press release only in german

Eröffnung: 17. März 2009, 19 - 21 Uhr

Thomas Mießgang, 2009 Aus der enormen Fallhöhe zwischen globalkapitalistischen Suggestionen und einer mickrigen Lebensrealität, wo es ums Überleben und nicht um den dritten Lear-Jet geht, beziehen Johanna Kandls Bild-Text-Kombinationen ihre Irritationen und gelegentlich auch eine schräge Komik. "Ich genieße den Reiz," sagt die Künstlerin, "dass sich eine Kluft aufspannt zwischen Bild und Text und so ein Aha-Effekt entsteht." Das randständige Wirtschaften drängt sich immer wieder ins Zentrum ihrer Kompositionen, nur die geographischen Zuordnungen wechseln: Viktor Adler-Markt in Wien, Belgrad, Baku, Ukraine, Bosnien, die Karl Marx-Allee in Berlin, oft am Rande der Gemälde mit Jahresangabe vermerkt. Es ist eine Welt im Prozeß der Transformation, die Johanna Kandl in kleinen Wirklichkeitsausschnitten festhält. Und sowenig die Arbeiten abstrakt sind, sowenig ist es der Prozeß ihrer Entstehung. Ausgangspunkt sind meist Fotos, die sie selbst oder ihr Mann Helmut Kandl gemacht haben. Das globale Bilderarchiv, ob es vom Internet oder von Zeitschriften gespeist wird, interessiert sie nicht. Ihre Kunst ist ein Bekenntnis zum Partikularen, zu Erzählfragmenten, die sich nicht zu einer großen Narration ordnen lassen wollen, sondern im Zustand des Chaos, ja des Chthonischen verharren. Die aktuelle Wirtschaftskrise arbeitet Johanna Kandls Weltdeutungsmodulen noch zu, und zwar, indem sie die Text-Bild-Kombinationen retroaktiv mit negativer Energie auflädt: Jetzt geht es nicht mehr nur um ein disproportionales Verhältnis zwischen einem sich in seinen Slogans und rhetorischen Pathosformeln siegesgewiß gebärdenden Superkapitalismus und dessen weniger kapitalintensiven Randlagen, sondern um eine universale Dystopie. Die Versprechen haben nicht einmal auf dem obersten Level gehalten, wo die Herren der Welt aus der Londoner City und von der Wall Street mit Derivaten, Ninja-Krediten und abstrusen Finanzprodukten jonglierten. Der Kapitalismus sei der erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultus, hat Walter Benjamin 1927 in einem auch heute noch lesenswerten Text geschrieben. "Es liegt im Wesen dieser religiösen Bewegung, welche der Kapitalismus ist, das Aushalten bis ans Ende, bis an die endliche völlige Verschuldung Gottes, den erreichten Weltzustand der Verzweiflung, auf die gerade noch gehofft wird. Darin liegt das historisch Unerhörte des Kapitalismus, dass Religion nicht mehr Reform des Seins, sondern dessen Zertrümmerung ist." (zit. Walter Benjamin) Johanna Kandls Reportagen vom Rande der Welt und vom Ende einer Epoche, sind Versuche, die Welt in der wir leben und deren visuelle Substrate uns als mediale Serienbilder um die Ohren fliegen, epigrammatisch in den Zustand der dauerhaften Bildwerdung zu überführen - Malerei hat mehr Plastizität, Materialität und Authentizitätsversprechen als Fotografie - und gleichzeitig in ihrem illusionistischen Charakter kenntlich zu machen. Ein subtiler Balanceakt, der in den gelungensten Momenten eine Ontologie der Instabilität zu begründen imstande ist. "Manchmal holt einen die Geschichte ein," sagt Johanna Kandl. "Vielleicht wird meine Arbeit durch die Krise schärfer. Auf jeden Fall aber anders."

only in german

Johanna Kandl
The Missing Guardian