press release only in german

In der Ausstellung forest werden 45 Arbeiten der in Essen lebenden Fotografin Jitka Hanzlová gezeigt, die in den vergangenen fünf Jahren in Wäldern ihrer tschechischen Heimat nahe der Karparten zu den verschiedenen Jahreszeiten entstanden sind. Fotografien, die subjektive Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Geschichte visualisieren. „Den Weg den ich beschreite, ist ein Weg zurück um in die Zukunft zu sehen“, er ist eine fotografische Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln. Lichtungen, kleine vermoorte Tümpel, verschneite Hochwälder und Felder, in denen Tiere Spuren hinterlassen haben, Baumgruppen und Äste, die sich teils bedrohlich in den Bildvordergrund schieben geben Einblick in menschenleere Natur, die gleichermaßen einladend wie verschlossen und angsteinflösend wirkt. Die Komposition ist gründlich durchdacht und wirkt trotzdem zufällig, die zerbrechliche Farbigkeit verleiht den Bildern eine ephemere wie zugleich unwirklich nah greifbare Erscheinung. Das Streben nach einer unmittelbaren Naturerfahrung, dem Geheimnis von Schöpfung und Vergänglichkeit in der Natur nachzuspüren scheint eines ihrer künstlerischen Ziele.

Es ist das „Dazwischen“, - wie John Berger es nennt - das Weder-Noch das Jitka Hanzlová interessiert und sich in einer Art zeit- wie schwerelosen Fotografie manifestiert. Ihre Fotografien geben eine Ahnung dessen, was zwischen dem Untergrund und den Lichtungen zwischen Entstehen, Werden und Vergehen zwischen allen Lebenszyklen und Zeiten befindet und sich über den kurzen Aufnahmemoment, über das Hier und Jetzt erhebt. Hanzlová geht es um den Versuch einer Landschaftsdarstellung, die über das rein Sichtbare hinausgeht, auch um Fragen des Undarstellbaren, nach dem versteckten Sinn, nach einem Unendlichen, das sich in der im unaufhörlichen Wandel und in der Veränderung begriffenen Natur manifestiert. Hanzlovás Fotografien frieren keinen bestimmten Augenblick ein oder halten keinen bestimmten Zeitpunkt fest, vielmehr richten sie die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die Ereignisse, die sich außerhalb des unaufhaltsamen Flusses der Zeit zu befinden scheinen und sich nur erahnen und mit der Zeit im Unterbewussten erspüren lassen.

"Was in einem Wald nicht fassbar, und doch zum Greifen nahe ist, ist möglicherweise die Präsenz einer Art Zeitlosigkeit. Nicht die abstrakte Zeitlosigkeit metaphysischer Annahme, auch nicht die metaphorische Zeitlosigkeit zyklischer, saisonaler Wiederkehr.“ schreibt John Berger in seinem Essay zu Hanzlovás Arbeit.

Jene Suche nach einem sich dem Begreifen entziehenden Bild von Natur, das uns eine Ahnung von Unendlichkeit vermittelt kann auch als Versuch einer mythischen Naturerfahrung gelesen werden.

Es ist jedoch dieses Dazwischen, das Hanzlovás Arbeit über festgeschriebene Kategorisierungen und jede modische Zeiterscheinung hinweghebt, über die Hochglanzfotografien scheinbar unberührter Natur in Reiseprospekten, die das Begehren einer immer schnelllebig werdenden Konsumwelt nach einer Illusion der ursprünglichen Naturerfahrung wecken sollen. Der Wald nicht als jederzeit und allerorten verfügbares Konsumgut, sondern als Reminiszenz an eine über die Zeit gehobene allgemeingültige Metapher für den Ursprung allen Seins.

Zur Fotoserie forest von Jitka Hanzlová ist eine Monographie mit einem Essay von John Berger im Steidl Verlag und Druck, Göttingen erschienen.

-

Carol Bove, die in New York lebt und arbeitet, hat ihr künstlerisches Schaffen in einer groß angelegten Recherche auf die Befragung, Aktualisierung und Vertiefung der Gesellschaftsgeschichte und der Kunst der späten 60er bis frühen 70er Jahre des 20. Jahrhunderts konzentriert. Ihr Interesse gilt dabei in gleicher Weise der populären Literatur und den populärsten avantgardistischen Magazinen dieser Zeitperiode, wie ihrer Architektur, der Musik, der Kunst und dem Design. Für sie markieren sie die einflussreichen und nachhaltigen gesellschaftlichen Veränderungen dieser Zeit, wie sie unter anderem in der Frauen- und Friedensbewegung, den Vorstellungen einer befreiten Sexualität und der Befreiung des Individuums durch psychische wie physische Praktiken der Bewusstseinserweiterung zum Ausdruck kommen.

