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Die Leichtigkeit eines Werkes statt seine Gewichtigkeit zu betonen, erscheint zunächst überraschend. Italo Calvino hatte den ersten seiner Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend mit "Leggerezza" betitelt. Calvinos poetologische Ausführungen über die Leichtigkeit entwickelten große Suggestivkraft.

Die Leggerezza dient der Ausstellung als gedanklicher Ausgangspunkt. Gezeigt werden Werke junger italienischer Künstler, die, jeweils große Intensität entfaltend, ausdrücklich ihre Intention betonen, piu leggero di cosi (so leicht wie möglich) zu arbeiten. Dazu dient die Verwendung "leichter" Materialien: Gummi statt Bronze, Gips und Sand statt Marmor, Papier statt Stein, Licht und Duft anstelle von Materie und Mikrochips anstelle von Architektur. Kennzeichnend für die ausgewählten Werke sind weiterhin die minimalen künstlerischen Eingriffe sowie einfachste Gesten, die die Differenz zwischen dem Nichts und dem Fast-Nichts, zwischen Kunst und Nicht-Kunst ausmessen, und nicht zuletzt die feine Ironie.

Ist es denn überhaupt möglich, eine Leggerezza der italienischen Kunst zu thematisieren, ohne dabei zugleich doch wieder eine Italianität zu konstruieren oder alte, mit dieser verbundene klischeehafte Vorstellungen (Betonung des Schönen, Dekorativen, Klassischen etc.) zu reaktivieren? Auftakt der Ausstellung bildet eine Installation von Luca Vitone, der genau jene Mechanismen einer Schaffung von Identitätskonstrukten untersucht. Der Titel Stundàiu für seine Installation ist nicht übersetzbar, es ist ein im genuesischen Dialekt entstandenes Kunstwort, das die Mischung all der verschiedenen und widersprüchlichen Charaktereigenschaften bezeichnet, die dem typischen Genueser zugeschrieben werden. Vitone schafft ein Modell seiner Heimatstadt, das sich aus subjektiven Erinnerungen und objektivierten Erfahrungen zusammensetzt, das er dem Ausstellungspublikum durch eine begehbare kulissenhafte Architektur vermittelt, das aber gleichzeitig über den Tast- und Geruchssinn (die Kieselsteine der strada genuese und den Duft des Meeres) 'authentische' Erfahrungen evoziert. Wir werden über unsere Sinne verführt, aber zugleich wird - mit einem Augenzwinkern - alles als Klischee offenbart.

Mit ebenso feiner Ironie bringt Diego Perrone durch einen geringfügigen Eingriff am Computer 100 Könige zum Lächeln. Befreit von der Last der Historie und vereint im gleichförmigen Lächeln rücken sie uns nahe - in einer fast unerträglichen Aufdringlichkeit. Das Lächeln wird zur universellen Sprache, die aber letztlich nichts preisgibt. Zu universalsprachlichen Zeichen werden auch die Umarmungen von Menschen und Tieren, die Eva Marisaldi in Skin über stark vereinfachte Umrisse auf Gipstäfelchen fixiert. Das Flüchtige wird in die Dauergebannt, das Individuelle objektiviert zu einer kollektiven Erfahrung. Die Körper sind ihres Gewichts beraubt - weiß auf weiß erscheinen sie als zarte Zeichnung im Relief. Innerhalb des Spektakels der Weit sucht die Künstlerin die Subtilität. So begann sie für eine Serie von Fotografien, mit dem Licht als dem immateriellsten und flüchtigsten aller künstlerischer Mittel zu zeichnen und dieses solchermaßen zu modulieren, dass partielle Verdichtungen des Raumes entstehen, wobei die Unschärfe Bewegung suggeriert.

Massimo Bartolini, der mit seinen Performances, skulpturalen Einbauten sowie Lichtinszenierungen raumbezogen arbeitet, thematisiert in seiner Arbeit für das Lenbachhaus ebenso wie Mario Airò die Materialisierung des Immateriellen und die erneute Auflösung der Materie über das Medium des Lichts. Mit seiner Porta gialla, einer gelbes Licht abstrahlenden Tür innerhalb des in Gelb gestrichenen Franz Marc-Raumes schafft er neue Zusammenhänge, verschließt und öffnet er zugleich. Auch Anna Muskardins Konvex- und Konkavskulpturen werden in ihrer Materialität überwunden durch Licht. Sie greift in diesen Arbeiten Elemente der italienischen Folklore (z.B. die Festbeleuchtung öffentlicher Plätze) auf.

