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Eröffnung Freitag, den 12. Dezember 2008 . 19 Uhr

C/O Berlin, International Forum for Visual Dialogues, präsentiert vom 13. Dezember 2008 bis zum 15. Februar 2009 die Ausstellung Insight . Fotografien der Nacht des amerikanischen Fotografen Jerry Berndt. Die Eröffnung findet am Freitag, den 12. Dezember 2008 um 19 Uhr im Postfuhramt an der Oranienburger Straße/Ecke Tucholskystraße statt.

Düstere Bars, Rotlichtviertel und dunkle Straßen sind die Negative des Tages. Diese Orte bieten Stille, Schutz und Diskretion, rufen Isolation hervor und zeugen gleichsam von einer mit Aggression, Demütigung und Angst aufgeladenen Atmosphäre. Sie intensivieren das soziale Miteinander auf eng begrenztem Raum – ein psychologischer Ausnahmezustand, eine spezifische dunkle Stimmung, die Jerry Berndt in seinen fotografischen Serien seit den 1960er Jahren eindringlich und sensibel einfängt. Es sind bedrohliche Bilder von Einsamkeit, Rausch und verschwimmenden Lebenslinien am Rande der Gesellschaft. Seine bisher nie publizierten Fotografien legen durch die Reduktion auf das Wesentliche tiefere psychologische und soziale Strukturen offen.

Die der Nacht eigene Dynamik wird in der Serie „Combat Zone” sichtbar. Berndt dokumentierte im Auftrag der Harvard Universität zwischen 1967 und 1970 in Boston das soziale Milieu von abgelebten Huren, armen Freiern und protzigen Zuhältern sowie den Konflikt zwischen Afroamerikanern und Weißen mit allen Implikationen von Rassismus und Black Power Movement. Ebenso wie bei der Langzeitstudie „Missing Persons: The Homeless” geht es nicht um den journalistisch-narrativen Blick auf das Geschehen. Vielmehr filtert Berndt in der von Alkohol und Prostitution gepägten Einsamkeit der Menschen wie in ihrem Miteinander die Spezifik des Ortes heraus und verdichtet das Gefüge aus verschiedenen Momenten hin zur Greifbarkeit. Seine fast filmischen Sequenzen sind „Fotografie als Gefühl” – wie der Magnum-Fotograf Eugene Richards treffend beschreibt. Berndt lässt spüren, wie sich der abgebildete Ort angefühlt hat, nicht bloß, wie er aussah. Die Härte seiner Aufnahmen sind weder voyeuristisch, noch mit leiderhaschend, da er eine große Nähe zu den Porträtierten aufbaut und ihre bittere Realität ohne Sensationslust abbildet.

Die ruhige Seite der Nacht zeigt seine Serie „Nite Works”. Berndt fotografierte keine Menschen, sondern Ladenzeilen, Gehsteigpflasterung, Hauseingänge und andere Beiläufigkeiten. Die Abwesenheit jeder Aktivität bietet die Möglichkeit, sich allein auf Licht, Atmosphäre und architektonische Struktur der jeweiligen Situation zu konzentrieren. Diese Fotografien sind weniger malerisch, sondern bildhauerisch angelegt. Ohne jede Bewegung treten einzelne Details plastisch aus der Bildkomposition heraus. Sie entwickeln einen eigentümlichen Sog, der den Blick immer tiefer in den scharf konturierten Bildraum zieht.

Verschattete Gesichter, Figuren am Rand, stürzende Linien und leerer Raum – Berndts überwiegend Schwarz-Weiss-Fotografien weisen ein hohes Formbewußtsein, Präzision und Kreativität auf. Keines seiner Einzelbilder ist glatt, die Serien und Sequenzen oft grobkörnig und unscharf. Seine Mischung aus klassischer Streetphotography und einer konzeptuellen Bildauffassung ist immer Ausdruck intensiver Anteilnahme und Auseinandersetzung.

C/O Berlin präsentiert erstmals in Berlin 120 Fotos aus dem vielseitigen Werk von Berndt. Die Ausstel-lung wurde zuvor im Museum für Photographie Braunschweig präsentiert. Im Steidl Verlag erscheint ein Katalog.

Jerry Berndt, geboren 1943 in Milwaukee, Wisconsin, engagierte sich Anfang der 1960er Jahre politisch im studentischen Umfeld und organisierte Demonstrationen in Boston und Madison. Nach mehreren illegalen Aktionen wurde er verhaftet und unter Arrest gestellt. Zusätzlich nahm er einen Job in der Dunkelkammer der Universität an und begann mit Hilfe der Bücher von Ansel Adams als Autodidakt zu fotografieren. 1964 gewinnt er den ersten Preis bei einem Fotowettbewerb in Madison. Parallel zu seinen politischen Aktionen konzentriert sich Berndt Ende der 1960er Jahre verstärkt auf seine fotografischen Projekte wie „Combat Zone” und „Missing Persons: The Homeless”. Seit den 1980er Jahren baut er sein soziales und politisches Engagement als Kriegsfotograf und Sozialdokumentarist aus. Es entstehen umfangreiche Serien in San Salvador (1984), Guatemala (1985), Haiti (1986-1991), Armenien (1993-1994) und Ruanda (2003-2004). Berndt lebt und arbeitet in Paris.

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Jerry Berndt . Insight
Fotografien der Nacht