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„Ein sehr komplicirter physiologischer Vorgang im Gehirn eines Thiers, dessen Resultat das Bewußtseyn eines Bildes eben daselbst ist.“ beantwortet Arthur Schopenhauer im frühen

19.Jahrhundert die Frage, was eigentlich Vorstellung sei. Dass es letztlich die hier beschriebene untrennbare Einheit physiologischer und psychologischer Wahrnehmung ist, die zur Gewinnung von Erkenntnissen führt, und nicht die heute wieder vorherrschenden retinalen Bildfertigungstechniken lässt sich an Jan Timmes Installation in den Räumen der Galerie Nagel exemplarisch erleben.

„Carrer qui no passa“ – so der nach esperantoischem Idealismus klingende Schriftzug auf einem hoch in der Galeriewand eingelassenen Straßenschild – bedeutet wörtlich „Straße, die nicht durchläuft“, bezeichnet demnach eine Sackgasse und ist durchtränkt von Wortbestandteilen, die in eben der Selbstsicherheit ruhen, wie sie Wörtern innewohnt, die aufgrund ihrer lateinischen Uralt-Ahnen auf allgemeine Verständlichkeit und Bedeutungsfülle hoffen dürfen: „carrer“, „carreira“, „career“; „qui“, „chi“; „non“, „no“; „passar“, „passenger“, „passage“. Die Installation spricht von der Paradoxie von Verheißungen, die sich als nicht verheißbar erweisen, von Zeichen, die im Changieren fixiert bleiben, sich fragmentieren, ihre möglichen Funktionen von Referenz, Indizierung, Markierung und Abbildung von sich werfen, nur um sie im nächsten Augenblick wieder einzuholen und schließlich erneut weit hinter sich zu lassen. So schweben sie sicher im Sturz, in durchaus nicht unangenehmer Schizophrenie.

„Carrer qui no passa“ ließe sich ebenfalls mit „Lauf (der Dinge), der nie aufhört“ übersetzen und so warten am Ende der Sackgasse, die keine ist, die von sich selbst befreiten Zeichen mit einem großzügigen Bedeutungsangebot auf. Das sie natürlich jederzeit wieder zurücknehmen könnten.“ (Ebba Durstewitz)

Im engeren Kontext der Ausstellungssituation lässt sich der eigentümliche Straßenname Carrer qui no passa auf der Passenger benannten Kachel auch unschwer als Angst des Künstlers interpretieren, an der Aufgabe zu scheitern, zu einem verabredeten Zeitpunkt einen Raum überzeugend zu füllen. Die Karriere fände dann niemals statt. Mit dem kongenialen keramischen Ready-made gelingt es Jan Timme just jenes Dilemma zu visualisieren ohne es aufzulösen.

Man muss das Potential von „Carrer qui no passa“ aber gar nicht bis in alle metaphysischen Eventualitäten ausloten, um Zugang zu finden. Jan Timme ergänzt seine unbetitelte Installation nämlich mit einer kleinen, durch Abdruck erzeugten Zeichnung auf Kohlepapier mit dem Titel Carrer qui no passa, die den Verlauf der realen Straße nachzeichnet, die trotz ihres Namens doch durchgängig ist. Allerdings kann man – wenn man sich nur auf den Augenschein verlässt – an jedem ihrer Enden durchaus den Eindruck einer Sackgasse gewinnen. Von dort blickt man nämlich jeweils auf eine Wand.

Jan Timme, geboren 1971, studierte an der HfbK in Hamburg. Er lebt in Berlin.

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Jan Timme