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Die französisch-marokkanische Künstlerin Latifa Echakhch (geboren in Khnansa, 1974) thematisiert in ihren Installationen und Videoarbeiten Nationalität, Staat, Gesellschaft, Religion, Geschichte und kulturelles Erbe. Ihre Arbeiten sind formal und sehr vielschichtig konzipiert und sie gebraucht häufig das Symbolische als Bedeutungsträger, so dass sich hinter ihrer formalen Erscheinung tiefer greifende politische, religiöse und soziale Auseinandersetzungen offenbaren.

Poetisch und politisch, delikat und gleichzeitig kritisch, intim aber öffentlich, entzieht Latifa Echakhch gewöhnlichen Gebrauchsgegenständen, kulturell definierten Objekten oder Nationalsymboliken den ursprünglichen Kontext. Ihr Material wie marokkanische Teegläser und arabische Gebetsteppiche, Briefumschläge, Zuckerhüte und -würfel, Carbonpapier, aber auch juristische und politische Dokumente sind Gegenstand und Werkzeug ihrer Arbeiten und erfahren in Echakhchs künstlerischer Umsetzung eine neue, weitere Bedeutung. Sie benutzt und dekonstruiert diese Objekte, so dass das Publikum die sozialen Codes und Stereotypen, die ihnen inhärent sind, differenzierter wahrnehmen kann. Gerade durch diese De- und die darauf folgende Rekontextualisierung wird sowohl das Entziffern als auch das Überwinden sozialer Kodierungen ermöglicht. Als Beispiel hierfür kann die Arbeit Erratum (2004-2009) stehen: Scherben zerbrochener marokkanischer Teegläser liegen am Boden im Ausstellungsraum, so als wären sie gerade an der Wand zerschlagen worden. Das dekorative Motiv der Gläser ist noch sichtbar, aber ihre Benutzbarkeit ist verloren. Die Gläser sind zerstört worden. Es werden Zeichensysteme, welche außerhalb unserer Wahrnehmung von alltäglichen Zusammenhängen liegen, sichtbar gemacht, während weitere Interpretationen den Besucher/innen überlassen werden. Bei der Installation Fantasia (Empty Flag, Black) (2007-2009) montiert die Künstlerin eine Vielzahl schwarzer Fahnenstangen in einer verworrenen, sich überkreuzenden Struktur an der Wand. Die Flaggen fehlen.

Ebenso sensibel wie eindrucksvoll wirken Echakhchs intime und dennoch öffentliche Auseinandersetzungen mit kulturellen Unterschieden, die auch ihre Existenz als marokkanische Immigrantin in Frankreich geprägt haben. So zeigt Latifa Echakhch im Selbstporträt French Touch (2004) halb ironisch, halb kritisch ihre Hand mit den gepflegten Fingernägeln als Symbol für eine – von ihr definierte – „natürliche Integration“. Bezug nehmend auf den ästhetischen Code einer French Manicure, zeigt sie, dass sie diese Kosmetik nicht benötigt: ihre Fingernägel sind von Natur aus weiß. In Principe d´Economie 1 (2005) stehen mehrere aus Marokko importierte Zuckerhüte auf dem Boden. Das phallisch geformte Genussmittel Zucker wirkt in diesem Ausstellungskontext ästhetisch skulptural, während in Principe d´Economie 2 (2005) sich die auf dem Boden verstreuten Zuckerwürfel diesem Arrangement entgegenstellen. Echakhch stellt hiermit nicht nur zwei verschiedene Arten der industriellen Bearbeitung von Zucker dar, sondern auch zwei unterschiedliche Gesellschaftsstrukturen einander gegenüber.

Mit ihrer speziell für die Kunsthalle Fridericianum konzipierten, multimedialen Installation Les sanglots longs, Latifa Echakhchs erster großer Einzelausstellung in Deutschland, kreiert sie eine faszinierende Verschmelzung von literarischen Aspekten mit installativen Objekten und Musik. Les sanglots longs beleuchtet sowohl den Israel-Palästina-Konflikt als auch aus einer sehr dezenten künstlerischen Position den Antisemitismus in Frankreich. Hierzu werden die Nummerierungen der den Israel-Palästina-Konflikt betreffenden UN-Resolutionen als Wandzeichnung gezeigt und diese zudem in Form einer musikalischen Umsetzung – als Partitur für Piano komponiert – als Soundarbeit zu hören sein. Die musikalische Interpretation eines politischen Dokuments, als eine die zusätzlichen Sinne ansprechende Möglichkeit der Übersetzung, dient auch für die Künstlerin selbst als Erweiterung der Verständnisebenen. Vervollkommnet wird dieser Teil der Ausstellung durch die Installation von spitz zulaufenden Zylindern aus Dämmschaum, die in Formation von ausschweifenden Inseln den gesamten Raum ergreifen.

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Latifa Echakhch
Les sanglots longs