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Was ist die Essenz eines Porträts? Was ist das absolute Minimum, durch das eine Person sich darstellen lässt? Was sind die wesentlichen Elemente, die die Besonderheit dieser Person vermitteln? Wie kann eine Mischung von Farben und Linien jemandes Charakter oder Persönlichkeit transportieren?

Julian Opies Porträts zeigen spezifische Individuen, gehen jedoch zugleich auch solchen seit Langem gestellten und komplizierten Fragen nach. Sie beschäftigen sich mit einer fünfhundertjährigen Tradition – jener der Herstellung zweidimensionaler Darstellungen von Menschen um uns herum –, ob in Genreszenen des Alltagslebens oder in Porträts, eigens zu „Sitzung“ oder Pose arrangiert. Fragen nach der Wiedererkennung – Ist das der Mensch? – bis zu solchen nach dem Ausdruck – Wie fühlt dieser Mensch sich? – werden angesprochen.

Im täglichen Leben erkennen wir bekannte Gesichter – Freunde, Verwandte oder Kollegen – augenblicklich, ebenso öffentliche Figuren, die wir im Fernsehen, in Zeitungen oder Illustrierten sehen. Nach dem Wiedererkennen beginnen wir natürlich die Person zu beobachten beziehungsweise das Bild abzusuchen, um Anlass und Stimmung zu verstehen. Dabei registrieren wir auch feinste Abstufungen in Gesichtsausdruck, körperlicher Gestalt, Pose und Schatten. Vielleicht prüfen und mustern wir ein Porträt noch genauer als eine Person, der wir gegenüberstehen. Porträts sind dazu da, befragt zu werden. Julian Opie untersucht in seiner Kunst seit vielen Jahren, wie wir Dinge betrachten und sehen. Bereits seine Skulpturen und Reliefs, die vor den Porträts entstanden, wiesen einen Weg zur Abbildung der Welt, bei der er die anscheinend nuancierteren Stile der westlichen Kunst durch graphische Traditionen aus Karikatur und Illustration (und sogar des Zeichentricks) ausglich. Sein radikaler Zugang, wozu eine Zeitlang auch gehörte, dass er seine Arbeiten über einen Katalog zur Bestellung anbot, brachte ihn dazu, die Übertragung der Realität in das Artifizielle, einer Person oder eines Objekts in die Kunst, zu perfektionieren. Die Bilder Opies sind brillant konstruiert, gestaltet und ausgefeilt, ob nun in Metall skizziert oder durch Computerprogramme gefertigt. Julian Opies jüngere Arbeiten stellen Verbindungen zur britischen und niederländischen bzw. flämischen Porträtmalerei (des 17. und 18. Jahrhunderts) und zu japanischen Drucken (des 18. und 19. Jahrhunderts) her. In diesen Kunst- und Kulturperioden nahmen Darstellungen – Haltung und Pose – einen besonderen Platz ein. Ob aus Europa oder Japan, es ist etwas Selbstbewusstes an diesen Figuren, etwas in ihrem Auftreten, das nicht selten Reichtum oder intellektuelle Substanz vermitteln soll. Die Quellmaterialien sind hier im Allgemeinen öffentliche Porträts, für die öffentliche Wahrnehmung hergestellt, manchmal mit Symbolen und allegorischen Anspielungen ausgestattet, um zusätzliche Bezugspunkte anzubieten. Und nun werden diese Kostüme und Posen auf zeitgenössische Einzelmenschen oder Familien übertragen, der Weg führt vom Öffentlichen ins Private, vom Formellen zum Informellen, vom Historischen zum Zeitgenössischen. Noch einmal wird das Porträt konstruiert, um ein Individuum darzustellen, und zugleich die Frage nach dem Wesen des Porträts schlechthin gestellt.

Sandy Nairne, "Essenzielle Portraits", aus der Publikation "Julian Opie", erschienen anlässlich der MAK-Ausstellung "JULIAN OPIE. Recent Works",(MAK-Ausstellungshalle, 11.6.–21.9.2008), MAK Wien / Hatje Cantz, Ostfildern 2008

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Julian Opie: Essenzielle Porträts