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Musik nimmt als Teil der Alltags- und Populärkultur aufgrund ihrer Unmittelbarkeit in den Leben vieler eine zentrale Rolle ein. Mal als eigentliche Lebenswelt, mal als Spiegelfläche für die eigenen sowie die Projektionen anderer, bietet Musik Raum für unterschiedlichste emanzipatorische, aktivistische oder subversive Strategien jenseits von Konsum oder Glamour. Die Ausstellung Just Play - Musik als soziale Praxis im Edith-Ruß-Haus für Medienkunst thematisiert Musik als offenes System, als ein Feld von möglichen Anschlüssen und Ausschlüssen, Rückgriffen und Aneignungen. Mythos und Möglichkeit von Freiheit und Freiräumen, von Authentizität und Engagement, von Begeisterung und von alternativem Handeln. Mehr als um die Offenlegung gängiger Marktmechanismen oder die Dekonstruktion von Symbolen und Zeichen geht es in den gezeigten Werken um eine soziale Praxis, die gesamtgesellschaftliche Fragestellungen aufwirft. Musik wird dabei zum Träger für die Konstruktion von Identität und Differenz, Verortung und Ortlosigkeit, Kollektivität und Individualität.

Eine Geschichte von Gemeinschaft und Freundschaft, von kollektiver versus individueller Erfahrung, erzählt Johanna Billings Arbeit You Dont Love Me Yet* (Videoprojektion und DVD-Archiv, 2002-2007), die zum Ausgangspunkt den gleichnamigen Roky Erickson Song nimmt.

Individuellen Leidenschaften und gemeinschaftlichem Engagement stehen auch im Zentrum von Jeremy Dellers musikalischem Audioporträt - vom Blasorchester über eine Jazzformation, eine Rockband, den Kirchenchor, ein Countryduo bis hin zur Grungeband - This Is Us. Music from Appenzell (2004).

Kristin Lucas Videoinstallation Celebrations for Breaking Routine* (2002) über die drei britischen Mädchenbands Flamingo 50, Venus und Exit 3 unterstreicht das emanzipatorische und aktivistische Potenzial musikalischer Produktion.

Berührende Einblick in die individuellen Sichtweisen auf die Zusammenhänge zwischen Musik, Liebe und Verlust bietet Iain Forsyths und Jane Pollards Videoarbeit Make Me Yours Again (2007).

Wo die zuvor genannten Werke den performativen Handlungen Einzelner Raum bieten, lassen Elke Marhöfer und Anne-Marie Schleiner in ihrer Installation local/vocal (2003) bewusst eine Leerstelle, die jede/r Einzelne von uns aufgefordert ist zu füllen. Zwei Textarchive im Internet - das professionelle sein und das amateurhafte schein - bietet hierfür zwei gegensätzliche Modelle.

Benny Nemerofsky Ramsay präsentiert sich in seiner Videoarbeit Je changerais davis* (2000) selbst als Spiegel enttäuschter Hoffnungen und Sehnsüchte, wenn er emphatisch das gleichnamige Chanson der französischen Sängerin Françoise Hardy interpretiert, kommentiert durch Wetterberichte und parallele Übersetzungen, sogar in Gebärdensprache.

Marisa Olson hingegen bedient sich der Worte anderer weniger emphatisch als vielmehr (selbst)ironisch, wenn sie und Abe Linkoln in Abe & Mo Sing the Blogs (2006) den kollektiven Text eines Blogs singend interpretieren oder wenn sich Olson in Universal Acid (2006) als Star geriert und Linkoln ihre leidenschaftliche Performance zu psychedelischen Videoclips mutieren lässt.

Mit der Absurdität medialer Konstruktionen spielt auch Cory Arcangels Arbeit Beach Boys/Geto Boys (2004), in der Videoaufzeichnungen der zwei sehr gegensätzlichen Bands zu einem neuen, überzeitlichen Hybrid fusioniert werden.

Ästhetische wie gesellschaftspolitische Erfahrungen und Fragen spiegeln sich hintergründig auch in der vielschichtigen Videoinstallation 1+1-1 (2007) von Hadley+Maxwell, die Elemente aus Jean-Luc Godards Film One Plus One (1968), in eine neue, das Prozesshafte betonende Formsprache transponiert.

KünstlerInnen: Cory Arcangel/Beige, Johanna Billing, Jeremy Deller, Iain Forsyth + Jane Pollard, Kristin Lucas, Hadley + Maxwell, Elke Marhöfer/Anne-Marie Schleiner, Benny Nemerofsky Ramsay, Abe Linkoln/Marisa Olson

Kuratorinnen: Heike Ander und Sabine Himmelsbach