press release only in german

Jutta Koether. Libertine
13.10.2019 - 16.02.2020

Jutta Koether realisiert im Museum Abteiberg eine Ausstellung, die in die Malereigeschichte eindringt. Ausgangspunkt ihres Konzepts ist der Gemäldekomplex Tour de Madame, den sie im vergangenen Jahr in ihren Werk-Retrospektiven in München und Luxemburg als jüngste Arbeit präsentierte. Ursprünglich eine Antwort auf Cy Twomblys Lepanto-Zyklus im Museum Brandhorst installiert Koether diese Serie nochmals neu und entwickelt sie – erneut montiert auf gläsernen Wänden – zu einem Denk- und Drehmoment für die Sammlung des Museums Abteiberg. Mit weiteren ganz neuen Arbeiten besetzt Koether die Sammlungsräume der Plattenebene, die Oberlichtsäle zwischen Gerhard Richters 8 Grauen Bildern und Sigmar Polkes Kunststoffsiegelbildern des Biennale-Zyklus Venedig 1986.

Diese Ausstellung ist die erste Museumsausstellung der gebürtigen Kölnerin im Rheinland und zugleich ein sehr ortsspezifisches Projekt, in dem die Künstlerin den Faden von berühmten Mönchengladbacher Ausstellungen aufnimmt, die sowohl das Medium Malerei als auch deren Betrachter und den Ort des Museums zum Thema hatten. Jutta Koether (*1958) etablierte ausgehend vom Kontext der Kölner Kunstszene der frühen 1980er Jahre, in der ihre Arbeit begann, eine Malerei, in der seither die Betrachtung ins Bild gesetzt ist. Koethers konzeptuelle Maßnahme ist die Farbe Rot, als Symbol und Signalfarbe. Sie ist bis heute in den meisten ihrer Arbeiten dominant, ist ein Farbfilter, gewissermaßen eine rote Brille, die den gefärbten Blick, die Anwesenheit der Betrachtung eminent spürbar macht und zugleich eine Art visuellen Daueralarm produziert. In ihrer aktuellen Arbeit tritt Koethers ausgeprägt kunsthistorische Perspektive, ihre intensive Auseinandersetzung mit Malerei-, Kunst- und Kulturgeschichte noch klarer heraus als je zuvor: Ihre zumeist groß formatierten Gemälde, ihre Formen von Figuration und Geste zeichnen kunsthistorisches Sehen auf, Bildkompositionen und -schemen, Nachbilder von gesehenen Gemälden. Sie diskutieren die Kraftfelder, die Zeichen und Embleme, Blicke und Kommunikationen, Normen und Freiheiten, die Malerei ausmachen.

Confirmation, eine dreiteilige Arbeit auf hohen Glaswänden im großen Wechselausstellungsraum ist Anfang und gewissermaßen Vorspiel, eine malerisch-skulpturale Assemblage aus der Serie der Seven Sacraments von 2013. Diverse Fundstücke und farbige Stücke von Malerei, dazu Identitätskarten der Künstlerin sind eingeschlossen in die Acryl-Flächen, ebenso Winkel von Bilderrahmen, die in den anschließenden Gemälden zu einem Schatten- und Leitmotiv werden.

Der Zyklus Tour de Madame aus dem Jahr 2018 nimmt die Straßenebene des Museums ein. Die von Koether entworfenen Glaswände zeigen auf ihrer konvexen Seite eine Abfolge von zwölf Gemälden der Tour de Madame, auf der konkaven Seite inszeniert Koether eine zweite Folge mit den drei weiteren Gemälden sowie neun Werken aus der Sammlung des Museums Abteiberg: Arbeiten von Roy Lichtenstein, Allan Kaprow, Daniel Spoerri, Andy Warhol, Martin Kippenberger, Jacques de la Villeglé und Dieter Roth sowie zwei Schussbilder von Niki de Saint Phalle. Die Installation auf den Glaswänden erzeugt transparente Räume und Korridore, in denen ein Parcours der Sujets von Koethers Malerei angelegt ist. Die Motive reichen von der analytischen Bildtheorie des Klassizisten Nicolas Poussin bis zu den Pixelformationen in heutigen Medien. Koethers typische mit Rotfilter arbeitende und ständig skizzenhafte Art der Malerei tritt in Kontakt zu den Werken der Museumssammlung, Koethers Operation des Sehens von Bildern schlägt aus auf die gesamte Installation und auf das Museum selbst. Die in Confirmation angelegte Funktion der gläsernen Wand erweitert sich, Rückseiten, Keilrahmen und Konstruktionsmaterial all dieser Objekte werden sichtbar, auch die Funktion des Eckwinkels, dessen Schatten auf den Gemälden der Tour de Madame erscheint.

Im mittleren Oberlichtsaal inszeniert Koether einen Raum aus fünf neuen Gemälden, in denen Figuration und Abstraktion, Körper und Text thematisiert werden. Koethers Motive bringen energische Referenzen in diesen langjährig zentralen Raum der Museumssammlung: die Venus von Lespuege, Lucian Freud und Leigh Bowery, Albrecht Dürers vier nackte Frauen, Joseph Beuys‘ Widmung an Wilhelm Lehmbruck, Äpfel, die Farbe Pink.

In einem weiteren Oberlichtsaal zeigt Jutta Koether ihre neuesten großformatigen Gemälde, die während der vergangenen Monate in Referenz an die großen „offenen Bilder“ (Koether) in den benachbarten Räumen der Museumssammlung entstanden: den Raum der 8 Grauen Bilder von Gerhard Richter (1975) und den Raum des Biennale-Zyklus von Sigmar Polke (1986), wo die Flächen von grauer Farbe bzw. Kunststoffsiegellack die Imagination von Figürlichkeit und Darstellung völlig frei flirren lassen. Koethers eigene Bilder sind nunmehr bühnenartige Räume, von den Rändern der Keilrahmen kaum begrenzt und wie in frühen Gemälden der 1980er und 90er Jahre zoomartig an die Betrachter herangezogen: in ihnen schweben und schwingen die Elemente, golden schillernde Flächen kommen hinzu und die Portraits von Menschen. Handlung, Bewegung und Aktion, wichtige Charakteristika der malerischen Biografie Koethers, die auch Auslöser für neue Begriffe in der Malerei wurden (vgl. David Joselit: „painting beside itself“ / die Malerei neben sich, 2009), werden hier in den Bildraum hinein versetzt. Auch neue Identifikationen werden angelegt. Die Neue Frau ist identifizierbar als die New Yorker Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez, die weibliche Bühnenfigur mit der großen Faltung einer roten Robe als ein mögliches Selbstportrait Koethers, mit Pinseln in den ausladenden Händen.

In Reaktion auf die Arbeiten von Jutta Koether wurden in den Schauräumen der Museumssammlung einige weitere Werke neu gehängt und anders gruppiert.

Jutta Koether (*1958, Köln) lebt und arbeitet in Berlin und New York.

Neben der Ausstellung im Museum Abteiberg sind ihre Arbeiten derzeit unter anderem in den Ausstellungen „Maskulinitäten“, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf und „Emissaries for Things Abandoned by Gods“, Casa Luis Barragán, Mexico City zu sehen.