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Liquid Crystal präsentiert vierzehn, teilweise sehr heterogene Positionen der zeitgenössischen abstrakten Malerei. Sie geben mögliche Antworten auf die Frage, was es heute, fast hundert Jahre nach Beginn der Klassischen Moderne heißt, als Künstler "modern" zu sein.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand in Deutschland eine auf Sachlichkeit und klare funktionale Formensprache ausgerichtete Bewegung, die Walter Gropius im Bauhaus formierte. Zeitgleich bestand auch eine mystisch romantische Haltung, deren meist kristalline Farb- und Raumwelten von einer Sehnsucht nach etwas Höherem bestimmt waren. Der Kristall war die zentrale Metapher dieser expressionistischen Kunst- und Architekturvorstellung, zu deren Protagonisten Künstler wie Lyonel Feininger und Architekten wie Bruno Taut gehörten. Die Dreieinigkeit des Kristalls aus fester Form, Transparenz und Reflexion veranschaulichte Ganzheitlichkeit. Obwohl beide Bewegungen ein ähnliches Gesellschaftsmodell zum Ziel hatten, waren sie damals ideologisch unvereinbar.

Der Titel Liquid Crystal ist assoziativ und spielt mit dem häufig wiederkehrenden Motiv der kristallinen Form. Er bezieht sich auf die damit verbundenen Visionen und Utopievorstellungen des frühen 20. Jahrhunderts. Doch steht dabei der "Auratransfer" dieser aufgeladenen Symbolik, dieser Formensprache und dieser mittradierten Ideologien von damals bis in die heutige Gegenwart sinnbildlich für die Herangehensweise der KünstlerInnen in der Ausstellung.

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Warum dieser Rückgriff auf Haltungen und Stilelemente der Moderne, im wesentlichen auf die 20er Jahre, bei einigen KünstlerInnen aber auch auf die 50er und 60er Jahre? Besonders diese Dekaden sind mit einer gesellschaftlichen Utopie und dem Versuch verbunden, neue Gesellschaftsmodelle zu entwickeln, wobei die Vorteile einer heilbringenden Mechanisierung und Technologisierung der Welt beim Einzelnen die Hoffnung nach Verbesserung nicht nur der gesellschaftlichen Umstände, sondern auch des persönlichen Lebensgefühls auslöste.

Gerade in der jetzigen "Geiz ist geil"-Gesellschaft liest sich aus dieser - vielleicht sogar strategisch motivierten - Besinnung der KünstlerInnen auf Vergangenes, der Versuch, dem Sog wirtschaftlicher und damit auch persönlicher Depression zu entgehen. Das geschieht, indem sie bestimmte, mit Sehnsucht verbundene Stilmittel reanimieren, denen sie durch ihre "Umdeutung ins Heute" einen neuen Wert für sich selbst geben. So benutzen die KünstlerInnen in ihren Arbeiten ganz unterschiedlich auch Aspekte von Schönheit und Proportion, Handwerklichkeit und Materialität, wobei sie diese Werte und Mittel jeweils hinsichtlich ihres Einsatzes bei der Arbeit befragen: Lapidare Materialien erzielen direkte Wirkung und ersetzen starre Perfektion, der Farbauftrag und sein Träger werden bis an ihre Grenzen hin untersucht.

Auf den ersten Blick scheinen die gezeigten Arbeiten keine sichtbare Einheit zu bilden. In der Ausstellung wird man mit verschiedenen Bereichen der Malerei konfrontiert, die sich als Bildfindung hin zur raumbezogenen Installation erweitern kann. Manche Arbeiten konzentrieren sich mehr auf analytische Lösungen, andere betonen den mystischen und poetischen Ansatz. Bestimmte Vorlieben für Design und Dekor bilden weitere Motive, die sich in einem streng geometrisch-konstruktiv orientierten Ansatz äußern.

