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Pressetext Der Wilde Westen ist zeitlos. Die Titelmusik von Bonanza klingt uns noch in den Ohren, der vielleicht bekanntesten Familiensaga des Wilden Westens. Mit ihm hat der Zyklus „Der Clan der Saguarinos“ von Inge Pries mehr zu tun als mit den melancholisch-fatalistischen Italo-Western Sergio Leones oder den starken Männern vom Schlage eines John Wayne. Inge Pries erzählt eine Familiensage von einer Familie, die genauso genommen keine ist, weil es in ihrem Clan keine eindeutig zuordbaren Mitglieder gibt. Es gibt eigentlich nur Typen, oder, besser gesagt: Rollen. Dass die Personen hier Rollen spielen, wird schon alleine durch die ausgiebige Maskerade klar, Klischees im wahrsten ursprünglichen Wortsinne: ein Abziehbild, ein vervielfältigte Vorstellung, ein unschöpferischer Abklatsch, der schließlich die Bedeutung der eingefahrenen, überkommenen Vorstellung angenommen hat. Eines der größten kulturellen Klischees ist der Wilde Westen, den Inge Pries sozusagen als Folie nutzt, um darauf andere, weitere Klischees auszubreiten. Doch in der Kombination und der Konfrontation fallen diese Klischees in sich zusammen, werden entlarvt als – nun eben als Maskerade, als Klischee, und dahinter taucht eine oft traurige Wahrheit auf. Der Clan der Saguarinos wird so zu einer Saga der Menschenfamilie, ihrer Typen und ihrer Rollen, eine Saga, die keine Geschichten im historischen Sinne erzählt, sondern eher Verhaltensmuster und Konstellationen entlarvt, das Movens, das Geschichte überhaupt entstehen lässt. Zeit- und ortlos trotten die drei „Saguarinos“ des Einladungsmotives denn auch auf einem Pferd daher, unausweichlich aneinander gekettet, eine Grundkonstellation der Menschheit, wie man sie überall auf der Welt finden kann. Inge Pries verschränkt Männlichkeitsrituale und Weiblichkeitstopoi, Wild-West-Träume und Zivilisationstraumata zu Bildern, die irgendwo zwischen Märchenhaftigkeit und Spottbild anzusiedeln sind – und von beidem etwas haben. Vom Märchen haben sie die Traumartigkeit der Vorstellungswelten, in denen die Gesetze der Logik und der Schwerkraft aufgehoben sind, Menschen sich in Tiere verwandeln und Tiere menschlich werden. Das macht sie surreal. Doch im Gegensatz sowohl zum Surrealismus als auch zum Märchen gehen die Welten nicht in diesen Welten auf: denn die Menschen werden bei Inge Pries nicht zu Tieren, sondern sie maskieren sich nur. „Warum hast du so große Zähne“, fragt Rotkäppchen den bösen Wolf im Märchen, der sich als Großmutter verkleidet hat und dem zarten Frischfleisch eine Falle stellt, es mit Vertrautheit verführen will. Die große WARUM-Frage stellt sich erst im Augenblick des Zweifelns, erst dann, wenn das Welt- oder Mensch-Gegenüber nicht mehr wirklich vertraut ist. Inge Pries wendet die WARUM-Frage Rotkäppchens in eine dreifache Maskerade: ein Mann kniet am Boden, der sich mit einem Wolfsfell tarnt, das wiederum den Oberkörper einer Frau übergeht. Und wenn man genau hinschaut, sieht man, dass der Wolf, dessen Unterleib nur ein Fell ist, selbst leibhaftig in der Haut der Frau steckt. Wer ist hier also wirklich und wer nur als Hülle für etwas anderes anwesend? Die WARUM-Frage ist also nicht mehr nur der Ausdruck einer Unsicherheit gegenüber dem nicht mehr ganz Vertrauten, sondern wird zur Sinnfrage schlechthin: WARUM überhaupt