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Die Kunsthalle Basel freut sich, die erste grosse institutionelle Einzelausstellung von Lucy Skaer (*1975, Cambridge) ausserhalb Grossbritanniens bekannt zu geben.

Der Titel der Ausstellung (dt. „Ein Boot als Gefäss benutzt“) spielt mit der doppelten Bedeutung der englischen Wörter „boat“ und „vessel“ sowie mit der formalen und funktionalen Entsprechung der bezeichneten Gegenstände als Transportmittel und Gefäss. Der Titel formuliert dabei den vielschichtigen Prozess des Benennens und der Zuschreibung von Bedeutung: Während das Boot gleichzeitig auch ein Behälter sein kann, wird es ebenso zum Gefäss als wortwörtlicher „Bedeutungsträger“. Dieses Spiel mit ambivalenten Lesbarkeiten von Zeichen und ihrer Konstruktion ist der Ausgangspunkt von Lucy Skaers Ausstellung, in der verschiedene reale Objekte in abstrakte Bilder und Symbole übersetzt werden.

Lucy Skaer arbeitet mit Skulptur, Film und Zeichnung, die sie in mehrteiligen Installationen im Ausstellungsraum zusammen bringt. Dabei verwendet sie für ihre Arbeiten hauptsächlich gefundene Fotografien aus Zeitungen und Büchern sowie Bilder aus dem Internet. In aufwendigen Herstellungsprozessen – oft in Handarbeit oder in Zusammenarbeit mit Handwerkern – transformiert die Künstlerin diese in Bilder und Objekte, in denen sich eine Spannung zwischen der Repräsentation und der noch erkennbaren Bedeutung und physischen Form der verwendeten Motive aufbaut. Die Vorlagen zeigen meist beunruhigende Zustände oder Extremsituationen wie beispielsweise in der Zeichnungsserie Cells (With Rules and Exceptions), 2005, in welcher Aufnahmen von leeren Gefängniszellen in eine geometrische Struktur mit vielfachen Linien und Markierungen übertragen werden. Unter den ornamental überbordenden Oberflächen materialisieren sich oft erst auf den zweiten Blick Motive wie die einer riesigen, heranrollenden Welle in der Zeichnung The Great Wave (Expanded), 2007 (nach der Vorlage eines Holzschnitt von Hokusai). Das ursprüngliche Bild erscheint wie ein verdichtetes Diagramm und verwandelt sich auf der Fläche zu einem verinnerlichten Abbild oder Gefühl. Mit der Übertragung in eine abstrakte Form und durch Veredelungen mit Materialien wie Blattgold, Perlmutt oder Silber verändert Skaer nicht nur die Bedeutung, sondern auch den kulturellen und ökonomischen Wert der dargestellten Dinge.

Im Erdgeschoss der Kunsthalle Basel präsentiert Lucy Skaer drei speziell für die Ausstellung entwickelte installative Arrangements sowie bestehende Werke, unter anderem den 16mm Film Eleonora (The Joker), 2006 und die Installation The Siege, 2008 (in Auftrag gegeben von der Chisenhale Gallery, London).

In der Installation Fabrication, 2009 hat die Künstlerin die Platte eines grossen antiken Tisches als Druckform für grossformatige Monodrucke verwendet. Die gedruckten Flächen zeigen Kratzer und andere Spuren der Tischplatte und überführen so die Geschichte des Objektes in eine abstrakte Formensprache. Ein weiteres Projekt umfasst Drucke, welche Lucy Skaer zusammen mit Spezialisten produziert hat, die normalerweise offizielle Dokumente wie Banknoten oder Pässe drucken. Fälschungssichere Markierungen legen über die Motive ein Raster, welches vielfache Konfigurationen neuer Bilder hervorruft. Diese Umwandlung verortet die Drucke in einem mehrdeutigen Bereich, in dem verschiedene Referenzsysteme (wie Kunst- und Währungssystem) miteinander vermischt werden. Skaer hat für die Drucke unter anderem das Motiv eines Holzschnittes nach dem Buch Daß Narrenschyff ad Narragoniam von Sebastian Brant (1457-1521) verwendet. Es zeigt eine Schar Narren in einem nussschalenförmigen Boot, welches zum Land „Narragonien“ unterwegs ist. Die Schicksalsgemeinschaft, die isoliert und gefangen in einem Boot ihrem Wunschziel folgt, kann als eine Allegorie gelesen werden, die heute genauso relevant zu sein scheint wie damals.

In einer neuen Installation bringt Lucy Skaer grosse Zeichnungen von Walskeletten mit einem echten Walskelett aus dem Naturhistorischen Museum Basel zusammen. In den Zeichnungen der Künstlerin wird die Darstellung der Knochenstruktur durch die Überlagerung verschiedener Rasterungen aufgebrochen: Es entsteht eine bewegliche Konstellation von Flächen, welche das irrationale Gefühl hervorrufen, „als würde sich der Wal unter dir bewegen.“ (Lucy Skaer)

In der Ausstellung untersucht Lucy Skaer so auf verschiedene Weise die überlieferten Klassifikationen von realen Objekten und überführt sie ins Reich der imaginären Bilder: Wie in der Archäologie verschüttetes kulturelles Material gesucht wird, um das Denken der Menschen hinter den Dingen zu erforschen, versucht Lucy Skaer in ihren Arbeiten, die Macht des Symbolischen jenseits der existierenden Bilder zu aktivieren.

Wir möchten der Stiftung Laurenz-Haus (Maja Oeri und Hans U. Bodenmann) für ihre grosszügige Unterstützung herzlichen Dank aussprechen. Ohne diese hätte die Ausstellung nicht in der gegenwärtigen Form realisiert werden können. Lucy Skaer war vom 1. Juni 2007 bis 31. Mai 2008 Stipendiatin der Stiftung Laurenz-Haus. Sie hat ein Jahr in Basel gelebt und gearbeitet.

Wir danken dem Naturhistorischen Museum Basel für die Leihgabe des Walskeletts.

Dank auch an Bacon&Bacon, Nautilus Security, Cheshire und Tony Lee, Camberwell Print Department, London.

Die Ausstellung wird unterstützt von: British Council

Lucy Skaer hatte wichtige Einzelausstellungen in der Fruitmarket Gallery, Edinburgh (2008, mit umfangreichem Katalog), in der Chisenhale Gallery, London (The Siege, 2008), und sie nahm an der Venedig Biennale (Scotland & Venice, 2007) teil. In Zusammenarbeit mit Rosalind Nashashibi war sie an der Berlin Biennale (Neue Nationalgalerie, 2008) beteiligt und hat an Ausstellungen in der Kunsthalle Bern (Slow Movement oder: Das Halbe und das Ganze, Gruppenausstellung, 2009) und Tate Britain, London (Art Now: Pygmalion Event, 2008) teilgenommen. Lucy Skaer ist ebenfalls Teil des Künstlerkollektivs Henry VIII’s Wives, das 2009 in der Whitechapel Gallery, London ein Projekt realisieren wird (im Rahmen des Ausstellungsprojektes The Street).