Der Titel Liquid Crystal verweist auch auf den Begriff "Liquid Crystal Display" (LCD- Anzeige) und untersucht diesen Begriff im Sinne der Postmoderne und deren Verwendung der kristallinen Form als Teilchen, aus denen sich eine Bildschirmanzeige zusammensetzt. Pixel bilden keine zweidimensionalen Bilder, sondern einen mentalen, geistigen Raum, durch den der Betrachter in eine andere Welt absorbiert wird.

Wie einzelne Splitter oder Fraktale bilden die hier gezeigten künstlerischen Positionen zusammen ein facettenhaftes Bild ab und ergeben einen bildhaften Raum. Es geht um "Image Making", als ein räumlich aufzufassendes Konstrukt, wobei die Beschäftigung mit den noch offenen Fragen der abstrakten Moderne und deren Bezug zu heute eine wichtige Rolle einnimmt, ohne einen festen Stil zu bilden. Vielmehr geht es um das Künstler-Individuum, das sich im persönlichen Rückgriff auf die Moderne derer Elemente bedient, um zu bestehen. Unabhängig von einem gemeinsamen Stil geht es ihnen mehr um ein Lebensgefühl und um eine Sehnsucht. Hier sind sie verwandt mit ihren Vorgängern aus der Moderne, ohne jedoch dabei ideologisch aufgeladen zu sein. Dies macht es ihnen heute auch möglich, immer wieder Kooperationen, Konstellationen und Cluster zu bilden, was sich in der Auswahl der Künstler dieser Ausstellung als wahlverwandtschaftliches Netzwerk widerspiegelt. Exemplarisch begannen viele ihrer Biografien in den 90er Jahren an der Münchner Kunstakademie, von der aus dann eine Bewegung zunächst nach Berlin stattfand. Der geistige Austausch der Künstler untereinander und zwischen den Städten blieb lebendig und eröffnete für sie weitere Modelle für Ausstellungsaktivitäten und Beziehungen z.B. nach Düsseldorf, von dort wieder zurück nach Berlin oder München und von dort aus wieder ein Austausch mit Künstlern aus Wien, Glasgow und Los Angeles stattfand. Bei allen Künstlern scheint es um das Formulieren einer geistigen Haltung zu gehen, die ein allgemein stattfindendes, gesellschaftliches Jammern, durch individuelle Hoffnungen und Sehnsüchte ersetzt. Ihre Kunst wird jedoch nicht mehr absolut gesetzt, sondern relativiert sich im gleichen Moment selbst. Heute gibt es ein selbst-verständliches Nebeneinander von abstrakt und gegenständlich/figurativ und vielleicht ist ihre verstärkte Beschäftigung mit Malerei als Mittel zur inhaltlichen Selbstpositionierung auch als Reaktion auf den Erfolg gegenständlicher Malerei der letzten Jahre zu lesen. Oder aber auch als eine Art Sehnsucht nach etwas Einfachem und Offenem, was sich in der lapidaren und pragmatischen Materialwahl einiger Künstler widerspiegelt. Oder auch das Spiel mit der, an die abstrakten Formen der Moderne verknüpften Verheißung aus der abgeklärten Sicht des 21. Jahrhunderts, die weniger die Form als die damit verbundene Verheißung zitiert.

Teilnehmende Künstler Eva Berendes (Berlin), Hansjörg Dobliar (München), Matthias Dornfeld (Berlin), Stephan Fritsch (München), Fanny Geisler (München), Andreas Korte (Düsseldorf), Florian Morlat (Los Angeles), Robert Orchardson (London), Bernd Ribbeck (Berlin), Gitte Schäfer (Berlin), Gabriel Vormstein (Berlin), Claudia Wieser (Berlin), Jens Wolf (Berlin), Alexander Wolff (Berlin)

Pressetext

only in german

Liquid Crystal
kuratiert von Courtenay Smith, Claudia Wieser

mit Eva Berendes, Hansjörg Dobliar , Matthias Dornfeld, Stephan Fritsch, Fanny Geisler, Andreas Korte, Florian Morlat, Robert Orchardson, Bernd Ribbeck, Gitte Schäfer, Gabriel Vormstein, Claudia Wieser, Jens Wolf, Alexander Wolff