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KIRSTINE ROEPSTORFF
EX CAVE
30.5. – 8.9.2019

Dunkelheit kann vieles sein. In erster Linie ist sie ein physikalisches Phänomen, die Abwesenheit von Licht. Im Hinblick auf die menschliche Psyche aber weckt sie zahlreiche Assoziationen: Wir verbinden sie mit dem Unbewussten, dem Abgründigen, mit Gefühlen der Angst und Unsicherheit; als Metapher steht sie im Wesentlichen für das Unheimliche, das Mystische, den Tod. Dass Dunkelheit aber auch eine neue Sichtweise auf etwas Vorhandenes ermöglichen und ein Ausloten des Wahrnehmbaren bedeuten kann, zeigt die dänische Künstlerin Kirstine Roepstorff im Museum Haus Konstruktiv während der Sommermonate auf eindrückliche Weise.

Kirstine Roepstorff (*1972 in Virum, DK) setzt sich seit mehreren Jahren mit der Dunkelheit und deren Bedeutungen auseinander. Ausgehend von der Beobachtung, dass wir in einer Welt leben, in der Licht – sei es natürliches oder künstliches – für Wahrheit steht und für Erkenntnis, während die Dunkelheit vornehmlich negativ konnotiert ist, interessiert sich Roepstorff für das verborgene sinnliche Potenzial der Dunkelheit als Ort der Kontemplation, Reflexion, Transformation.

In Anlehnung an ihre Präsentation Influenza. Theatre of Glowing Darkness im Dänischen Pavillon an der Biennale di Venezia 2017 und an ihre grosse Soloschau Renaissance of the Night in der Kunsthal Charlottenborg in Kopenhagen 2018 erweitert Roepstorff mit EX CAVE im Museum Haus Konstruktiv ihre Auseinandersetzung mit der Dunkelheit um eine ebenso immersive wie herausfordernde Einzelausstellung. Diese erstreckt sich über einen Ausstellungsraum im dritten sowie über sämtliche Räume im vierten Stock. Angelegt ist sie als eine graduelle Reise vom Licht ins Dunkel, während der das Publikum auf einem ausgeklügelten Pfad eine gebaute, scheinbar karge Landschaft aus Sand, Kies und mit Zement verputzten Wandelementen erkundet. Letztere bereichern die Ausstellungsräume um neue Nischen und kleine Räume und schaffen so eine anregende Kulisse für über 60 Werke der Künstlerin. Sie alle sind in den vergangenen zwölf Jahren entstanden und veranschaulichen, welch unterschiedlicher Materialien, Techniken und Motive sich Roepstorff in ihrer künstlerischen Praxis bedient.

Neben einem sieben Meter langen, in der berühmten Gobelin-Manufaktur von Paris gefertigten Wandteppich werden zahlreiche Tafeln aus Beton präsentiert, die mit einem geometrischen Relief versehen sind. In unterschiedlichsten Grössen – einige von ihnen füllen ganze Wände, während andere eher bildhafte Akzente setzen – verschmelzen die Tafeln mit ihrer Umgebung, sodass sich die Grenze zwischen Ausstellungsarchitektur und -exponaten zusehends auflöst. Einen reizvollen Kontrast zu den gewichtigen Tafeln bilden fein gearbeitete Collagen aus Fotografien, Textilien, Tapeten und anderen Werkstoffen. In ihnen arrangiert die Künstlerin wiederum geometrische, aber auch abstrahierte und figurative Formen zu ausbalancierten, in sich ruhenden kleinen Universen, die sich mühelos in die von Roepstorff über Jahre entwickelte Kosmologie der Dunkelheit einfügen.

Auf dem Prinzip der Collage, also dem Zusammenfügen und Übereinanderschichten von Fragmenten zu einem harmonischen Ganzen basiert auch die Gemäldeserie der Waterings. Dabei handelt es sich um Malereien, deren wolkig-wässriger Pigmentauftrag in feinen Erdtönen auf roher, unbehandelter Leinwand an durch Wasser abgelagerte Sedimentgesteine erinnern. In ihrer horizontalen Ausrichtung wirken die vornehmlich grossformatigen Arbeiten wie abstrakte Landschaften, die sich beinahe schwebend von der Wand in den Raum und auf die Betrachtenden zuzubewegen scheinen.Ein schwacher Luftzug reicht, um die filigranen Mobiles aus Messing in Bewegung zu versetzen, deren reflektierende Oberflächen für ein subtiles Lichtspiel sorgen. Roepstorff interessiert sich aber nicht nur für den visuellen Effekt von Messing, sondern insbesondere für die Resonanzfähigkeit dieses Metalls, das unter anderem für den Bau von Blechblasinstrumenten verwendet wird. In Bewegung erzeugen die von der Decke herabhängenden Gebilde aus Kreisen, Quadraten und Rechtecken Klänge, die auch in der Titelgebung einiger Mobiles, Roepstorff nennt sie Klangmenschen, widerhallen.

Das Eintauchen in Kirstine Roepstorffs kunstvoll-künstliches Höhlensystem schärft die Sinne. Denn die zunehmende Dunkelheit zwingt uns, genauer hinzusehen, und als Resonanzraum lässt sie uns den Klang von metallenen Mobiles oder das Geräusch von Kies und Sand unter den Füssen deutlicher wahrnehmen. Auch körperliche Empfindungen, die in den ungewohnt engen Räumen aufkommen können, werden stärker spürbar. Das Schreiten in die Dunkelheit erfordert Hingabe, die Bereitschaft, sie mit offenen Augen, Ohren und Herzen zu begrüssen, um letztlich nicht nur die Ausstellungsräume, sondern auch unser Inneres und dessen Beziehung zur (Aussen-)Welt zu erkunden, auszugraben, zu exkavieren. Mit EX CAVE hat Roepstorff einen Ort geschaffen, in dem das Publikum für sich, in sich die Möglichkeiten der Dunkelheit Schritt für Schritt, Raum für Raum, erleben kann und – vielleicht – aus dieser Erfahrung neue Denkweisen entwickelt.

Kirstine Roepstorff hat von 1994 bis 2001 an der Königlich Dänischen Akademie der Bildenden Künste in Kopenhagen und an der Rutgers University – Mason Gross School of the Arts in New Brunswick, NJ (2000) studiert. Sie lebt und arbeitet in Fredericia, DK. Ihre Werke waren in zahlreichen Einzelausstellun-gen zu sehen, so z. B. 2018 in der Kunsthal Charlottenborg in Kopenhagen und im Trapholt Museum for Moderne Kunst in Kolding; 2017 auf der 57. Biennale di Venezia; 2014 im Kunstverein Göttingen; 2011 im National Museum of Art, Architecture and Design in Oslo und 2010 im Museum für Gegenwartskunst in Basel.

kuratiert von Sabine Schaschl