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Nina Koidl und Henning Weidemann freuen sich, mit „300 Millionen Jahre“ die erste Einzelausstellung von Ingeborg Lüscher bei Campagne Premiere zu zeigen. Nach Lüschers Beitrag mit historischen Arbeiten der 70er Jahre zu der Gruppenausstellung „Transformations - Ingeborg Lüscher, Ana Mendieta, Teresa Murak“ in diesem Frühjahr widmet sich „300 Millionen Jahre“ einer neuen Fotoserie der Künstlerin.
Seit Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit Ende der 60er Jahre macht Ingeborg Lüscher alltägliche Gegenstände, Erlebnisse und Eindrücke aus ihrer Umgebung zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit. Neben Objekten und Installationen sind auf diese Weise Fotografien, Gemälde, Texte und seit den 1990er Jahren auch Videoarbeiten entstanden. Oft arbeitet die Künstlerin in Serien. Ihr Werk wurzelt in der Konzeptkunst, deren Strenge und Ordnungsprinzipien sie mitunter auch persiflierte. Die Verbreitung eines Motivs oder Gedankens in einer Werkserie stellt sie den aus dem Umkreis ihrer Biografie motivierten Formen gegenüber. Das Spezifische, Persönliche, oft mit Erinnerungen und Erzählungen der Künstlerin Verbundene steht dem Unspezifischen, Wiederkehrenden und Seriellen gegenüber.

Seit 2011 hat Ingeborg Lüscher eine große Anzahl analoger Fotografien in ihrem Lebensumfeld im Tessin geschaffen, die sie in lang andauernden Prozessen auswählt und bearbeitet und die in der aktuellen Ausstellung ihre endgültige Form gefunden haben. Die Künstlerin hat die Motive - Bilder von Flechten auf Steinen - im Prozess unscharf und ungenau werden lassen. Lüscher entscheidet sich dafür, Fotografie als Medium für ihre Arbeit einzusetzen und unterläuft dabei eines ihrer zentralen Prinzipien - die Schärfe der Wiedergabe. Durch die Wahl des Ausschnitts und die Vergrößerung des Abzugs verbinden sich die Flechten zu einem malerisch verschwimmenden organischen Rauschen. Die motivische Unschärfe der Formen geht dabei mit einem ebenso unspezifischen Bildraum einher. Die Entscheidung für diese Bearbeitung der Fotografien unterstreicht zusammen mit dem Titel der Ausstellung, dass älteste organische Mikrostrukturen gleichzeitig makrokosmische Realität sind.

In Verbindung bringt Ingeborg Lüscher die Bilder von Flechten sowohl mit naturwissenschaftlichen als auch metaphysischen Fragen und Beobachtungen. Spiritualität und Irrationalität sind im Werk Lüschers fest verankert. Die Bilder von Flechten bezieht sie auf eine Aussage von Werner Heisenberg, in der es um die Ambivalenz und kaum mögliche Abgrenzung der Naturwissenschaften zur Metaphysik geht. Mit ihrer Hinwendung zur Metaphysik erobert sich die Künstlerin Räume jenseits der Sachlichkeit, in denen sie die Irrationalität ihres Werkes praktiziert. In der Ausstellung „300 Millionen Jahre“ sind ihre jüngst entstandenen Fotografien der Videoarbeit „Frozen River - who killed Jerusalem“ von 2003 gegenübergestellt, die - versehen mit einer anschwellenden, der Natur entnommenen Tonspur - die Aufladung einer schlichten Naturaufnahme ebenfalls betont.

Ingeborg Lüscher (geb. 1936 in Freiberg/Sachsen) ist seit ihrer Teilnahme an der „Grossen Kunstausstellung“ im Haus der Kunst im Jahr 1968 in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland präsent. Große Einzelausstellungen ihrer Werke fanden unter anderem im Haags Gemeentemuseum, Den Haag, Museum Wiesbaden, MaRT Museo di Arte Moderna e Contemporanea, Rovereto, NCCA National Center of Contemporary Art, Moskau und in den Kunstsammlungen Chemnitz statt. Ihre Werke wurden auf der Documenta 5 und IX sowie den Biennalen in Venedig 1980 und 1999 gezeigt. Im Jahr 2011 wurde Ingeborg Lüscher mit dem Meret Oppenheim Preis ausgezeichnet. Jüngste Einzelausstellungen fanden statt im Kunstmuseum Luzern (2010), ZKM Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe (2011), Hamburger Bahnhof, Berlin (2012) und Situation Kunst (für Max Imdahl) Ruhr Universität, Bochum (2013). Für 2016 ist eine umfangreiche Retrospektive im Kunstmuseum Solothurn geplant.