etwas tun, wenn der Versuch, sich mit etwas zu identifizieren, doch nur Maskerade ist? Doch ganz abgesehen davon, dass dieses Bild eine eigenwillige Zusammenfassung des Rotkäppchen-Märchens darstellt, eine Quintessenz gewissermaßen, die nicht nur seine Geschichte, sondern auch die dahinter liegenden Implikationen von Versteckspiel, Schein und Sein und das Geschlechterverhältnis relativ direkt und ungebrochen offen legt, führt es diese ganze Märchenwelt ad absurdum. Die Allegorie funktioniert nicht mehr, zumindest nicht mehr heute in unserer gebrochenen, unstimmigen Welt, an der jede Erziehung zum besseren Menschen – das Ziel der Märchen - zu scheitern droht. Womit wir beim zweiten Punkt wären: dem Spottbild. Inge Pries’ Gestalten sind blasse, dürre, traurig dreinschauende und gebrochen wirkende Menschen mit hängenden Köpfen. Ihre Maskeraden und Versteckspiele, ihre leeren, eher absurden als surrealen Handlungen haben in ihrer Vergeblichkeit etwas Erbärmliches, Armseliges. Ihr Zweck ist auf nichts gerichtet, ihre Handlungen laufen ins Leere, entpuppen sich als Kulissenschieberei oder enden zumindest dort. Die „Trockenübung“ zeigt eine angeschirrte Frau mit einer auf Rollschuhen laufenden Attrappe eines Pferdehinterteils – ein bitteres und auch böses Bild der Vergeblichkeit und Sinnlosigkeit, in der das menschliche Bemühen um sinnvolles Handeln oft endet. Der Versuch, sich mit etwas zu identifizieren, eine erfüllende Aufgabe zu haben, wird als Maskerade entlarvt: keiner ist wirklich das, was er darzustellen oder zu tun scheint. Und doch richtet Inge Pries auf die Menschen unter diesen Maskeraden, auf ihre Erbärmlichkeit einen mitleidigen, keinen verächtlichen Blick. Es sind Spottbilder - vielleicht am ehesten im Sinne des Erbärmbebildes, des „Ecce Homo“, das Christus, die Inkarnation nicht des heroischen, sondern des sich mit seiner Unvollkommenheit vergeblich abmühenden Menschen, dem Spott des Volkes preisgibt – und damit gleichzeitig um Erbarmen wirbt. Neben dem Märchen und dem mitleiderregenden Spottbild haben die Bilder aber auch noch einen weiteren, bissigen, fast karikierenden Charakter. Groteske Gestalten wie die beiden Cowboys in schmuddeliger Unterwäsche bedrohen sich mit „Saguarinos“, den Säulenkakteen, die der Menscheitsfamiliensaga nicht nur ihren Namen gegeben haben, sondern als Waffen in ihren Händen auch ihr Geschick bestimmen. Männlichkeitsposen und Wildwestgehabe bekommen durch den Titel der „Grünen Grenze“ einen besonderen, ins Politische gehenden Beigeschmack, der das Allgemein-Menschliche in die Don-Quichotterie aktueller Politik überhöht: hier ist es die Grüne Grenze zwischen Mexiko und den Staaten, die sich mit Mordskanonen in einem absurdem Duell hilflos gegenüber stehen. Die „Selbstschussanlage“ zeigt einen traurigen Cowboy mit Pistolenoberkörper auf einem Windrad sitzen – ein weiteres bitterböses Bild dafür, dass Politik und die ihrem Sicherheitsdenken entsprungene angeblich schützende Gewalt den Launen der Natur überlassen ist: sie dreht sich buchstäblich nach dem Winde – und am Ende trifft sie einen selber. Denn das wahr gewordene Klischee ist gefährlich. Der Wilde Westen ist also nicht nur zeitlos, sondern hat Konjunktur – als Realität, nicht als Klischee. Veronika Schöne

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Inge Pries - Der Clan der Saguarinos