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Vor fünfzig Jahren, anlässlich ihrer selbst organisierten Ausstellung in einem leerstehenden Ladenlokal in der Kaiserstraße 31a in Düsseldorf, prägten Manfred Kuttner, Konrad Lueg, Sigmar Polke und Gerhard Richter das Label „Kapitalistischer Realismus“. Lueg und Richter veranstalteten ebenfalls 1963 die legendäre Aktion Leben mit Pop – Eine Demonstration für den Kapitalistischen Realismus im Möbelhaus Berges. Die Ausstellung in der Kunsthalle Düsseldorf arbeitet das Phänomen, das als Synonym für eine kurze Periode einer spezifisch westdeutschen Nachkriegskunst gesehen werden kann, erstmals umfassend auf und beleuchtet seine gegenwärtige Relevanz.

Die Schau dokumentiert die Aktionen der Jahre 1963 bis 1966, in denen die Künstler den Begriff selbst verwandten, und schließt chronologisch mit einer Dokumentation zu René Block, der das Label für seine Galerietätigkeit in Berlin übernahm und politisierte. Wichtiger Vorläufer und Inspirationsquelle war die Fluxus-Bewegung im Rheinland, der eine gesonderte Sektion gewidmet ist. Die für den Kapitalistischen Realismus typische Bildwelt wird in einer Auswahl von mehr als 50 Werken der Künstler in Form von fotografischen Reproduktionen gezeigt. Die Gemälde von Lueg, Polke und Richter – Kuttner ging künstlerisch bald eigene Wege – basierten größtenteils selbst auf Reproduktionen: Die Künstler malten Objekte und Sujets, die sie in Magazinen und Zeitungen vorfanden, was sie auch durch entsprechende Bildausschnitte und Techniken kenntlich machten. Analog zur britischen und amerikanischen Pop Art lehnten sie eine expressive und metaphorische Ausdrucksweise ab und wandten sich stattdessen dem Trivialen ihrer direkten Umgebung zu. Indem sie das Wirtschaftswunder mit seinen fragwürdigen Versprechen auf ein besseres Leben ins Bild setzten und die bürgerlichen Klischees, Werte sowie Verdrängungsmechanismen der Nachkriegszeit zur Schau stellten, dokumentierten sie gleichzeitig ein Stück Zeitgeschichte.

Die Bildwelt des Frühwerks von Lueg, Polke und Richter weist auffällig viele gemeinsame Themen auf, anhand derer sich eine spezifische Ikonographie des Kapitalistischen Realismus herausarbeiten lässt: Konsumartikel und Werbemotive, Interieur und banale Alltagsgegenstände, Frauenbilder, Porträts, bürgerliche Sehnsuchtsorte und vermeintliche Exotik, Freizeitvergnügen, Wettkampf und Sport als neues Identifikationsmoment der Deutschen, das Auto als Sinnbild für Fortschritt und Mobilität. Dabei zeichnet sich der Kapitalistische Realismus durch eine Ambivalenz aus, die Oberflächlichkeit und Frohsinn immer wieder aufbricht. Polkes Würstchenesser scheint am Überfluss über kurz oder lang ersticken zu müssen, Richters aufgeschlitzten Party-Gästen bleibt das Lachen im Hals stecken. Das Grinsen von Polkes Bäcker, einem Motiv aus der Zeitschrift Bäckerblume, gleicht dem gewinnenden Lächeln von Richters Onkel Rudi. Repräsentiert das Bild aus der Werbung karikaturhaft das fröhlich-naive Staunen über die Wirtschaftswunderzeit, zeigt der Mann in Wehrmachtsuniform jene Widersprüche auf, die Richters Generation gegenüber ihrer Elterngeneration zu verarbeiten hatte: Die persönliche Liebe zu seinem Onkel kollidiert mit der politischen Abscheu gegenüber dem System, dem er diente. Häufig wiederkehrende Themen der Reinlichkeit – etwa bei Konrad Luegs Omovertreter – sind nicht nur eine Reminiszenz an Pop- Art-Motive und bürgerliche Häuslichkeit, sondern scheinen auch direkt auf den Wunsch nach „Reinwaschung“ von der Vergangenheit anzuspielen. Dabei ist allen drei Künstlern ein Moment der Distanzierung gemeinsam, das sie jeweils durch die von ihnen verwendeten Techniken erreichen: Richter durch seine charakteristische Unschärfe, Polke durch die Rasterung des Motivs, Konrad Lueg durch die Idee der Dekoration, mit der er die Auslöschung des Individuums betreibt. Eine Mustertapete, wie er sie 1966 für den Galerieraum bei der Hommage an Schmela verwendete, überzieht seine Figurendarstellungen und lässt sie in einem „sonntäglichen Verandaambiente“ (Thomas Kellein) aufgehen.

