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Eröffnungsfeier: 17. Mai 2009, 16 Uhr Eröffnung u. a. durch den Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein Peter Harry Carstensen

Sechs Jagdverstecke errichtet Mark Dion in Neumünster, sechs Hochstände mit ganz unterschiedlicher Ausstattung, die auf sechs Jägertypen bzw. Jagdsituationen schließen lassen. Neben der Hundehütte Kennel und The Ruin, dem zerstörten Hochsitz, wird es ein Jagdversteck geben, das dem Dandy-Rococo zugeordnet werden kann; eines, das unverkennbar auf The Slob (den „Schlampigen“) verweist. The Glutton wird den „Schlemmer“ charakterisieren und The Librarian als dasjenige Versteck gelten können, das von einem jagdfreudigen Bibliothekar eingerichtet worden sein könnte. Eine Besonderheit der Ausstellungsinszenierung in Neumünster, die zusätzlich neben der regulären Ausstellungsfläche auch den gesamten Park einbezieht, bietet die Einbindung des Jagdzimmers des Stifters Herbert Gerisch. So erklärt Dion hier das „Private“ zum „Öffentlichen“, die Jagdsammlung zur künstlerischen Installation. Mark Dion gehört zu den Klassifikatoren unter den Künstlern. Ihn interessieren sozial-historische Analysen, er arbeitet mit Naturwissenschaftlern wie Kunstinstitutionen zusammen, um selbst wie ein Alchemist die Naturgeschichte als Typologie menschlichen Kulturwillens zu beschreiben und – wo nötig – nicht ohne Ironie neu zu erschaffen. Die Ästhetik des Nebeneinanders von Kunst- und anderen Sammelobjekten, die der in New York und Pennsylvania lebende Künstler für diese kritische Weltsicht entwickelt, ist ausgefeilt und subtil wie in einer Kunst- und Wunderkammer der Renaissance; in ihrer aus heutiger Sicht ungewohnten Zusammenstellung weckt sie Neugier und schafft einprägsame, manchmal aber auch grausame Bilder.

Das künstlerische Konzept von Mark Dion zielt auf Serialität ab und bemüht die altehrwürdige Wissenschaftstradition der Enzyklopädie. Aber Mark Dion ist auch Psychologe, der den Besucher dazu bringt, über sich selbst als Typ nachzudenken. Schließlich ist jeder Mensch ein Jäger. Mark Dion gelingt es, aus der Jagd gleichzeitig eine Psychologie oder sogar Archetypik des Jagens abzuleiten. „Über die Jagd / Concerning Hunting“ heißt die umfassende Ausstellung, die als Kooperation mit Kunstraum Dornbirn, Aarhus Kunstbygning, Galleria Civica di Modena und Kunsthalle Krems in Neumünster ihren einzigen deutschen Standort hat und u. a. durch den neuen, extravaganten Hochsitz Kennel mit integrierter Hütte für den Stifterhund „Baron“ eine neue Note erhält.

Wie ein roter Faden zieht sich die künstlerische Untersuchung des Themas „Natur“ durch das Werk dieses außergewöhnlichen Künstlers. Seine Arbeiten erforschen die Ordnungsprinzipien des Kreatürlichen und lassen auch den Betrachter zum Sammler, Forscher und Abenteurer werden. Scheinbar spielerisch, ohne Nostalgie und Romantik gelingt es Mark Dion, subtile Kulturunterschiede auszumachen: The Dandy-Rococo mit seinen Kristallgläsern, Silberservice, dem Jagdhorn und seinen zahlreichen Trophäen verweist auf die uralte Allianz der Jagd mit der Aristokratie und damit auf eine „Kulturhandlung“, die der Überwindung der dämonischen Kräfte der Natur vorausgeht. In The Glutton verkommt der paradiesische Überfluss in der Völlerei. Das Jagdversteck ist überschwemmt mit Würsten, Fleisch, Knochen, Zigaretten, Gläsern und Tellern. Zwar gehören Überfluss und schöner Schein zur Ikonografie der Jagd, doch hemmungsloser Konsum führt zum Niedergang, zu The Ruin, dem zerstörten Versteck. Der „Schlampige Jäger“ lässt ebenso leere Patronenhülsen, Schießscheiben wie Bier- und Schnapsflaschen, Zigarettenkippen, halbvolle Konservendosen und Playboy-Hefte liegen, parodiert die Männlichkeitskultur und wird so selbst zum Gejagten.

