press release only in german

„Heute löst sich das linear perspektivierte, homogene Welt-Bild in Facetten eines Mosaiks auf.“ (Norbert Bolz)

Unter dem Titel ‚Tourette’ entwirft Manfred Peckl einen Kosmos der Wut und verbaler Entgleisung, den der Betrachter schon eingangs durch einen kreisförmigen magentafarbenen Banner des Zorns betritt. Vulgär, bisweilen obszön präsentieren sich die groß- bis kleinformatigen Collagen, die Peckl im Spiel aus Wortschnipseln und motivischen Details urbaner Affichen zusammensetzt. Begleitet von performativen Aktionen öffentlicher ‚Shout Inns’ zum Zwecke der lauten verbalen Äußerung von Schimpfwörtern, Flüchen und dem Ausdruck tabuisierter Gefühle bricht die Ausstellung mit dem etablierten gesellschaftlichen Verhaltenskodex der Contenance.

Mit dem Prinzip der Collage, bestehend aus vorgefundenem Material, welches der Künstler zer- und ausschneidet oder gar kleinschreddert, um es im Bildraum neu zu konstruieren, eröffnet sich die Möglichkeit Typographien und fotografische Abbildungen ihrem ursprünglichen Kontext zu entreißen und unter anderen Vorzeichen neu zu arrangieren. Die heterogenen Teile, die sich in jeder der Arbeiten versammeln, verlangen dem Rezipienten eine aktive Lektüre ab und fordern eine Ausstattung mit kulturell geprägtem Vorwissen, denn „das Kunstwerk gilt als eine grundsätzlich mehrdeutige Botschaft, als Mehrheit von Signifikaten, die in einem einzigen Signifikanten enthalten sind.“ (Umberto Eco)

Über das Medium der Schrift artikulieren sich in den aktuellen Werken Peckls sowohl Wut und Ärger als auch Schmerz und Ablehnung, welche gleichsam durch die Porträt-Arbeiten durch mimische und gestische Werte untermauert werden. Im Zentrum der Ausstellung konzentrieren sich in der Arbeit ‚Tourette‘ zentrierte Schriftbahnen verbaler Aggression, welche einander überlagern und den Blick wie ein Strudel kreisen lassen und in die Tiefe ziehen. Penetrant drängen sich die bunten Worte dem Betrachter auf und lassen durch die undurchdringbare Staffelung ein persönliches Entziehen nicht mehr zu: das Fluchen kulminiert bei ‚Tourette‘ in unkontrollierbaren stakkatoartig Äußerungen.

In Kombination mit den Porträts gerinnen die schriftlichen Äußerungen zu Kommentaren von oder über die dargestellten Personen: Die verbalen Aggressionen richten sich im Austausch zwischen Betrachter und Bild dialogisch an das jeweilige Gegenüber. Eingekreist im Referenzbereich der liederlichen Beschimpfungen, welche sich von Fäkalien und Schmutz über Beschreibungen von Sexualorganen bis hin zu Tiernamen zieht, erreicht Peckl die Befreiung der mit Tabu belegten Gefühlsregungen über die ansonsten pejorativ verwendeten Vokabeln. Im düsteren Kabinett versammeln sich schließlich die fratzenhaften Gesichter, in deren Mitte sich der Betrachter begeben muss. Das Motiv des Kreises verweist auf die drastische Einschließung, welche von aufgebrachten Gemütszuständen ausgeht und deren hermetische Abgeschlossenheit sich in letzter Instanz im Krankheitsbild des Tourette-Syndroms widerspiegelt.

Durch das Bild als Täter der verbalen Attacken, welche durchaus provokativ auf den Betrachter wirken, sind die Erwiderungen auf die Aggressionen im Konzept des Künstlers mitbedacht, denn wie Franz Kiener in seinen Ausführungen über ‚Das Wort als Waffe’ beschreibt, ist das Verhältnis zwischen Täter und Opfer ein dialogisches. Mit der aktuellen Ausstellung schafft Peckl einen Raum des enttabuisierten Wütens und unkontrollierten Fluchens, in welchem der Betrachter schließlich selbst eingeladen ist, seine ganz eigenen wüsten Äußerungen und Schimpftiraden schriftlich festzuhalten, der tabuisierten Kartharis nachzugehen und sich im Peckl’schen Kosmos der entfesselten Emotionen zu behaupten.

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english text version

“Today, the linear perspective of a homogenous world picture dissolves into the facets of a mosaic.” (Norbert Bolz)

Under the title “Tourette,” Manfred Peckl creates a cosmos of rage and linguistic slip-ups, which the viewer steps right into at the start of the exhibition when confronted by a round, magenta banner of fury. The large and small-format collages look vulgar, sometimes obscene, that Peckl playfully assembles, combining word snippets with motifs and ideas borrowed from urban posters. Accompanied by performative “shout ins,” where the public is encouraged to let out those swearwords, curses and taboo feelings, the exhibition breaks with established social codes for proper behavior.

Through the principle of collage that consists of found material, which the artist cuts up, cuts out and even shreds in order to create something new with it in the space of the picture, it becomes possible to dislodge typographies and photographic images from their original context and to rearrange signs, among things. The heterogeneous parts assembled in each picture demand that the recipient actively read the work and presuppose an existing cultural knowledge, because “an artwork fundamentally communicates an uncertain message, a plurality of signifiers, which are contained in a single signifier” (Umberto Eco).

Using the medium of writing, Peckl’s current works express both rage and anger as well as pain and rejection, which is underscored in the portraits where the facial expressions and gestures play a particularly compelling role. In the middle of the exhibition, the focus in the work ‘Tourette’ is on streams of text that run through the center of the picture, verbalizing aggressive utterances, which overlap and send the gaze spiraling all over the image, pulling it in like a whirlpool. The colorful words insistently impose themselves on the viewer, building up in such a way that they become impenetrable, making it impossible for the viewer to escape: In “Tourette,” the cursing culminates in uncontrollable staccato-like utterances.

Together with the portraits, the written verbalizations congeal into commentary by or about the persons depicted: In the exchange between viewer and picture, the verbal aggression is directed at whoever might be looking at the picture. Surrounded by a sphere of reference comprised of song-like cussing, touching on subject matter from feces and filth to descriptions of sexual organs all the way to animal names, Peckl liberates taboo emotions and does so by employing words that are otherwise used pejoratively. Finally, in the dark cabinet, grotesque faces gather around the viewer who must walk right into the center of it. The circle motif refers to the drastic sense of confinement generated by angry states of mind, to the hermetic isolation that is ultimately reflected in Tourette’s Syndrome.

Through the picture as perpetrator of verbal attacks, which is definitely a provocative experience for the viewer, the artist’s concept takes into account the fact that the viewer will have responses to the aggression, because as Franz Kiener describes in his book on the word as a weapon, the perpetrator-victim relationship is one based on dialogue. Peckl’s current exhibition creates a space for rage and uncontrolled cursing freed from taboos, where viewers are ultimately invited to preserve their very own wild and chaotic utterances and rants in writing, to participate in a form of catharsis that has long been taboo and to assert themselves in Peckl’s cosmos of unbridled emotions.

only in german

Manfred Peckl
TOURETTE