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Im Jubiläumsjahr „10 Jahre Kunstmuseum im KKL Luzern“ wartet das Kunstmuseum Luzern wieder einmal mit einer ambitionierten thematischen Ausstellung auf. LEBENSZEICHEN knüpft an die erfolgreiche Luzerner Ausstellungstrilogie Another World: 12 Bettgeschichten (2002), me&more (2003) sowie a kind of magic (2005) an.

Das Kunstmuseum Luzern befindet sich seit 2000 im KKL Luzern, erbaut vom französischen Stararchitekten Jean Nouvel. Es verfügt direkt unter dem imposanten Dach des KKL über hervorragende Ausstellungsräume und dank dem weltberühmten Konzertsaal über eine hochkarätige Nachbarschaft, beispielsweise im Rahmen von Lucerne Festival, dem internationalen Top-Event im Bereich.der klassischen Musik.

Die Ausstellung LEBENSZEICHEN verfolgt einen doppelten Zweck: Zuerst will sie nichts anderes, als mit ausgesuchten Werken ein unmittelbares und eindrückliches Kunsterlebnis zu ermöglichen. Als Zweites möchte sie ein Nachdenken über die Ursprünge und Entwicklungen der Kunst anregen sowie über ihr grundsätzliches Vermögen, etwas Bedeutsames in die Welt zu stellen. Ihre besondere Spannung bezieht sie daraus, dass zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler altes, künstlerisch überliefertes Wissen in ihre Werke einfliessen lassen, um damit der Befindlichkeit des 21. Jahrhunderts eine Perspektive zu verleihen.

Imagination, Abstraktion, Narration: Von ihren Ursprüngen im Paläolithikum bis ins heutige 21. Jahrhundert setzt sich die Kunst mit den grossen Lebensfragen auseinander. Es mag paradox anmuten, aber die bildende Kunst ist besonders geeignet, immaterielle Güter wie Prinzipien oder Werte fassbar und begreifbar zu machen. Diese werden zum Einen mittels figürlichen Bilderfindungen, beispielsweise in Form von (göttlichen oder dämonischen) Personifikationen, imaginiert. Ein anderes traditionelles künstlerisches Stilmittel ist die Reduktion. Sie bündelt komplexe Gegebenheiten in einfache, abstrakte oder ornamentale Formen. Schliesslich gibt es den zeitlosen kulturellen Ausdruck der Narration, der in Geschichten, Mythen und Ritualen weitergegeben wird und auch einen performativen Charakter aufweist. Diese drei künstlerischen Prinzipien bestimmen die Struktur der Ausstellungsdramaturgie mit.

Ausstellungsrundgang

Die erste Sektion der Ausstellung LEBENSZEICHEN wird von einem Prolog eingeleitet. Nancy Speros exemplarisches Schlüsselwerk Black and the Red III (1994, Privatsammlung Brüssel) führt in einer 50 Meter langen Passage in eine Welt der bildlichen Vorstellung ein und mündet in einen Ausstellungssaal, der auch als „Göttinnenraum“ bezeichnet werden könnte. Nicht zufällig schliessen hier mit Louise Bourgeois (Fragile Goddess, 1970) und Ana Mendieta (Ánima. Silueta de Fuego, Video, 1976) zwei weitere grosse Pionierinnen der Kunst der 1960er und 1970er Jahre an. Zusammen mit Spero bilden sie ein kleines historisches Fundament dieser Ausstellung. (Es ist bedauerlich, dass nach der 1985 verstorbenen Ana Mendieta nun auch die anderen beiden nicht mehr unter uns sind. Spero und Bourgeois waren noch aktiv in die Auswahl ihrer Werke für diese Ausstellung involviert waren, sind dann aber im Herbst 2009, bzw. im Frühjahr 2010 leider verstorben.) Die Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit, mit der die jüngeren Künstlerinnen und Künstler mit existenziellen Themen und Rückgriffen auf alte Symbole und Mythen umgehen, wäre ohne die Basisarbeit der Generationen der 1960er und 1970er Jahre nicht denkbar. Kiki Smith ist eine weitere Schlüsselfigur. Wir verdanken es ihrem persönlichen Einsatz, dass sie hier mit drei ihrer bedeutendsten Skulpturen – Lilith (1994, Metropolitan Museum of Art), Eve (2001, The Pace Gallery) und Virgin Mary (1992, Besitz der Künstlerin) – vertreten ist. Wenn sie diese drei grossen Figuren der Kultur- und Religionsgeschichte bildlich neu fasst, geht es um die Reflexion über den Umgang mit göttlichen Prinzipien und Mythen, über die Prägung, die diese im Verlaufe der Geschichte erfahren haben, und – in der Rückführung zu ihren undogmatischen Ursprüngen – um den Versuch, Ihnen für die heutige Zeit eine Gültigkeit zu verleihen.

