press release only in german

So alt wie die Malerei selbst ist eine Anekdote, die durch Plinius den Älteren (vor 79 n. Chr.) über den Wettstreit der beiden antiken Maler Parrhasios und Zeuxis (letzterer lebte gegen Ende 5./1. Hälfte 4. Jh. v. Chr.) überliefert ist: Zeuxis „...hat erfolgreich gemalte Trauben ausgestellt, dass die Tauben herbeiflogen. Parrhasios aber hatte einen so naturgetreu gemalten Leinenvorhang aufgestellt, dass der auf das Urteil stolze Zeuxis verlangte, man solle doch endlich den Vorhang wegnehmen und das Bild zeigen; als er seinen Irrtum einsah, habe er ihm in aufrichtiger Beschämung den Preis zuerkannt, weil er zwar selbst die Vögel, Parrhasios aber ihn als Künstler habe täuschen können.“1 Wenngleich es hier nicht nur um den Wettstreit zwischen zwei Malern, sondern auch um den mit der Natur und ferner um die Augentäuschung des Betrachters durch perfekte Illusion geht, lässt sich zudem die Begründung dafür finden, warum an Bushaltestellen und Glasfassaden schwarze Vögel als Sticker und eben keine Trauben kleben... Während es also in der Malerei auf der Leinwand sowie später dann in der Renaissance und im Barock oft direkt auf der architektonischen Wand um die illusionistische Erweiterung des Realraums – also quasi in die Trägermaterialien hinein – ging, arbeitet Katja Pudor malerisch-zeichnerisch in die entgegen gesetzte Richtung – also aus der Leinwand, dem Papier, der Wand heraus und in den Realraum hinein. Leni Hoffmann, ebenfalls zeitgenössische Malerin, deren Werke in dieser Hinsicht ähnlich, den Materialien und dem „Malprozess“ nach jedoch anders entstehen, hat es so formuliert: Piktoraler und tatsächlicher Raum bilden eine Einheit und werden einander gleichgesetzt.

So muss man auch als Betrachter keine Angst haben, ohne Vogelaufkleber gegen Wände zu laufen, denn man steht, wenn man den Ausstellungsraum von Katja Pudor betritt, bereits mitten im Werk. „Turbulenzen in den Ecken“ ist der Titel der gesamten Erfurter Schau inklusive aller (Einzel-) Arbeiten, die hier zu sehen sind. Dabei hat die Künstlerin Malereien bzw. entsprechende Fragmente, Zeichnungen, Tape und Cut-outs, also Klebeband und Scherenschnitte, zu Raum füllenden, begehbaren Installation arrangiert, die sich über alle Geschosse des Kunsthauses ziehen. Der Betrachter ist somit stets im Bilde und komplettiert selbiges, indem er es durch- oder abschreitet. Und natürlich sieht. Mitunter kann er es sogar durch Bewegen von Spiegeln, die in den Raumbildern angebracht sind, verändern und erweitern. Raum, aber auch Zeit – die des Werkprozesses wie des Durchlaufens oder Spiegelbewegens etwa – sind also wesentliche Koordinaten bzw. Eigenschaften der Arbeiten von Katja Pudor. Noch dazu geht es immer um Wahrnehmung, die nicht nur durch Standortwechsel veränderlich und subjektiv bleibt.

Bestrebungen der Malerei und auch der Bildhauerei (Relief), historisch angestammte Plätze wie Leinwand oder architektonische Wand zu verlassen, gibt es schon lange, spätestens seit der Moderne. Hier wären etwa Tatlins Konterreliefs, die sich über Raumecken spannen, zu nennen, ebenso Mondrians Plastizismus oder auch van Doesburgs Überlegungen zur „Raumzeitmalerei“ und der Rolle des Betrachters, der diese Art von Malerei eben erst vollendet. In der vor allem amerikanischen Konzeptkunst der 1960er/70er Jahre, bisweilen mit ausgeprägt minimalistischen Anklängen, spielt dieser Ansatz, der die Malerei an sich, also eher formal als dem Gegenstand nach begreift und reflektiert, erneut eine Rolle. Minimalistisch geht es bei Katja Pudor allerdings nicht unbedingt zu. Wenn sich nach formalen Kriterien bei ihr Schicht für Schicht (im Grunde wie bei der Lasurmalerei auf der Leinwand, aber auch wie bei der Layern im Photoshop) des Bildes in den Raum hinein aufbauen, also eine Art malerischer, analoger 3D Effekt erzeugt wird, sind die Motive zwar einerseits abstrakt, doch erscheinen diese Striche und Flächen farblich immer zeitgemäß, oft hell, grell, fröhlich und durchaus dekorativ. Acrylfarbe in Neon, Pink oder Metall finden häufig Verwendung. Auch werden mitunter gar gegenständliche Zeichnungen in die Collageartigen Installation – im ersten OG – mitgebunden. Einerseits sind hier Außen- bzw. Naturräume zu erkennen, etwa Park- und Gebirgslandschaften und somit wieder oder nochmals Räume, nun dem Motiv nach. Anderseits sind auch Wörter und ganze Zitate zu lesen. Katja Pudor bringt hier diverse Orte gleichsam wie Fundstücke zu einem neuen räumlichen Gefüge zusammen, das durch ihre, der Künstlerin, Kombination älterer mit neueren Arbeiten einerseits ganz persönlich ausfällt und „ihre Welt“ abbildet, andererseits auf den konkreten Ort – also Realraum – Bezug nimmt. Zeichnung und Malerei sind einmal mehr dicht miteinander verbunden, ja verschränkt. In den oberen Räumen zieht sich dann feines schwarzes Tape wie eine filigrane Zeichnung schwungvoll um die mittlere, freistehende Wand, bleibt tatsächlich an selbiger kleben und bildet somit eine schöne, leichte Ergänzung zu den die Ecken des Erdgeschosses ausfüllenden, in den Raum hineinkragenden farbintensiven Malerei-Volumen. Kleinere Farb- und Formschichtungen finden sich ebenfalls im Obergeschoß, die auch aufgrund einer perfekten Rahmung das Betrachterauge einmal mehr täuschen. Passen Sie auf, dass es Ihnen nicht wie den Tauben mit den Trauben geht!

Silke Opitz

1 Hier nach: Eberhard König, Caravaggio, Meister der italienischen Kunst. Potsdam 2007, S. 29

only in german

Katja Pudor
Turbulenzen in den Ecken
Kuratoren: Monique Förster, Dirk Teschner