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Ungarische Künstler und Literaten sind bekannt dafür, dass sie sich in ihren Budapester Kaffeehäusern in einer »doppelten Kunst« üben. Sie nehmen die Umstände des Lebens durchaus ernst und weisen sie gleichzeitig mit ironischer Geste von sich. Dies gelingt ihnen, indem sie sich (und ihr Land) durch das Fenster des Cafés, von außen also, betrachten. Anders gesagt: Um überhaupt Kunst machen zu können, müssen sich Künstler immer wieder von der Routine des eigenen Alltags distanzieren.

Künstler richten ihren Blick auf Dinge und Situationen, mit denen man sich arrangiert hat, ohne mehr über sie nachzudenken, die so geläufig sind, dass sie aus dem Bewusstsein gleiten. Im Ungarn von heute deuten Künstler zudem auf Entwicklungen, die das Vergangene und Vertraute so rasant überformen oder ablösen, dass eine Reflexion darüber kaum noch möglich ist. Auf produktive Weise verbinden sie ihre Innenperspektive, ihre intime Kenntnis der Verhältnisse einerseits mit einer Außenperspektive andererseits, mit ästhetischer und mentaler Distanz.

Aus dieser Position des Fremden in der eigenen Gesellschaft halten die Künstler der Ausstellung ihren Landsleuten den Spiegel vor und wirken zugleich als Brückenbauer nach Außen. So gewährt die Ausstellung ungewöhnliche Einblicke in die Gesellschaft und Kultur eines europäischen Nachbarn – Innenansichten diesseits einer klischeebehafteten, auf bestimmte touristische oder politische Aspekte reduzierten Sicht.

„Lost & Found“, der Titel der Ausstellung, ist in zwei Richtungen zu lesen. Mit seiner Anspielung auf die Idee des verlorenen Paradieses (klassisch in John Miltons Epos Paradise Lost and Regained) berührt er einerseits einen in Ungarn immer noch virulenten Trennungsschmerz über den Verlust des goldenen k.u.k-Zeitalters und besonders über die jüngst zu beklagende Austreibung aus der (teils verklärten) Geborgenheit des sozialistischen Systems. Die Auswirkungen des breit diskutierten, von Wirtschaft und Politik eingeschlagenen Weges einer Wiedererlangung des Paradieses im Europa von morgen erstrecken sich bereits in alle Bereiche des Alltags.

Andererseits ist der Titel als Metapher für den Besuch der Ausstellung zu verstehen: Im Idealfall kommt der Besucher in die Kunsthalle wie in ein Fundbüro (in England mit „Lost & Found“ beschildert), in dem er zwar nicht den gesuchten Regenschirm, dafür aber vielleicht ein liegen gebliebenes Fernglas mitgegeben bekommt. Er erwartet sein altvertrautes Bild von Ungarn wieder zu finden, gewinnt aber ganz neue Eindrücke.

Präsentiert werden 18 künstlerische Positionen mit jüngst entstandenen, teils für die Ausstellung konzipierten und realisierten Arbeiten. In Gemälden, Objekten Installationen, Foto- und Videoarbeiten setzten die beteiligten Künstler mit Scharfsinn und Humor Akzente auf gewöhnlich-ungewöhnliche, bezeichnende Situationen und Gegenstände des ungarischen Alltags und stoßen damit eine Rejustierung unseres Bildes von Ungarn an.

Künstler der Ausstellung: Erika Baglyas, Balázs Beöthy, Maria Chilf, Ágnes Eperjesi, Miklós Erhardt, Marcell Esterházy, Gábor Gerhes, Zsolt Keserue, Éva Köves, Antal Lakner, Ilona Lovas, Éva Magyarósi, György Orbán, Szacsva y Pál, János Sugár, Monika Sziladi, Attila Szűcs, Zsolt Vásárhelyi

Katalog: „Lost & found – Ungarn im Spiegel seiner zeitgenössischen Kunst“, hg. von Fritz Emslander mit Essays von László Beke und Fritz Emslander sowie einleitenden Texten zu allen Künstlern und Exponaten (Snoeck Verlag, Köln, 136 Seiten, ca. 220 Abbildungen, ISBN 987-3-936859-61-4.

Pressetext

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LOST AND FOUND
Ungarn im Spiegel seiner zeitgenössischen Kunst
Kurator: Fritz Emslander

mit Erika Baglyas, Balazs Beöthy, Maria Chilf, Agnes Eperjesi, Miklos Erhardt, Marcell Esterhazy, Gabor Gerhes, Zsolt Keserue, Eva Köves, Antal Lakner, Ilona Lovas, Eva Magyarosi, György Orban, Szacsva y Pal, Janos Sugar, Monika Sziladi, Attila Szücs, Zsolt Vasarhelyi