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Vernissage 31. Mai 2008, 17.00 – 20.00

Im Zentrum der aktuellen Ausstellung steht die mehrteilige Arbeit La Rivière Gentille (2007). Louise Bourgeois verwebt und verarbeitet auf 42 Blättern in Mischtechnik Bilder und Wörter aus einem ihrer früheren Texte über die Zeit in Frankreich. So werden Momente der Ekstase, konkrete Ereignisse und düstere Wege in einer durchscheinenden Palette von Blau-, Rotund Schwarztönen festgehalten, die sich durch jedes einzelne Blatt schlängelt. Die Künstlerin vertieft sich in die sinnliche Erfahrung – die physische Welt der Dinge und ihre ganz spezielle Lust – und evoziert gleichzeitig das unaufhaltsame Vorwärtsfliessen der Existenz.

Bourgeois hat während ihrer Zeit in Frankreich immer in der Nähe eines Flusses gewohnt. Von der Creuse in Aubusson über die Seine in Choisy-le-Roi bis zur Bièvre in Antony spielte der Fluss in ihrer Kindheit eine zentrale Rolle. Der hohe Tanningehalt des Wassers war wichtig für die Gobelin-Restaurierungswerkstatt ihrer Eltern. Sie erinnert sich an die gefärbten Garne, die in den Bäumen trockneten. Sie erinnert sich an die Farben der Blumen in dem elterlichen Garten am Flussufer.

Bourgeois’ Bildsprache ist auch in dieser Arbeit von Widersprüchen geprägt. Während das Wasser eine Metapher für den Ursprung des Lebens, den Lauf der Zeit und das Tagträumen bedeuten kann, steht es gleichzeitig für Zerstörung, den schwarzen Quell der Depression und einen Ort, um sich das Leben zu nehmen. Ihre Flussbilder sind wie die Nabelschnur, die sie mit ihrer Mutter verbindet. Der Fluss erscheint als kontinuierlicher Faden, der Vergangenheit und Gegenwart zusammenwebt.

Die Farben und Motive haben wie in einem Grossteil der Werke von Louise Bourgeois eine emotionale Bedeutung. Blau steht für Frieden, Meditation und Flucht, Schwarz für das Gegenteil, Rot für Blut und Beharrlichkeit. Die angedeutete Sanftheit im Titel der Arbeit findet sich in der Bildsprache wieder. Horizontale Bleistiftstriche sind über die Blätter gezogen wie die Linien auf Notenpapier, ein Kunstgriff, der bereits in dem Portfolio Nothing to Remember (2004 – 2006) angewendet wird und von dem sie sagt: „es ist sehr beruhigend, die Linien auf Notenpapier anzuschauen. Es gibt einen Rhythmus… es gibt der Horizontalen eine passive Richtung und der Vertikalen eine aktive.“ Der Lauf eines sich windenden Flusses ist oft mit Hunderten von korpuskularen Formen dargestellt, die unweigerlich an menschliche Blutgefässe denken lassen. Sie sind verwandt mit den „cumuls“, wolkenähnlichen Formen, die in Bourgeois’ Werk seit den späten Sechzigerjahren immer wiederkehren und die sie einsetzt, um ein Gefühl von Sicherheit und Ruhe zu vermitteln. Die Linien, die durch La Rivière Gentille fliessen, sind überhaupt ein Quell der Ruhe: „Die repetitive Bewegung einer Linie, das Liebkosen eines Objekts, das Lecken von Wunden, das Hin und Her eines Weberschiffchens, die endlose Bewegung von Wellen, die jemanden in den Schlaf wiegen, die einen geliebten Menschen reinigen, eine endlose Geste der Liebe.“

Neben La Rivière Gentille zeigt die Künstlerin vier neue Gouachearbeiten. Sie zeigen eine weibliche Figur mit schwangerem Bauch und ausladenden Brüsten, die bereits von den Gouachen bekannt ist, welche letztes Jahr unter dem Titel „Good Mother“ bei Hauser & Wirth Colnaghi zu sehen waren. Diesmal ist der Mutter in mehrteiligen Arbeiten wie The Family (2007) und Alone and Together (2007) eine männliche Figur beigesellt, ostentativ besitzergreifend und stolz auf die wachsende Familie. Diese neuen Arbeiten sind lockerer und flüssiger im Auftrag als die früheren. Die Figuren sind teilweise vom Wasser verwischt, verschwommen und undeutlich, aber wie alle Werke von Louise Bourgeois zeugen sie von einer verblüffenden Schärfe und Leichtigkeit des Ausdrucks.

Louise Bourgeois (*1911 Paris) lebt und arbeitet seit 1938 in New York. Eine umfangreiche Retrospektive wurde vergangenes Jahr in der Tate Modern in London eröffnet, weitere Stationen sind das Centre Pompidou, Paris (bis 2. Juni 2008), das Guggenheim Museum, New York (27. Juni – 28. September 2008), das MoCA, Los Angeles (25. Oktober 2008 – 25. Januar 2009), und das Hirshhorn Museum & Sculpture Garden, Washington D.C. (26. Februar – 17. Mai 2009). Eine Einzelausstellung im Museo Nazionale di Capodimonte, Neapel, ist für kommenden Herbst geplant (17. Oktober 2008 – 11. November 2009). Nothing to Remember, ein Künstlerbuch mit 22 aufwendig gedruckten Farbfaksimiles, ist ab Ende Mai bei Steidl Hauser & Wirth erhältlich.

Aus der Sammlung Helga und Walther Lauffs, eine Ausstellung mit wichtigen Werken der Pop Art, Arte Povera, Minimal Art, Post-Minimal Art und Konzeptkunst, ist gleichzeitig in den Galerieräumen im Erdgeschoss zu sehen.

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Louise Bourgeois
La Rivière Gentille