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Was bedeutet es heute, in einer globalisierten Welt Kunst zu machen? Die von den chinesischen Gastkuratoren Carol Yinghua Lu und Liu Ding im Museion betreute Themenausstellung 2013 untersucht in einer 360-Grad-Analyse unterschiedliche Akteure des Kunstbetriebs: Künstlerinnen und Künstler etwa, Kuratorinnen und Kuratoren, die Kunstkritik oder die Kunstverlage.

In einer Kunstlandschaft, in der mediale Aufmerksamkeit, die Besucherzahlen und die Reaktion des Kunstmarkts zu entscheidenden Erfolgsfaktoren für künstlerisches Schaffen werden, stellt „Kleine Bewegungen II“ Praktiken vor, die sich durch ein starkes individuelles Engagement dem „System“ und damit einer festgefügten Hierarchie von Machtstrukturen entziehen. Im Museion in Bozen setzten die beiden Kuratoren die Recherchen der Ausstellung „Little Movements“ fort, die 2011 im OCT Contemporary Art Terminal in Shenzhen (China) gezeigt wurde.

In ihrer im zweiten und dritten Stock des Museion aufgebauten Ausstellung präsentieren die Kuratoren 17 Praktiken – künstlerische Arbeiten, kuratorische und institutionelle Projekte und kunstgeschichtliche Forschungsvorhaben –, die sich als unabhängig, sowohl vom Kunstbetrieb, als auch von den kulturellen Werten des „Mainstream“ erwiesen haben. Diese „Mikrogeschichten“ unterscheiden sich geografisch und historisch voneinander und werden an verschiedenen Stationen anhand von Audio- und Videodokumenten, Fotografien, Modellen, Originaldokumenten und Kunstwerken erzählt.

Die Auswahl der Fallbeispiele reicht von den städtebaulichen Visionen und Utopien des belgischen Architekten Luc Deleu über die künstlerische Verlegertätigkeit von Ai Wei Wei, dem es gelungen war, mehr als 3.000 Exemplare seiner drei Publikationen („Black/White“ und „Grey Cover“) mit politischen Beiträgen chinesischer Gegenwartskünstler abseits offizieller Vertriebswege zu publizieren, bis zum „Imaginären Museum” des französischen Schriftstellers und Politikers André Malraux aus dem Jahr 1947, das als „Museum ohne Mauern allein in der Vorstellung eines jeden von uns existiert”. Das Projekt des Chinesen Chen Tong, gehört ebenfalls zu jenen Praktiken, die fernab westlicher Wahrnehmung verortet sind. Mit seiner „Libreria Borges Institute for Contemporary Art” in Guangzhou (China) schuf dieser Künstler ein unabhängiges Begegnungs- und Ausstellungszentrum, das jenseits des „Kunst-Establishments“ tätig ist.

Diese Ausstellung stellt nicht nur Menschen vor, sondern auch unorthodoxe Erscheinungen, wie die von Anton Vidokle 2007 entwickelte und im ehemaligen Ostteil Berlins angesiedelte temporäre Kunstakademie „unitednationsplaza”, aus der das Online-Magazin für zeitgenössische Kunst, „e-flux journal“ als dauerhaftes Medium hervorgegangen ist. In vielen dieser „Erzählungen“ und Verfahren geht es um die Überwindung des Ost-West-Gegensatzes in der Wahrnehmung von Kunst: Beispiele dafür sind der Kurator Igor Zabel und die von diesem 2003 im Rahmen der 50. Biennale in Venedig kuratierte Ausstellung „Individual Systems“ oder der US-amerikanische Kunsthistoriker James Cahill, dessen Online-Vorlesungen einen ganz neuen Zugang zu traditioneller chinesischer Kunst freigelegt haben, indem diese nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit den großen westlichen Traditionslinien analysiert wurde. Die Einebnung der Kluft zwischen Ost und West sowie die Formung eines neuen, der globalisierten Kunstwelt angepassten, künstlerischen Lexikons ist das Ziel des vom deutschen Kunsthistoriker Hans Belting und von Peter Weibel vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) lancierten kollektiven Projekts Global Art and the Museum, das in einem Ausstellungsbereich von “Little Movements II” vorgestellt wird.

Wie schon die Themenausstellung 2012 „The New Public“ ist auch „Little Movements II“ mehrgleisig aufgebaut: Das Museion zeigt daher „nicht nur“ Exponate, sondern bezieht das Publikum zudem aktiv mit ein. Die von den chinesischen Kuratoren unternommene Reflexion über den zeitgenössischen Kunstbetrieb ist schließlich eine sehr gute Gelegenheit, um über das „System“ Museum und dessen Funktionsweise zu informieren.

„Ein Museum für zeitgenössische Kunst muss es verstehen, die traditionellen Aufgaben des Sammeln, Bewahrens und Präsentierens der eigenen Kunstwerke mit einem ständigen Überdenken seiner öffentlichen und sozialen Rolle zu verbinden. Das Museion in Bozen ist in einem westlichen Kontext eingebettet, in dem noch eine universale Idee von Kunst dominiert. Die Einladung an zwei Kuratoren, die nicht aus der „alten westlichen Welt“ stammen, zielt darauf, Museion als Plattform einer Zeitgenossenschaft zu positionieren, die über die Vorstellung einer „neuen“ oder „aktuellen“ Kunst und Kultur hinausgeht“, erklärt die Direktorin des Museion, Letizia Ragaglia.

Zur Ausstellung erscheint im Verlag der Buchhandlung Walther König ein Katalog (dt/ita/eng) mit Texten von Liu Ding, Carol Yinghua Lu, Su Wei, Hently Yapp, Letizia Ragaglia und anderen.

Die Praktiken bei Little Movements II Ai Weiwei und Black Cover Book, White Cover Book, und Grey Cover Book; Rasheed Araeen und The Third Text; Hans Belting und Global Art and the Museum; James Cahill und A Pure and Remote View: Visualizing Early Chinese Landscape Painting; Paul Chan und Calvin Tomkins über Marcel Duchamp; Chen Tong und die Borges Libreria Institute for Art; Luc Deleu und Vipcity; Geng Jianyi und 45 Degrees as a Reason, und Agreed to the Date 26 Nov. 1994 as a Reason; Han Dong und They; Jens Hoffmann und The Exhibitionist; Lu Yue und Mr. Zhao, The Obscure; Andre Malraux und Musée imaginaire; Hito Steyerl und The Empty Centre; Anton Vidokle und unitednationsplaza, e-flux; Wang Guangyi und Zhuhai Meeting; Igor Zabel und Individual Systems; Once is Nothing Little Movements: Self-practice in Contemporary Art in OCAT Shenzhen.

Die von der Themenausstellung unternommene Reflexion über den zeitgenössischen Kunstbetrieb ist zudem eine Gelegenheit, das „System“ Museum und dessen Funktionsweise vorzustellen. Die Mitarbeiter des Museion werden deshalb während der kostenlosen Donnerstagsführungen (ab 4. Juli, Donnerstags um 19.00 Uhr) über ihre Arbeit und ihre Berufsbilder sprechen.