Charakteristisch für die künstlerische Arbeitsweise von Mark Dion sind die Überschneidungen von Fiktion und Realität, Kunst und Dokumentation. Mit der für die Ausstellung „Concerning Hunting“ geplanten Intervention in der Gerisch-Stiftung setzt Dion seine Reihe der künstlerischen Eingriffe an vorgefundenen Situationen fort, die die Grenzbereiche von Natur und Kultur, Wissenschaft und musealer Dokumentation analysieren. Wichtige Referenzkonzepte hat der amerikanische Künstler beispielsweise im „Natuurhistorisch Museum Maastricht“, im „Musée de la Chasse et de la Nature“ in Paris und im „Château de Chambord“ (Loireregion) abgeliefert. Die Ausstellung des international bekannten Künstlers ist ein besonderer Beitrag zu dem Rahmenthema des Skulpturenparks, das der Künstlerische Leiter Dr. Martin Henatsch mit der Frage „Wo liegt Arkadien heute?“ formuliert hat und mit dem die kulturell geprägten Sichtweisen auf Natur im Spiegel der Kunst untersucht werden sollen. Dieses Konzept setzt ein „ortsspezifisches“ Kuratieren voraus, wie es in der Weiterentwicklung des Konzeptes mit Kennel oder der Integration des Jagdzimmers vom Hausherrn Herbert Gerisch realisiert ist.

In einem Interview (Kunstforum International, 2001) beschreibt Mark Dion sein Vorgehen als „ortssensitiv“. Folgerichtig bezieht der Künstler neben den bisherigen Ausstellungsräumen in Neumünster in der Villa Wachholtz und der Gerisch-Galerie auch das private Jagdzimmer des Stifters in sein Konzept mit ein. Hierfür wird das vorhandene Ensemble des Jagdzimmers u. a. um sechs von ihm zusammengestellte fiktive, klischeebesetzte Jagdkostüme aus unterschiedlichen Zeiten und Kontinenten ergänzt: den amerikanischen Trapper-Pionier Frontiersman, den weißen, afrikanischen Großwildjäger Great White Safari Hunter, den mit Zylinder und Jagdhorn ausgestatteten Fuchsjäger Fox Chaser, den europäischen Landjäger European Countryside Hunter, den prähistorischen Höhlenmann Caveman und den nordamerikanischen Bogenjäger North American Bow Hunter. Zusammen mit dem von Herbert Gerisch bei der Jagd ‚erbeuteten’ Ensemble der Massai verbinden sich vorgefundene Realität und künstlerische Imagination zu einer kaum unterscheidbaren Synthese.

Mark Dion ist aber auch ein virtuoser und kulturübergreifender Moderator, der Fragestellungen zurückspielt und dabei gedankliche Ausschweifungen erlaubt: Ist das Jagen und das Sammeln von Trophäen, Kunst, schönen Augenblicken oder besonderen Orten nicht im Wesen tief miteinander verbunden? Ist der moderne Machthaber nicht immer auch ein Jäger? Ist die wahre Macht nicht diejenige, die man sich selbst ‚erjagt’ hat? Mark Dion macht die Kulturen der Jagd hintergründig sichtbar. Dabei vermeidet er es, den tief im Menschen verankerten Jagdtrieb zu verurteilen. Er stellt zur Diskussion, pointiert oder dramatisiert die bekannten Szenarien, um am Ende die Warnung auszusprechen, dass die menschliche Gattung immer auch schon die Fähigkeit zur eigenen Selbstzerstörung in sich trägt. Mark Dion selbst beschreibt seine Haltung als „dunkle Sensibilität“: „Ich glaube nicht, dass die Dinge besser werden. Die Welt wird zwar keine gewaltige Katastrophe erleiden, aber sie wird langsam zu einem immer weniger interessanten Ort mit einer immer geringeren biologischen und kulturellen Vielfalt erodieren. In diesem Sinne tendieren meine Arbeiten dazu, makaber und pessimistisch zu wirken.“ Die skulpturale, auf Zukunft angelegte Transformation dieser Haltung in der einzigartigen künstlerischen Sprache Mark Dions macht die Ausstellung jedoch zum faszinierenden Ereignis.

Kuratoren der Ausstellung: Dr. Dr. Dieter Buchhart (Direktor Kunsthalle Krems), Mag. Verena Gamper (Freie Kuratorin, Wien), Dr. Martin Henatsch (Künstlerischer Leiter der Herbert-Gerisch-Stiftung, Organisation und Co-Kurator der Ausstellung in Neumünster).

Zur Ausstellung ist ein Katalog bei Hatje Cantz erschienen.

Weitere Ausstellungsorte: Kunstraum Dornbirn (3.4.-1.6.2008), Aarhus Kunstbygning (27.6.-26.10.08), Galleria Civica di Modena (1.2.-26.4.2009), Kunsthalle Krems (8.11.09-14.2.2010)

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Mark Dion. Über die Jagd / Concerning Hunting
in Kooperation mit Kunstmuseum Dornbirn, Kunsthalle Krems, Galleria Civica di Modena, Aarhus Kunstbygning
Kuratoren: Dieter Buchhart, Verena Gamper, Martin Henatsch

Stationen:
08.11.09 - 14.02.10 Kunsthalle Krems
16.05.09 - 11.10.09 Herbert-Gerisch Stiftung, Neumünster
01.02.09 - 26.04.09 Galleria Civica Modena
28.06.08 - 19.10.08 Aarhus Kunstbygning
04.04.08 - 01.06.08 Kunstraum Dornbirn