Die Haltung der Künstler zum Kapitalismus war ebenfalls ambivalent: Einerseits erkannten sie sein emanzipatorisches Potenzial und nutzten bewusst seine Werbestrategien, um sich als Künstler zu inszenieren und ihre eigene Karriere voranzutreiben. Andererseits führten sie seine Vulgarität durch entsprechende Bildzitate vor. Der programmatische Pressetext zur Ausstellung in der Kaiserstraße erklärte Malerei zu einer moralischen Handlung und behauptete, dass es den Künstlern nicht darum ginge, gute Bilder zu malen. Der Verzicht auf Originale scheint dem ironischen Umgang der Künstler mit ihren eigenen Arbeiten somit am Nächsten zu kommen, vermieden sie doch selbst jegliche Auratisierung ihrer Werke. Ein Bild wie Gerhard Richters Neuschwanstein, welches 1963 als eine Art Dekorationsobjekt im Rahmen des Happenings Leben mit Pop im Möbelhaus Berges hing oder 1964 im verschneiten Vorgarten der Villa Parnass in Wuppertal stand, wird heute vor allem mit seinem Millionenwert assoziiert. Der Rückgriff auf Reproduktionen ist eine Möglichkeit, die Radikalität der damaligen Aktionen in die Gegenwart zu übersetzen und einen neuen Blick auf das Frühwerk der Künstler zu werfen.

Eine weitere Aktualisierung erfährt die Schau durch den Beitrag des amerikanischen Konzeptkünstlers Christopher Williams, der seit 2008 als Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie lehrt. Williams beschäftigt in seiner eigenen künstlerischen Arbeit die Frage, was den Kapitalistischen Realismus heute ausmacht und widmet sich den Oberflächen des Alltäglichen, die er in aufwendigen Verfahren fotografieren lässt. Für diese Ausstellung hat er das Außen-Banner entworfen und ein Filmprogramm zusammengestellt, welches sowohl Künstlerfilme als auch Hollywoodproduktionen und Werbeclips umfasst. Diese sind auf Monitoren wie Kommentare an unterschiedlichen Stellen in der Schau platziert.

Die gemeinsam mit den Berliner Architekten Kuehn Malvezzi entworfene Ausstellungsarchitektur macht durch vergrößerte historische Fotos von Manfred Kuttner, Rudolf Jährling und Reiner Ruthenbeck die Atmosphäre der Zeit lebendig und verweist durch lange Passagen, schaufensterähnliche Vitrinen und massenproduziertes Mobiliar auf zentrale Aspekte des Kapitalistischen Realismus. Die Ausstellung wird zu einem Erfahrungsort, an dem sich die 1960er Jahre mit der Gegenwart facettenreich überschneiden.

Im Laufe der Ausstellung erscheint eine umfassende Publikation im Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln. Mit Texten von Eckhart J. Gillen, Marc Godfrey, Walter Grasskamp, Susanne Rennert, Dietmar Rübel, Elodie Evers, Magdalena Holzhey, Gregor Jansen u.a. Preis: 35 Euro

Die Ausstellung wird im April 2014, parallel zur Retrospektive von Sigmar Polke im MoMA, im Artists Space, New York gezeigt.

21. Juli – 29. September 2013 Leben mit Pop. Eine Reproduktion des Kapitalistischen Realismus Manfred Kuttner, Konrad Lueg, Sigmar Polke und Gerhard Richter Mit einem Beitrag von Christopher Williams Kuratoren: Elodie Evers, Magdalena Holzhey, Gregor Jansen Kuratorische Betreuung der Sektion Fluxus und zu René Block: Susanne Rennert

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Leben mit Pop
Eine Reproduktion des Kapitalistischen Realismus
Gerhard Richter, Konrad Lueg, Sigmar Polke und Manfred Kuttner
Mit einer Intervention von Christopher Williams

künstler:
Gerhard Richter, Konrad Lueg, Sigmar Polke, Manfred Kuttner, Christopher Williams

kuratoren:
Elodie Evers, Magdalena Holzhey, Gregor Jansen