Zwei weitere Positionen widmen sich auf unterschiedliche Weise dem Motiv der Medusa: Marina Abramovi? mit einem Video ihrer ersten Performance nach der Trennung von ihrem Lebens- und Künstlerpartner Ulay, Dragon Head #4 (1990), und der belgische Künstler Peter Buggenhout mit seiner Gorgo #8 (2007), einem abstrakten Gebilde aus Haar, Blut und Dreck. Schliesslich stellt die schwedische Künstlerin Nathalie Djurberg (erhielt 2009 den Silbernern Löwen der Biennale Venedig für die beste Nachwuchskünstlerin) mittels animierter Plastilinskulpturen eine bösartige Geschichte mit mythischem Potenzial vor.

Als Bindeglied zum zweiten Ausstellungsteil fungiert die Videoarbeit Dead Sea (2005) von Sigalit Landau (wird Israel an der Biennale Venedig 2011 vertreten). Hier im Zentrum der Ausstellung (und nicht zufällig auch auf dem Plakat) schält sich die Künstlerin in einer zugleich poetischen wie hoch politischen Performance als „junge Göttin“ des 21. Jahrhunderts aus einer auf dem Toten Meer treibenden Spirale von Wassermelonen und verbindet damit augenfällig die drei Prinzipien der Imagination, Abstraktion und Narration.

Das zweite Kapitel der Ausstellung LEBENSZEICHEN umfasst drei Räume. Sie widmen sich der Bedeutung von Zeichen, Symbolen und Ornamenten in der heutigen Zeit. Der algerisch-stämmige Adel Abdessemed kombiniert im Werk God is Design (2005) in einer rhythmischen Zeichnungsanimation Motive aus dem Formenschatz der drei grossen monotheistischen Weltreligionen mit mikrobiologischen Ansichten von Zellstrukturen, während Mariella Mosler in der Tradition der sog. „Haarkunst“ aus Menschenhaar gehäkelte Kleinode herstellt. Eine Exklusivität stellt das Kabinett dar, das Philip Taaffe speziell für Luzern geschaffen hat. Dieses Sanctuarium enthält die Summe von Taaffes jahrzehntelanger Beschäftigung mit dem Leben der Formen aus Kultur und Natur.

In ihrem dritten Teil thematisiert die Ausstellung LEBENSZEICHEN Mythen, Geschichten und Rituale. Ein erster Raum enthält mit Amar Kanwars The Lightning Testimonies (2007) eine der meistbeachteten Arbeiten der documenta 12 von 2007. Diese 8-Kanal-Videoinstallation zeugt vom Bestreben des indischen Filmemachers, Bilder wider das Vergessen zu finden. Die Sequenzen handeln vom Versuch indischer Bevölkerungsgruppen, ihre durch kriegerische, politisch oder religiös motivierte Konflikte existenziell bedrohte Lebenssituation dank der Rückbesinnung auf ihre Traditionen zu verarbeiten.