Carol Bove kreiert in ihren Ausstellungen atmosphärisch aufgeladene Installationen mit Artefakten und nachempfundenen Gestaltungen, die Stil und Geschichte reflektieren, transportieren und diese auf ihre aktuelle Gültigkeit hinterfragen. Bücherstapel der periodisch in Antiquariaten auftauchenden Populärliteratur der von Bove untersuchten Zeit ("Touching", 2003) finden sich neben kunstvoll gestalteten Assemblagen aus Fotografien und Büchern mit gefundenen oder nachempfundenen Möbeln. Für die Hippiezeit prägende Originalausgaben von populären Magazinen kontrastieren mit von der Künstlerin aus einflussreichen Büchern auf altmodischen Schreibmaschinen abgetippten Textpassagen. Wie verblasst wirkende Tuschearbeiten weiblicher Akte, deren Vorlagen aus Magazinen wie Playboy, Hustler oder Life stammen, hängen neben "Wandgemälden", die die Künstlerin in Referenz an Sol LeWitt akribisch handwerklich aus Faden gefertigt hat. Carol Bove bezeichnet sich als eine Anthropologin, die autobiografische Erlebnisse mit allgemeingültigen sozialen Gegebenheiten kombiniert und in neue Beziehungssysteme überführt. 1971 geboren, schien der Künstlerin das Lebensumfeld ihrer Mutter in den 60er und frühen 70er Jahren interessanter, aufregender, utopischer als ihr eigenes jetziges gewesen zu sein, und die zunächst biographisch initiierte Auseinandersetzung entwickelte sich für sie zunehmend zu einer Recherche der Gedankenwelten und Artefakten, die historischer Amnesie und oberflächlicher Kenntnis entgegenwirken soll.

Carol Bove geht in ihrer Arbeit von der Erfahrung aus, die wir in einem Museum machen können, wenn wir Objekten begegnen, die unser Interesse wecken, über deren Bedeutung, Umfeld und Realität wir aber nur Ungefähres oder "Mythisches" wissen. Das Initial des Interesses, das Verlangen nach einer vertieften Kenntnis und einer "Zeitreise", übersetzt sie in ihren Installationen in Displaysituationen sowohl mit einer für sie typischen Ästhetik als auch mit der künstlerischen Praxis der "institutionellen Kritik", die sich seit den achtziger Jahren mit Präsentationsformen von Kunstobjekten im Kunstkontext auseinandersetzt und Fragen nach Gestaltung, Dekoration und historischer Kontinuität beinhaltet.

Titel wie "Utopia and Oblivion", "Experiment in Total Freedom" oder "The Look of Thought; The Ways of Love" entwickeln in ihren Installationen zusätzlich zu den Buch- und Magazintiteln die wir lesen können ein gedankliches Umfeld, das Ambivalenzen und Utopien dieser Zeitperiode präsent sein lässt; eine Periode, die Carol Bove als unvollendetes Projekt bezeichnet, das prägend für unsere jetzige Gegenwart ist. Historische Recherche ist bei Carol Bove sowohl eine Zeitreise wie im Sciencefiction des amerikanischen Autors Colin Wilson, in dessen Buch "The Philospher's Stone" Kontakt mit anderen Zeiten durch historische Objekte aufgenommen werden kann, als auch zugewandte, zuweilen als erotisch zu bezeichnende Annäherung an die Gestaltungen und Gedanken dieser spezifischen Zeitperiode durch aktiven, das heisst hier künstlerischen Nachvollzug. Dies wird besonders deutlich in den zahlreichen Akt-Tuschezeichnungen, die die Künstlerin nach Magazinvorlagen anfertigt: In ihren klassische Schönheit ausstrahlenden, beinahe verschwindenden Akten transportieren sich ambivalente Inhalte sowohl ihrer Original-Referenzzeit wie des Heute. Darstellungscodierungen einer autonomen Selbstbestimmtheit wie sexuellen Selbstbewusstheit der meist weiblichen Akte sind durchwirkt mit Darstellungscodes einer Objekthaftigkeit der Frauen in den herbeigezogenen Magazinen. Und dennoch behaupten die Transparenz und Flüchtigkeit der Darstellungen Carol Boves eine revidierte Wahrnehmung nicht nur von bekannten Klischees, sondern auch von Mythen, die sich um unsere kulturellen Entwicklungen und Errungenschaften ranken mögen.

Beatrix Ruf, Carol Bove zur Ausstellung Carol Bove in der Kunsthalle Zürich 28.2.-4.4.2004

Pressetext