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Sich selbst aus kritischer Distanz zum Thema machen, Grosses klein zu schreiben: in capital letters wirft einen facettenreichen Blick auf die wechselvolle Geschichte eines der ältesten Kunstvereine. Die Ausstellung vereint Künstlerinnen und Künstler, die in ihren Werken die Kunsthalle Basel als Institution, als Ort, mit ihrer Tätigkeit und ihrer Ausstrahlung reflektieren. Mit der Präsentation von Sammlungsbeständen reflektiert auch die Institution selbst ihr Handeln. Die im kommenden Jahr bevorstehende Sanierung des Hauses sowie der Wechsel in der Direktion bieten hierzu Anlass.

Der Fokus der Auseinandersetzung mit der Kunsthalle unterscheidet sich von Raum zu Raum. Silke Wagner hat sich insbesondere mit der Amtszeit von Peter F. Althaus befasst. Seine Infragestellung der bürgerlichen Institution „Kunsthalle“ anfangs der 70er Jahre interessiert die junge Künstlerin heute auch im Rahmen ihres eigenen Werkbegriffs. Es ist die spezifische Öffentlichkeit des Kunstbetriebs, dessen sie sich wiederholt annimmt: Kunst will nicht so sehr Materialisierung als vielmehr Anstiftung, Plattform, Reflexion sein. Ausgehend von dieser Haltung inszeniert Silke Wagner ein Archiv und schafft die Möglichkeit einer von den Besuchern individuell zu nutzenden Recherche. Die Werke von Andrei Monastirsky sind die einzigen, die nicht spezifisch für die Ausstellung entstanden sind. Monastirsky, einer der wichtigsten Protagonisten der russischen Konzept-Kunst, hat seit den 70er Jahren mit Performances und Textarbeiten system- und institutionskritisch gewirkt. Monika Sosnowska macht den architektonischen Raum zum Gegenstand ihrer Untersuchung.

Ummantelungen, Verschiebungen, temporäre Räume im Raum machen das Potenzial wie die Grenzen der historischen baulichen Rahmung sichtbar. Ein riesenhaftes, rot gefärbtes Relief kommt auf den Boden zu liegen. Die Verschiebung von Massstäblichkeit und Orientierung verunsichert die Wahrnehmung und verstrickt die Betrachter in ein labyrinthisches System. Claude Gaçon und Markus Buser gehen von dem Hier und Heute aus, um in die Geschichte zurückzugehen: Ihr Untersuchungsgegenstand ist das Publikum, das sich in der Ausstellung bewegt. Dabei sind Gegenwart und Vergangenheit parallel geschaltet. Das Handeln der Besucher im Raum provoziert projizierte Wortlaute, die der Rede der Grundsteinlegung von 1872 entnommen sind. Parallel dazu erschallt eine Geräuschkulisse, die von den Besuchern im ersten Saal und anderen Tonaufnahmen gespiesen wird. Von der realen Zeit vor Ort treten wir in eine Bilderwelt aus Marokko. Yto Barrada hat in den Sammlungsbeständen des Kunstvereins Werke entdeckt, die in ihrem fotografischen Oeuvre einen Widerhall finden: Innenräume und psychologisch aufgeladene Häuslichkeit wie auch Bilder von Sehnsucht und Fernweh

Der marokkanische Alltag, der von Emigration geprägt ist und Bilder der Vereinzelung heraufbeschwört, findet in Werken von Albert Schnyder (1898 – 1989) und William de Goumois (1865-1941) merkwürdige Parallelen. Dem Blick von aussen schliesst sich mit Eric Hattan eine lokale und persönliche Perspektive an: Mit ihm ist ein Künstler beteiligt, der sich lange Jahre für die hiesige Kunstszene engagiert hat, und als langjähriger Beobachter und Mitgestalter auch die Geschichte des Basler Kunstvereins sehr gut kennt. Sein Eingriff betrifft die Grenze zwischen Ausstellungsraum und Büro des Direktors, das ehemals Ausstellungsraum war. Im Sinne einer ‚Oral History’ erzählt er Geschichten über die Kunsthalle, für dessen Kommission er für eine kurze Zeit tätig war. Die Erzählungen lassen ein Bild entstehen nicht nur über die Geschichte des Hauses, sondern auch über die Natur von Erinnerung selbst: Unvollständigkeit, Repetition, die Persönlichkeit, die die Erinnerungen formuliert, kommen zum Ausdruck. Mit Stephen Prina schliesst eine weitere Perspektive von aussen an.

Der Kalifornier untersucht in seiner künstlerischen Arbeit immer wieder die Voraussetzungen kultureller Produktion. In der Ausstellung arbeitet er zum einen mit dem Modell des ,white cube’, dem weissen, neutralisierten Ausstellungsraum, andererseits mit Bildern, denen diese Präsentationsform ursprünglich fremd war. Die Verschränkung von hier vorgefundenen Bildern aus dem Sammlungsbestand und eigenen Arbeiten befragt den Ort heutiger Auseinandersetzung mit Kunst.