Paolo Parisi, der sich als einziger der hier versammelten Künstler hauptsächlich der Malerei widmet, schafft monochrome Bilder, in denen ein flächiger Acrylfarbauftrag die vorher aufgetragene monochreme Ölfarbe überlagert. Das Zeichen (eine geographische Skizze) wird an den Bildrand gedrängt oder wird in den Farbverläufen als Spur sichtbar. Dem Bild wird seine "Fülle", die Last seiner Geschichte gleichsam entzogen, das Gewicht genommen.

Loris Cecchinis Bodenarbeit zeigt einen riesigen Schmutzhaufen, in dem verschiedene Gegenstände sichtbar werden. Wie Rodin in seinem Höllentor hat Cecchini hier im Miniaturformal den Kanon von bisher geschaffenen Werken untergebracht. Die durchgehende Verwendung von grauem Gummi als Material für seine plastischen Werke verweist auf historische Traditionen: auf die arte povera, auf Alberto Burris geschmolzene Plastikfolien, aber vor allem auf Claes Oldenburgs soft sculptures und die Erfahrungen des Schmelzens.

Während Loris Cecchini den Boden mit seinem Gummiguß überzieht, besetzt Gianni Caravaggio den Raum nur in einer minimalen Geste. Drei Papierskulpturen, die aus aufeinandergeschichteten Papierbögen bestehen, nehmen die Grundstruktur des Steinbodens auf und führen die Bewegung in der Drehung des Stapels fort. Einen abstrakten Gedanken sensuell erfahrbar werden zu lassen - darum geht es dem Künstler. Außerdem greift er ein zentrales Thema italienischer Kunst auf - das der Verschränkung von physischem und geistigem Raum -, das seit Fontanas concetto spaziale und später der arte povera in spazio, bei der gleichsam das "Loch in der Psyche" thematisiert wurde, immer wieder eine wichtige Rolle spielt. Während Caravaggios Skulpturen sich in ihren Volumina im Raum ausdehnen, erscheinen sie im Inneren ausgehöhlt, und die Schnittstellen bilden konzentrische Kreise, die den hier definierten Raum ins Unendliche zu spiegeln scheinen.

Auch Luca Pancrazzi spielt mit dem Thema des inneren - geistigen - und äußeren - physischen Raumes. Seine Skulpturen beziehen sich auf die Dimensionen des menschlichen Körpers und der Architektur; etwa auf Augenhöhe ist ein Sehschlitz angelegt, durch den der Betrachter die Silhouette einer Stadt in kleinem Maßstab wahrnimmt. Diese ist aber aus Mikrochips als einem Material konstruiert, das üblicherweise nicht nach außen als solches in Erscheinung tritt und kaum Eigengewicht hat, stattdessen, im Inneren verborgen, für das Funktionieren komplexer computergesteuerter Vorgänge sorgt. Pancrazzi treibt die Täuschung noch weiter, denn die Mikrochips steuern Videokameras, die den Betrachter aufnehmen und ihm an anderer Stelle ein Bild zurückspiegeln. Nicht nur die Schaffung mentaler Räumlichkeiten, die Reflexionen über die Wahrnehmung, die Befreiung von der Last der Geschichte, die Suche nach der Subtilität und die Zeit sind Themen, die die ausgewählten Künstler miteinander verbinden, sondern auch der Sinn für die Einfachheit, für die unscheinbare Geste. Perrones emphaseloses Videoporträt eines Gänsepaares, das sich vor der Kamera (zufällig) zu ornamentalen Formationen aufstellt, ist genauso zu nennen wie sein Video La periferia va in battaglia, bei dem nichts anderes geschieht, als dass zwei Alte auf einer Bank sitzen und vor sich hinblicken und dass Schildkröten ins Bild laufen. Die Schildkröte mit ihren faszinierenden Attributen, wie dem Panzer, ihrem archaischen Aussehen, ihrer großen Lebensspanne und nicht zuletzt ihrer Langsamkeit, kann auch als ein Symbol der Sehnsucht nach dem Rückzug aus der lauten, hektischen Welt gelesen werden.

Zur Ausstellung erscheint ein deutsch-italienischer Katalog (112 S., Farbabb.) mit Texten von Giovanni Iovane und Marion Ackermann sowie einem Vorwort von Helmut Friedel und Kommentaren von Pirkko Rathgeber.

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Leggerezza
Ein Blick auf zeitgenössische Kunst in Italien
Kuratorin: Marion Ackermann

mit Luca Vitone, Diego Perrone, Massimo Bartolini, Paolo Parisi, Loris Cecchini, Gianni Caravaggio, Luca Pancrazzi ...