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Alice Creischer/Andreas Siekmann
«In the Stomach of the Predators»
Ausstellung

Eröffnung und Gespräch mit den KünstlerInnen

Zwölf Bilder und ein Video zur Geschichte der Monopolisierung von Saatgut. Ausgangspunkt dieser Arbeit zur fortschreitenden Privatisierung von Gemeingut ist die Eröffnung der Svalbard Global Seed Vault 2008 in Norwegen. Alice Creischer und Andreas Siekmann behandeln die Problematik unter Bezugnahme auf historische Untersuchungen zu Ökonomie, Politik und ihrer kritischen grafischen Darstellung aus der Zeit der Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre.

«1929 begannen Gerd Arntz und Otto Neurath im Wiener Institut für Bildstatistik die Arbeit am Atlas ‹Gesellschaft und Wirtschaft. Bildstatistisches Elementarwerk›. Der Atlas umfasst hundert Blätter, die über die Verhältnisse der damaligen Wirtschaft informieren. Die Darstellungsmethode von Arntz und Neurath basiert auf serialisierten Mengenbildern. Man sieht keine Zahlen und Kurven, die vorgeben, sofort erfassbar zu sein. Man ist vielmehr gezwungen, im Lesen anzuhalten und eine gewisse Zeit mit Zählen zu verbringen. Was uns besonders an der grafischen Arbeit von Gerd Arntz faszinierte, war die inhärente Aufforderung, die Verhältnisse, die sie beschrieben, argumentierbar und damit umkehrbar zu machen. Das war ein Motiv, mit der Aktualisierung der einzelnen Blätter zu beginnen, die seit 2002 in verschiedenen Workshops stattfindet.» (Alice Creischer/Andreas Siekmann)

2005, zur Eröffnung des kunstraum lakeside, haben Alice Creischer und Andreas Siekmann die Blätter 58 und 59 aus dem Atlas «Gesellschaft und Wirtschaft» mit dem Titel «Monopolartige Produktionen europäischer und außereuropäischer Länder» ausgewählt und sie zusammen mit Studierenden der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt in Bezug auf gegenwärtige Monopolbildungen an geistigem Eigentum, Patenten und Copyrights unter derzeitigen Bedingungen einer Weltwirtschaft, in der die Nationalökonomien von der Dominanz transnationaler Konzerne abgelöst wurden, aktualisiert. Daraus ist eine großformatige Arbeit mit Emailtafeln für den Vortragsraum des Lakeside Parks hervorgegangen sowie eine Publikation, die die Klagenfurter Recherchen zu diesen Monopolbildungen dokumentiert. Für ihre Ausstellung im Winter 2014/15 schließen die KünstlerInnen zehn Jahre später an diese Aktualisierung an und ergänzen sie mit einer Recherche zur Monopolisierung von Saatgut, die sie vor zwei Jahren begonnen haben. Die Recherche führt von den Anfängen der Agroindustrie in der «Dust Bowl»-Katastrophe der 1930er-Jahre in den USA bis zu den aktuellen Auswirkungen von Saatgutmonopolen auf die globale Agrarwirtschaft. Es ist eine Geschichte von Desastern und Katastrophen, wobei die Verursacher die Dynamik der Katastrophen zur Entwicklung von neuen «Demands» und Produktivitätsregimen nutzen. Ausgangspunkt der Recherche war die Eröffnung des Global Seed Vault in Spitzbergen 2008, was vorgibt, die Saatgutdiversität der Welt zu bewahren, aber von den weltgrößten Saatgutmonopolisten, Syngenta, Monsanto und Pioneer, finanziert wird.

Die Schaffung dieses weltweiten Saatguttresors geht auf eine Initiative des Global Crop Diversity Trust (Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt) zur langfristigen Aufbewahrung von Saatgut aus aller Welt, aber auch zur Erforschung der genetischen Vielfalt von Nutzpflanzen zur Pflanzenzucht und zur wissenschaftlichen Analyse zurück. Der Saatgutspeicher, der in einem Berg einem Bunker ähnlich angelegt ist und aufgrund des Permafrostbodens auch für einen etwaigen Ausfall des Kühlsystems vorgesorgt hat, beansprucht, das Saatgut so vieler Nutzpflanzenarten wie möglich zu sammeln, um sie vor Klimawandel, Kriegen oder Nuklearkatastrophen zu schützen. Er wird finanziert von Agrobusinesses wie Syngenta oder Pioneer Hi-Bred International und Stiftungen wie der Gates Foundation oder Rockefeller Foundation, die seit Jahrzehnten an der Monopolisierung von landwirtschaftlichen Produkten arbeiten. Gentechnisch verändertes Saatgut wird wiederum zurück in die Welt gebracht und bindet die lokale Agrikultur an die industrielle Produktion.

Andreas Siekmann hat die Recherche in zwölf grafischen Tafeln umgesetzt. Alice Creischer hat einen Film produziert, der sich als ironisch-kritisches Nachspielen der Eröffnungszeremonie der Seed Vault unter Beteiligung hochrangiger nationaler und internationaler Politiker verstehen lässt und – in der Tradition der Stummfilme der Rezession der Zwischenkriegszeit – Verzweiflung in Slapstick verwandelt.

Alice Creischer und Andreas Siekmann leben als KünstlerInnen, AutorInnen und KuratorInnen in Berlin. Sie arbeiten sowohl individuell als auch kollaborativ. Gemeinsam kuratierten sie die Ausstellungen «Gewalt ist der Rand aller Dinge» in der Generali Foundation in Wien (2002), «Ex-Argentina» im Ludwig Museum in Köln (2004) und (mit Max Jorge Hinderer) «Das Potosí Prinzip» im Museo Nacional, La Paz, im Museo Reina Sofia, Madrid, und im Haus der Kulturen der Welt in Berlin (2010). Neben zahlreichen Ausstellungsprojekten nahmen Creischer und Siekmann auch an der Documenta 12 (2007) in Kassel teil; Siekmann außerdem an der Documenta 11 (2002). Sie arbeiten als ProfessorInnen an der Weißensee Kunsthochschule Berlin.

Laufzeit: 28. November bis 14. Februar 2015