Nachdem bei Yto Barrada und Stephen Prina Werke aus dem Sammlungsbestand thematisch geordnet wurden, präsentiert Christina Végh, Kuratorin am Haus, im letzten Saal die Sammlung in chronologischer Reihung. Es geht jedoch nicht um Kunstgeschichte, sondern Sammlungsgeschichte

Nicht das Datum der Entstehung, sondern das Datum des Eingangs in die Sammlung ist ausschlaggebend für die Abfolge der Bilder. Die Zeitachse, die sich spiralförmig über die vier Wände spannt, zeichnet ein heterogenes Bild einer An-Sammlung und beschreibt die wechselvolle Geschichte des Kunstvereins. Knapp neunhundert Werke umfasst die Sammlung heute, wobei rund zwei Drittel durch Schenkungen und Legate Eingang gefunden haben, und ein Drittel durch eigene Ankäufe. Einzig unter der Leitung des ersten Konservators (Wilhelm Barth, 1909-1934) wurde eine klar definierte Sammlungspolitik verfolgt, der es zu verdanken ist, dass geschlossene Werkgruppen einzelner herausragender KünstlerInnen der Region in der Sammlung eingingen. Vielsagend ist die Tatsache, dass das erste Werk, das die Sammlung des Basler Kunstvereins begründet hat, in der chronologischen Reihe fehlt. Arnold Böcklins Porträt. Angela Böcklin als Muse (1863) befindet sich mit einer weiteren Gruppe von Werken seit 1927 im Besitz der öffentlichen Kunstsammlung Basel.

Damals wurden die Werke abgetreten, um eine dringend notwendige Sanierung des Gebäudes zu ermöglichen. Seither wurde zugunsten der Wechselausstellungen von einer stringenten Sammlungspolitik abgesehen. Unter der Ägide von Lucas Lichtenhan (1934-49) wurden die Bestände noch in regelmässigem Turnus gezeigt, 1993 war die Sammlung unter Thomas Kellein letztmals in umfassender Form präsentiert. Seit den 60er Jahren fehlen nicht nur die Mittel zum Aufbau, sondern auch die Mittel zur Pflege der Sammlung. Mit der vorliegenden Präsentation steht einmal mehr die Frage um die Zukunft der Sammlung zur Disposition.

Als sich die 1842 gegründete neue Basler Künstlergesellschaft und der 1839 gegründete Basler Kunstverein 1863 zusammenschlossen, waren die Entwicklungen der letzten Jahre, die sich einerseits in einem Museumsboom geäussert haben, andererseits sich im Einzug von Gegenwartskunst in museale Situationen zeigen, nicht vorauszusehen.

Die Kunsthalle Basel war seit ihrem Bezug am Steinenberg 1872 lange Zeit neben der Kunsthalle Bern die einzige Plattform für Gegenwartskunst und hat im Laufe der Zeit nicht nur zur breiteren Akzeptanz der Gegenwartskunst beigetragen, sondern in partnerschaftlicher Zusammenarbeit auch massgeblich die Sammlungspolitik der in der Stadt ansässigen Museen beeinflusst. Die Zeit der klassischen Typologie - hier Kunsthalle, da Galerie, dort Kunstmuseum - ist insbesondere in Basel längst vorbei. Der Gründung des Museums für Gegenwartskunst folgte jene der Fondation Beyeler, dieser das Musée Jean Tinguely, im kommenden Jahr wird das Schaulager der Emanuel Hoffmann-Stiftung eröffnet. Daneben existieren in nächster Umgebung zahlreiche kleinere Ausstellungshäuser, die sich der Gegenwartskunst widmen. Diese etabliert sich angesichts der breit gestreuten Ausstellungs-Aktivitäten heute schneller als je zuvor.

Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Renovierung des Hauses und des Direktionswechsels stellen sich erneut die Fragen, wie der Basler Kunstverein auf die aktuellen Geschehnisse der Museumslandschaft reagieren soll und damit nach dem zukünftigen Umgang mit der Sammlung. Die Fragen um die Zukunft der Sammlung des Basler Kunstvereins wurden bereits bei ihrer Gründung gestellt. In einer Stadt, die sich einer der höchsten Museumsdichte rühmen kann, stellen sich diese Fragen heute mehr denn je.

Zur Ausstellung erscheint Ende Oktober ein Katalog mit Installationsansichten und einem Gespräch von Peter F. Althaus, Peter Pakesch und Christina Végh. Er wird Ende Oktober in dt./engl. bei Schwabe Verlag erscheinen

KünstlerInnen: mit Yto Barrada (geb. 1971, Paris/Marokko), Claude Gaçon (geb. 1956, Basel) mit Markus Buser (geb. 1943, Basel), Eric Hattan (geb. 1955, Basel), Andrei Monastirsky (geb. 1949, Moskau), Stephen Prina (geb. 1955, Los Angeles), Monika Sosnowska (geb. 1972, Warschau), Silke Wagner (geb. 1968, Frankfurt)

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in capital letters

mit Yto Barrada, Claude Gacon, Markus Buser, Eric Hattan, Andrei Monastyrsky , Stephen Prina, Monika Sosnowska, Silke Wagner