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Luc Tuymans (geb. 1958 in Mortsel, Belgien) stellt mit seinen Gemälden Fragen nach Macht und der dahinter wirkenden Maschinerie, nach Manipulation und verdeckten politischen Strukturen. Sein Werk hebt einzelne Momente der Geschichte des 20. Jahrhunderts hervor: die Kollaboration der flämisch-nationalistischen Partei mit den Deutschen; die 1942 einberufene Wannsee-Konferenz zur "Endlösung der Judenfrage"; die Beteiligung der belgischen Regierung an der Ermordung von Patrice Lumumba, dem ersten demokratisch gewählten Premierminister des Kongo; der Angriff auf das World Trade Center am 11. September 2001. Seit vielen Jahren finden auch Themen wie Kindheit, Heimat und die belgische Ausprägung von Katholizismus Niederschlag in seinem Werk.

Anfang der achtziger Jahre stellte Tuymans die Malerei als zeitgenössisches Medium in Frage und begann Filme zu produzieren. Zwei Jahre später begann er wieder zu malen. Bis heute ist seine Malerei von der Auseinandersetzung mit dem bewegten Bild geprägt und seine Stilmittel sind die des Films und der Fotografie: Nahaufnahmen, Anschnitte, Standbild-Ästhetik. Tuymans platziert seine Motive vor leerem Hintergrund und reduziert sie durch Über- und Unterbelichtung auf Umrisse. Er verleiht ihnen Unschärfe, so dass sie wie Projektionen einer verblassenden Erinnerung wirken. Durch diese Stilmittel werden seine Motive, obwohl sie gegenständlich sind, rätselhaft; sie verharren in der Andeutung und Ungreifbarkeit.

Tuymans nutzt häufig Polaroids als Arbeitsgrundlage. Ein Polaroid ist für ihn weniger ein Foto als vielmehr "eine Flüssigkeit, worin die Bilder erscheinen". Das Attraktive an ihnen sei, dass sie an eine extreme Zufälligkeit gebunden sind: "Man weiß nie genau, wie sich eines entwickeln wird, wobei man bei Fotografie zumindest ein gewisses Maß an Kontrolle bewahrt. Und es ist genau dieser inhärente Aspekt von Verlust und möglichem Scheitern, den ich schätze."

Die Darstellung des Grauens ist bei Tuymans eine nachdenkliche Annäherung an die Darstellbarkeit von Grauen. Er wählt nicht das herausragende Ereignis selbst als Motiv, sondern einen bestimmten Augenblick davor oder danach. Während der Bildfindung machen die Motive eine Wandlung durch, bei der Distanz entsteht, aber gleichzeitig auch ein starkes Gefühl für das Geschehen und den Tatort. So reduziert sein Gemälde "Our New Quarters", das 1986 nach einer Postkartenansicht von Theresienstadt entstand, das Motiv auf die grafische Darstellung eines leeren, fast abstrakten Raums. Die Idee der Lautlosigkeit ist dabei zentral.

Das Ungeheuerliche erscheint bei Tuymans im Gewand alltäglicher Konstellationen. Dabei spart er die menschliche Figur oft aus; wenn sie gelegentlich doch erscheint, reduziert er ihre Gesten auf das Mechanisch-Zeichenhafte einer Gliederpuppe, und die Gesichter ähneln einer Maske. So werden die extreme Vergrößerung eines einzelnen Fingernagels, ein Paar ellenbogenlanger Handschuhe oder Reihen von isolierten Augäpfeln auf tonigem Grund zur treffenden Metapher für existenzielle Erfahrungen von Angst und Gewalt. Nach dem Angriff auf das World Trade Center brachte Tuymans mit einem Gemälde für die documenta 11 die Alltäglichkeit ins große Format: Seine Reaktion auf dieses Ereignis und die medial vermittelte Bilderflut davon war ein überdimensionales Stillleben mit Obst. Bei der Präsentation seines Werkes fragt Tuymans nach der Verbindung zwischen dem eigenen Werk und dem Ausstellungsort. Je nach Zusammenhang können sich Bedeutung und Wirkung der Arbeiten verschieben. Tuymans’ erste Einzelausstellung fand in einem Schwimmbad statt; die Werke hingen an der Schmalseite des Beckens, in das der Besucher hinabsteigen musste (Palais des Thermes, Ostend 1985).