Nach einem Zwischenhalt auf der Insel des „Waqwaq“-Orakelbaums, der in vielen Mythologien, so auch in der Alexanderlegende, auftaucht und hier durch die indische Künstlerin Bharti Kher eine überraschende Aktualisierung (Solarum Series I, 2007-2008 aus der Sammlung Ursula Hauser) erfährt, mäandriert die Ausstellung weiter und der Weg führt die Besucherinnen und Besucher direkt über die Bodenarbeit Proposition de détour von Su-Mei Tse (Yeh Rong Jay Culture and Art Foundation, Taiwan). Es handelt sich dabei um eine gegenseitige Überlagerung der frühgeschichtlichen Labyrinthform, seiner vielleicht berühmtesten Umsetzung in der Kathedrale von Chartres und des Topos’ des persischen Paradiesgartens. Dieser findet im angrenzenden Saal in der gigantischen Fotoarbeit World of Plenty (2005-2006) der finnischen Künstlerin Tea Mäkipää ein neuzeitliches Pendant. Das 26 Meter lange paradiesische „Weltenbild“ verführt und verwirrt, denn es pendelt zwischen Utopie, Vision und Illusion.

Die Ausstellung endet in einem Epilog, der die verbindende Thematik buchstäblich wieder auf den Boden von hier und heute zurückführt. Der afroamerikanische Künstler Sanford Biggers verwendet den Tanz als kulturenübergreifendes Ausdrucksmittel. Im Video Creation/Dissipation betanzen Hip-Hopper ein Sandmandala und führen die fundamentalen Prinzipien von Werden und Vergehen, von Ordnung und Chaos vor Augen.

Die als Passage angelegte Ausstellung lebt von ihrer Vielfalt, auch hinsichtlich der verwendeten Medien. Verbindendes Element sind die Rückgriffe der Künstlerinnen und Künstler auf Motive und Inhalte, die in alten Zeiten, ja oft in der Frühgeschichte wurzeln. Ihr Jahrhunderte langer Gebrauch verleiht diesen eine grosse Kraft und ein ungeheuer reiches Bedeutungspotenzial. In der zeitgenössischen künstlerischen Neuinterpretation sind diese Darstellungen geeignet, auch heute noch zu einem vertieften Verständnis der menschlichen Existenz beizutragen. Sie versinnbildlichen archetypische und universale Prinzipien, dienen der Konstruktion von Weltentwürfen wie auch dem Versuch, die Welt zu erklären – heute, im 21. Jahrhundert nicht anders als zu Beginn der Kultur des modernen Menschen vor 35'000 Jahren.

Katalog Zur Ausstellung erscheint eine reich illustrierte Publikation mit Texten zu allen ausgestellten Werken: LEBENSZEICHEN. Altes Wissen in der zeitgenössischen Kunst / SIGNS OF LIFE. Ancient Knowledge in Contemporary Art. Herausgegeben von Peter Fischer und Brigitt Bürgi, mit Texten von Peter Fischer und Katja Lenz sowie einem Essay von Natalie Fritz, Monika Glavac, Anna-Katharina Höpflinger, Marie-Theres Mäder und Daria Pezzoli-Olgiati. Luzern: Kunstmuseum Luzern; Heidelberg: Kehrer- Verlag, 2010. Deutsch/Englisch, 144 Seiten, gebunden. ISBN 978-3-86828-161-3).

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LEBENSZEICHEN
Altes Wissen in der zeitgenössischen Kunst
Kuratoren: Peter Fischer, Brigitt Bürgi

Künstler: Adel Abdessemed, Marina Abramovic, Sanford Biggers, Louise Bourgeois, Peter Buggenhout, Nathalie Djurberg, Amar Kanwar, Bharti Kher, Sigalit Landau, Tea Mäkipää, Ana Mendieta, Mariella Mosler, Kiki Smith, Nancy Spero, Philip Taaffe, Su-Mei Tse