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Lewis Baltz war von jeher ein Topograf und ein Formenscout. Seine Fotoserien haben Orte dokumentiert, die als Nebeneffekte der industriellen Zivilisation außerhalb der kanonischen Wahrnehmung lagen; Brachlandschaften, Industriegebiete, Lagerhallen. Und sie haben räumliche Formen, die im Alltagsraum enthalten waren, in ihrer Korrespondenz mit avancierten Kunstformen thematisiert. Schutthaufen erschienen als Skulpturen der Land Art, Schriftzüge auf Schaufenstern als konzeptuelle Kunstwerke, Lampen und Fensterrahmen als ortsspezifische Objekte im Sinne der Minimal Art. Beide Strategien enthielten ein reflexives Wissen über die Fotografie, indem sie den Fotografen als einen Lehrer des Sehens einsetzten, der in reduktiver Geste sichtbar macht.

Diese beiden charakteristischen Eigenschaften der Arbeit von Lewis Baltz sind auch in der Serie 89/91 (1989-1991) wirksam. Allerdings vereinigen sich Formenscout und Topograf hier in der Figur des Spions. Er dringt in gesellschaftliche Arkanbereiche vor und findet dort, in der Funktionalität der High-Tech Arbeitswelt und in der Gestaltung der Computertechnologien Prototypen moderner Formgebung an der Grenze von Kunst und Design.

Der schleichende Übergang von Industrial Park (1974) zu 89/91 bringt auch einen historischen Wandel zum Ausdruck, dessen Zeuge wir sind: den Übergang von der industriellen zur postindustriellen Gesellschaft, in der ein mediatisiertes Wissen, das sich in geheimen Kanälen bewegt, an Relevanz gewinnt.

Baltz dringt mit 89/91 in Sphären vor, denen eine geheimnisvolle Aura der Technologie anhaftet. Mit ihnen verbindet sich die Erwartung, dass dort Wesentliches geschieht, dass in den elektronischen Schaltzentren auch die Entwicklungslinien gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen vorgezeichnet sind. Davon ist in 89/91 jedoch konkret nichts zu sehen. Tatsächlich setzt sich das Rätsel in den Bildern noch fort. Das Geheimnis der Technologie wird nicht gelüftet, sondern reproduziert. Die technischen Geräte bleiben so abstrakt, wie jene seltsamen Computergrafiken, denen Baltz den Kontext und Verwendungszusammenhang genommen hat. Andere Bilder sind Überwachungsvideos entnommen. Baltz erscheint als ein Spion unter Spionen, seine Kamera als eine Kamera unter Kameras. Diese Metaspionage ist nicht frei von Ironie und erst recht nicht von ästhetischer Reflexivität. Denn die Frames, die Lewis Baltz aus den Überwachungsvideos herausschneidet, erinnern deutlich an seine früheren Arbeiten - nämlich an die Arbeiten des Formenscouts und Topografen der 60er und 70er Jahre. Die Überwachungskamera wird damit zur écriture automatique und zur Wiederholung eines fotografischen Programms, das Baltz selbst einmal realisiert hat. Eine gespenstische Wiederkehr.

Natürlich ist die investigative Heimlichkeit der Serie auch Schein. Baltz betritt die Parallelwelt der Technikzentren mit Genehmigung und die längere Belichtungszeit ist der flüchtigen Heimlichkeit des Spions fremd. Gerade diese taktile Exaktheit seiner Bilder, die durch die kontemplative längere Belichtungszeit sichtbar wird, die massive Präsenz der Oberflächen, verdeutlicht jedoch den Geist der Baltz’schen Spionage. Mit Akribie zeigen sie uns etwas, das nicht sichtbar ist. Die Technologien befinden sich, eingehüllt in Kunststoffgehäuse und versteckt in Kanälen aus Glasfasern und Kupferdraht, jenseits des visuellen Universums.

Baltz deckt Unsichtbares auf und enthüllt nichts. Letztlich ist dieses Interesse an Oberflächen, an Formen, Farben und Materialien der Schlüssel zum Geheimnis der Fotografie, dem Lewis Baltz in 89/91 nachspürt.

Die Publikation Lewis Baltz - 89/91 erscheint im Steidl Verlag.

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Lewis Baltz
89/91