Auch im Haus der Kunst fügt Tuymans seine Bilder in einen spezifischen Kontext. Adolf Hitler gab den Bau des Hauses bald nach seiner Machtübernahme bei Paul Ludwig Troost in Auftrag. 1937 eröffnet, sollte das Haus der Kunst mit Ausstellungen von Zeitgenossen einer "deutschen Kunst" den zukünftigen Weg weisen. Nachdem das Haus als Kulisse für die Kulturpolitik der Nationalsozialisten gedient hatte, begann bald nach dem Krieg am gleichen Ort die Auseinandersetzung eines breiten Publikums mit der Moderne ñ und damit genau der Kunst, die man 1937 im nahe gelegenen Hofgarten als "entartet" diffamiert hatte; beispielsweise wurde 1955 in einer Picasso-Ausstellung unter anderem das Bild "Guernica" gezeigt. Das Spannungsfeld von Geschichte und Gegenwart bildet für Tuymans die äußere Entsprechung zur zentralen Frage: Wie können Bilder Macht ausüben und bestimmte Effekte erzielen? In den monumentalen Ausstellungsräumen mit ihrem weißgrünlichen Oberlicht, das Tuymans als "verstorbenes Licht" bezeichnet hat, kann man eine Parallele zur Behandlung von Leere und Raum in seinen Bildern sehen.

Die Werkgruppe "Les Revenants" (2007) wird zum ersten Mal in musealem Zusammenhang gezeigt. Sie beschäftigt sich mit der Inszenierung kirchlicher Macht und dem Jesuitenorden als stärkstem Orden der katholischen Kirche. Obwohl auf Lebenszeit gewählt, hat der jetzige Generalobere des Jesuitenordens, Pater Peter Hans Kolvenbach, zum ersten Mal in der Geschichte des Ordens darum gebeten, vorzeitig aus seinem Amt entlassen zu werden. Er stieß damit bei Papst Benedikt XVI. auf Verständnis und erhielt dessen Zustimmung. Das Bild "The Deal" schildert die Begegnung der beiden als eine oberflächlich friedliche, bei der verborgen bleibt, was ihr vorausgegangen ist.

Eine Wandmalerei, die eigens für die Ausstellung entsteht, beschäftigt sich mit der Eröffnung des Disneyland Parks am 17. Juli 1955 in Anaheim, Kalifornien: Die Infrastruktur des Vergnügungsparks war dem Besucherandrang nicht gewachsen; hinzu kam bei einigen Attraktionen technisches Versagen gleich nach den ersten Fahrten. Die Ereignisse dieses "Black Sunday" sind Sinnbild dafür, dass die Utopie einer künstlich konstruierten Welt zum Scheitern verurteilt ist.

Der Titel der Ausstellung geht auf einen Kurztext zurück, in dem sich der Künstler mit der Wirkung seiner Werke im räumlichen Zusammenhang beschäftigt: "Der Frühling kommt. Ideen, Fragen und Bemerkungen zum Konzept einer Ausstellung", erschienen 2001 im Katalogheft zur Ausstellung im Hamburger Bahnhof. Für dieses Heft übernahm Tuymans den Titel der Propagandazeitschrift "Signal" und imitierte deren grafische Gestaltung. "Signal" erschien von 1940 bis 1945 und erreichte siebenstellige Auflagen; die Illustrierte stellte die Erfolge der Wehrmacht dar und wollte im Ausland ein positives Deutschlandbild vermitteln. Angesichts der zahlreichen Werke, die subtiles Unbehagen vermitteln, ist der Ausstellungstitel ein deutliches Ironiesignal.

Die Ausstellung vereint 90 repräsentative Werke aus über 30 Jahren; die frühesten Arbeiten sind von 1975. Etwa 13 Gemälde werden nur in München gezeigt, darunter "Les Revenants". Zusätzlich gibt dokumentarisches Material ñ Bücher, Zeitungsausschnitte, Kataloge, Skizzen, Polaroids ñ Einblick in die Arbeitsweise des Künstlers.

In Zusammenarbeit mit Mücsarnok Kunsthalle Budapest und Zacheta National Gallery of Art, Warschau

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Luc Tuymans
Wenn der Frühling kommt / When Springtime is Coming
Kurator: Stephanie Rosenthal