funktioniert wie ein Filter, der den Blick an der Oberfläche (an)hält, und behauptet, dass dies – das heisst die Form, die Machart, die Erscheinungsweise – der Bereich ist, in dem sich ein Netz von Zeichen, von Herstellungstechniken, des formalen Vokabulars, der konzeptuellen Entscheidungen, der kulturellen Referenzen oder der stilistischen Wahl und schließlich die künstlerische Position offenbart. Ein Stil ist zugleich eine formale Handschrift wie auch eine Arbeitsweise. Durch seine Benutzung und sein Zitieren kann er sogar in eine unscharfe, unpräzise Ästhetik übergehen.

Die Künstler der Ausstellung nehmen einen bestimmten Stil an, um damit eine spezifische Wirkung – eine Form, einen Effekt – zu erzielen, um einer bestimmten Herstellungweise oder einer künstlerischen Schaffensmethode zu folgen. Dieser Gebrauch von Stilen, bekannten Motiven, Techniken und Prozessen, ist ein Spiel, das erlaubt, die zitierten, benutzten, kombinierten “Original”-Stile auf unorthodoxe Weise neu zu betrachten. Durch das Beharren auf der Oberfläche der Werke werden diese als Ergebnis von vorangehenden Prozessen dargestellt. Es ist jedoch möglich, zwischen einer Wirkung und ihrer Ursache eine Beziehung zu simulieren, zu inszenieren, oder auf eine falsche Fährte zu führen.

Die Skulpturen von Daniel Dewar und Gregory Giquel erinnern an Kunsthandwerk oder eine neue Art von Ornamentik. Die Künstler imitieren traditionelle Herstellungsverfahren ohne Rücksicht auf die Präzision der jeweiligen Volkskunst, auf die sie sich beziehen. Sie bringen verschiedene Stile mit absolut unpassenden Motiven zusammen. Die ”Barn Doors” (2004) bestehen aus zwei Scheunentüren mit japanisierenden Motiven in der Machart chinesischer Paravents: auf den Türflügeln zwei sich frontal gegenüberstehende Sumo-Riesen auf schwarz lackiertem Grund. Hier wird mit Sicherheit nicht der großen Tradition dekorativer Möbel in “orientalischem” oder vielmehr “orientalisierendem” Stil gefolgt, aber dennoch dem Aspekt der Wertschätzung der Handarbeit mit Sinn fürs Detail und Symmetrie.

Mehr im Bereich des Nützlichen angesiedelt ist das Miniatur-Sägewerk “Wee Kikiki 3600CS” (2004), eine manuelle Säge auf einem Gleisabschnitt, im Titel auf die Seriennummer verweisend. Dieses skulpturale Werkzeug, individuell bedienbar und von raumgreifender Dimension, bewegt sich außerhalb herkömmlicher Kategorien. Ohne reelle Nützlichkeit kann die Skulptur als eine zivilisierte Antwort auf den Ruf des Waldes gelesen werden.

Die Skulptur “Kentucky Chesnut Breakdown” (2004) ist grob aus einem Holzblock herausgehauen bzw. geschnitzt. Inspiriert von Gibson Modellen speziell für Blue Grass Musiker, bringt die Skulptur das Trio Banjo, Mandoline und Violine, in einer brutal anmutenden Szene zusammen. Das musikalische Ensemble wird mit einer Quad-Karosserie kombiniert, aus der eine Yucca-Palme mit spitzen Blättern, typisch für trockene, sandige Regionen, emporwächst. Zeigt sich in dieser “ethnischen” Art brut ein weiterer monströser Effekt der Globalisierung?

In der Art konzeptueller Künstler bedienen sich Jay Chung und Takeki Maeda einer Methode, die von einem Regelwerk ausgeht und sich durch Dokumente manifestiert. Die Arbeiten der Künstler setzen sich aus einem visuellen Dokument und einem begleitenden Text zusammen. Eines ihrer Projekte, ein Selbstversuch, ist ein kleines Schattenspiel, “Untitled” (2004): die Projektion ihrer Hände auf der Straße aus einem Auto heraus. Zuvor, so scheint es, haben sie genau festgeschrieben, wie dieses Phönomen ermöglicht, erzeugt wird. Die Anwendung dieses komplexen Regelwerks scheint unglaubwürdig, aber an diesem Punkt stellt sich das Verhältnis von Videodokument und formulierter Ursache dar. Hier gibt es eine methodische Verbindung zur Konzept-Kunst, im besonderen zu den Arbeiten von Douglas Huebler, dem unorthodoxesten amerikanischen Künstler unter denen, für die die Festschreibung nicht unbedingt der Aktion vorausgeht, sondern diese genauso im nachhinein kommentieren kann.

