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JÜRGEN KLAUKE HINTERGRUNDRAUSCHEN
25.11.2017 - 27.01.2018
Eröffnung: Samstag, 25.11.2017 16:00 Uhr.
Der Künstler ist anwesend. Einführung: Prof. Dr. Stephan Berg, Intendant Kunstmuseum Bonn

Die Galerie Thomas Zander freut sich, ihre erste Einzelausstellung mit Arbeiten von Jürgen Klauke zu präsentieren. Klauke gilt als Pionier einer konzeptuell inszenierten Fotokunst, in der er seit den frühen 1970er Jahren Strategien der Performance und Body Art prägt. In formalästhetisch komponierten Tableaus und Sequenzen setzt er vor allem seinen Körper als Bildgegenstand und Vehikel ein, um die Grenzen zwischen Kunst und Leben auszureizen, gesellschaftlich normierte Rollen und Geschlechteridentitäten aufzubrechen. Bereits 1977 und 1987 nahm Klauke an der documenta teil, war 1980 in Harald Szeemanns Sonderschau Aperto 80 bei der Biennale in Venedig vertreten und zählt seither zu den wichtigsten deutschen Gegenwartskünstlern.

Jürgen Klaukes intermedialer Kunstbegriff betont oftmals nicht das Moment der Integration, sondern die Friktion, das Zwischen den Stühlen Sitzen und nimmt mit dieser Haltung eine solitäre Stellung in der zeitgenössischen Kunst ein. Die Serie B (Brancusi Block) von 2017, die erstmals in einer Ausstellung zu sehen ist, ruft die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Leben ins Bewusstsein, das schon die klassischen Avantgarden zu entgrenzen suchten. Formen und Motive der Avantgarde zitierend, dem Organ kritischer Kunst, bilden hier aufeinandergesetzte Klosettkörper eine sich fortsetzende, wohlgeformte Säule. Im streng konstruierten Bild-aufbau glänzen die glatten, weißen Oberflächen in perfekter Ausleuchtung vor schwarzem Hintergrund. Die groß-formatigen Abzüge geben den Fotografien eine skulpturale Dimension, indem sie trotz dessen Abwesenheit den Körper als Bezugsgröße heranziehen. Mit ihm tritt jedoch unweigerlich jene Qualität der Alltagsobjekte hervor, die der Profanität des menschlichen Daseins gezollt ist. Das Triviale und das Erhabene gehen nicht ineinander auf. Kunst und Leben bilden bei Klauke kein Kontinuum, vielmehr formulieren seine Werke eine Ästhetik des Extrahierens, der Unterbrechung. Den menschlichen Körper mit seinen Bedürfnissen und Unzulänglichkeiten inszeniert Klauke in der frühen Fotosequenz Dr. Müllers Sex-Shop oder so stell ich mir die Liebe vor (1977). Nicht durch Selbstausdruck und Originalität begegnet der Künstler der Komplexität der Liebe, sondern mit Ready-made und Performance. Intimität wird mit einem grotesken Überangebot an Plastikrequisiten und Sexutensilien in uneindeutigen Geschlechterrollen von ihm durchgespielt, wobei Hysterie und Langeweile nah beieinander zu liegen scheinen. Nur eines bleibt in dieser Materialschlacht ungreifbar: die Liebe. Die Arbeit konfrontiert ironisch die Ideale der Rollenbilder in der bürgerlichen Konsumgesellschaft ebenso radikal wie die existenziellen Fragestellungen: „Ich spreche den unauflöslichen Konflikt mit uns selbst an, das damit verbundene ’schöne Scheitern’, das unsere Existenz, wenn man nicht verrückt wird, recht unterhaltsam macht.“ (Jürgen Klauke)

Um die Fremdwahrnehmung der Identität, die Identifizierung, geht es in dem Fototableau Das menschliche Antlitz im Spiegel soziologisch-nervöser Prozesse (1976/1977). Aus einem Duzend passbildhafter Schwarzweiß-Porträts blickt ein Mann in stereotypem Hemd und Krawatte den Betrachtern mit einem Lächeln oder ernster Miene entgegen. Bildunterschriften geben zu verstehen, der Mörder lächelt, der Schwachsinnige lächelt, der Beamte nicht. Tatsächlich sind es immer dieselben zwei Aufnahmen. Die Zuschreibungen sind komplett arbiträr und die Fotos ohne Beweiskraft. Während erstmalig mithilfe von Massendatenverarbeitung in der Republik nach RAF-Terroristen gefahndet wird, entblößt Jürgen Klauke überkommene Rollenbilder der Gesellschaft. Besonders deutlich wird darin die Komplizenschaft des Mediums als Beförderer von Identität. So klingt in dem Werk die Verschränkung zweier Entwicklungen im 19. Jahrhunderts an, die der Fotografie und der Physiognomik, deren Studium Aufschluss über Charakter und Seele des Menschen versprach: Anhand von Fotografien wurden Verbrecherkarteien angelegt, die Hysterie als psychische Krankheit erfunden und Gefühlsausdrücke katalogisiert, indem Gesichtsmuskeln mit Elektroden gereizt wurden. Das Identifizieren und Typologisieren des bürgerlichen Subjekts dieser Zeit hat Konjunktur und trifft bei Klauke auf eine Inszenierung von Identität, die sie als reines Konstrukt vorführt. Noch konzentrierter analysiert Klauke das mediale Paradoxon, sich von der Fotografie nicht festhalten zu lassen, in der Porträtfolge Philosophie der Sekunde von 1976, in der er wieder als Autor und Akteur auftritt. Er agiert mit diversen Gesichtsausdrücken, Kopf- und Körperhaltungen, Gesten überschneiden sich, Umrisse verwischen. Mit den Möglichkeiten des Fotoapparats werden Momente einer Tausendstel-Sekunde sichtbar, die mit bloßem Auge der Wahrnehmung entgehen. Durch das Anhalten der Zeit in ihre Bruchteile entziehlt sich Klauke sogar innerhalb einer Sekunde einer Festschreibung zugunsten der Pluralität von Selbstinszenierungen, die der Künstler mit sich und den Betrachtern verhandelt. In den Machtgeflechten von Medien, Gesellschaft und Staatsapparaten behauptet sich in Klaukes Œuvre so immer wieder der Störfaktor Mensch.

Jürgen Klauke, geboren 1943, lebt und arbeitet seit 1968 in Köln und lehrte von 1994 bis 2008 an der dortigen Kunsthochschule für Medien. Seine Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen weltweit präsentiert, so z.B. im Museum Ludwig, Köln, der Bundeskunsthalle Bonn, der Nationalgalerie, Berlin, Maison Européenne de la Photographie, Paris, Museum der Moderne, Salzburg, The Museum of Modern Art Saitama, Japan, Museum of Contemporary Art, Los Angeles, The State Russian Museum, St. Petersburg und der Tate Liverpool. Klaukes Werke sind in Sammlungen internationaler Institutionen vertreten, darunter die Nationalgalerie, Berlin, die Kunstsammlung NRW/K21, Düsseldorf, Centre Pompidou, Paris, das Kunstmuseum Bern und das Museum of Modern Art, New York.