“Modus Tollens” (2003), ein anderer dokumentierter Selbstversuch, besteht aus zwei Farbfotografien und einem Text. Auf beiden Fotografien posieren die Künstler vor einem Flugzeug auf einem Flughafen. Nur einige Details unterscheiden die beiden Bilder. Der Text, der sie begleitet ist folgender: “Nachdem wir zwei Jahre lang enge Freunde waren und zusammengearbeitet haben, versuchten Q und ich so zu tun, als ob Q auf Grund bindendender Verpflichtungen, aber zu peinlich um sie irgend jemandem zu erklären, nach Japan zurueckkehren muesste. Q erzählte mir einen Monat vor seiner Abreise, dass er für immer weggehen würde. Wir haben uns gesagt, dieser Monat würde unser letzter gemeinsamer sein, und versuchten ihn dementsrpechend zu verbringen. Dieses Foto zeigt uns am Flughafen am Tag von Qs Abreise. Dann, sobald er “für immer weggegangen” war, haben wir wieder begonnen, so zu tun, als ob Q einen Monat nach dem Tag, an dem dieses Foto gemacht wurde, wirklich aus einer peinlichen Verpflichtung heraus nach Japan abreisen wuerde. Ein zweites Photo wurde am Tag seiner zweiten Abreise gemacht.”

Diese Fotografien, letztes Souvenir vor der defninitven Trennung, nehmen in Zusammenhang mit dem Text den Status von Dokumenten oder Beweisen für die Wahrhaftigkeit der beschriebenen Geschichte ein. Die Richtigkeit der Fakten erscheint dabei weit weniger wichtig; das, was hier zählt ist die Kohärenz des Vorhabens und der Glaube an eine konzeptuelle Methode, die darin besteht, die Aktion vor der Festschreibung durchzuführen und nicht umgekehrt. Ist das nicht am Ende eine durchaus legitime Art ein komisches Video und schöne Fotografien vom Flughafen “nach konzeptueller Art” zu produzieren?

Die seltsamen figurativen Skulpturen “A Tribute to Linda McCartney” (2004) von Lili Reynaud Dewar bestehen aus zwei gigantischen, an die Wand gelehnten Schmetterlingsflügeln. Dieses Objekt, das als Miniatur ohne weiteres in einem Setzkasten zu finden sein könnte, ist überdimensional. Die Künstlerin verwendet für dieses “kostbare Monster” verschiedene Texturen in einer braun und gelb Schattierung. Vom Aufbau her werden Holz und gelbes Leder präzise und dekorativ miteinander kombiniert. Ein weiteres dekoratives Objekt, “Florida Interior Object” (2004), lässt in seiner beigefarbenen Komposition die “Seventies” leicht anklingen. Die Form der auf dem Boden platzierten gestreiften Kugel ist klar. Ihr Motiv, ihr Darstellungsgegenstand, braune Streifen, entspricht ihrer Komposition aus zwei alternierenden Holzschichten.

Ein Teppich mit geometrischen Motiven, eine große Pflanze, eine Strahlerleiste, Wände ohne Öffnungen, der Schriftzug “ART GALLERY” in einer spezifischen Typografie über einer Holztür ... Das Zurückkehren zu einem Werk und dem Kontext seines Erscheinens, seiner Veröffentlichung. Alexander Wolff s “Reconstructing the art-gallery and revising its function of display for art” (2004) ist eine detailgenaue Rekonstruktion einer idealen, für die 1970er Jahre typischen Galerie, basierend auf fotografischen Dokumenten, die Michael Asher von seinen eigenen Arbeiten gemacht hat. Alexander Wolff überträgt den Ausstellungsraum, der sich über die Jahre diskret entwickelt hat, auf eine dekorative und architektonische Weise in den aktuellen Ausstellungszusammenhang. Genaugenommen ist die Ausstellung in chronologischer Sichtweise “re-situiert”, wieder verortet, und in in der Logik des Ausstellungswesens “retro-visitiert”, rück-besucht.

HYPERSTYLE schließt alle Stile ein, ob hyper sichtbar, hyper transparent, hyper präzise, hyper zeitgenössisch, hyper handgemacht, hyper handwerklich, hyper konzeptuell, hyper autoritär oder auch hyper akademisch... Sobald ein Stil im Sinn einer Wirkung, eines Effektes verwendet wird, kann er durch Imitation, Kombination, Re-Komposition neu betrachtet werden und neue Beziehungen mit seinen vorangehenden visuellen Erscheinungsweisen hervorrufen. Die Ausstellung versucht einen ebenso oberflächlichen wie retrospektiven Blick auf die Werke zu werfen, auf ihre stilistischen Vorschläge, die komplexe Verbindungslinien zu ihren Bezugspunkten etablieren.

Die Ausstellung HYPERSTYLE findet im Rahmen des Programms Passagen 2004 des Deutsch-Französischen Jungendwerks (DFJW) statt. Eine weitere Ausstellung im Rahmen diese Programms, "Public Relations", kuratiert von Antje Weitzel, wird im September im Projektraum Public>, Paris, stattfinden.

HYPERSTYLE wird unterstützt von: Deutsch-Französisches Jugendwerk (DFJW), Mairie de Paris, AFAA-Ministère des Affaires Étrangères, AFAA-Bureau des Arts Plastiques/Ambassade de France à Berlin, Verein zur Förderung aktueller Kunst, Berlin e.V., Public>

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HYPERSTYLE
Kuratorin: Emilie Renard

mit Jay Chung & Q Takeki Maeda, Daniel Dewar & Gregory Gicquel, Lili Reynaud Dewar, Alexander Wolff