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Eröffnung: Freitag, 15. Februar 2008, 18 Uhr

Die psychologische Auseinandersetzung mit Raum und Körper, das Unheimliche und das Unbehagen, das Defizitäre sowie die irrationalen Tiefen des individuellen und kollektiven Seins sind die Themen der Arbeiten von Markus Schinwald (1973 geboren in Salzburg). Spielerisch verschmelzen in seinem Werk die verschiedensten Medien – von beklemmenden Filmen zu marionettenhaften Skulpturen, von überarbeiteten historischen Gemälden zu prothetischen Design- und Kleiderentwürfen –, die subtil miteinander choreografiert werden. In seiner bisher grössten Museums-Einzelausstellung schafft Schinwald eine architektonische Gesamtinszenierung, die sich in ihrer Display-Form an den Raumgestaltungen des österreichisch-amerikanischen Architekten, Bühnenbildners und Künstlers Friedrich Kiesler (1890–1965) orientiert.

Als Ausgangs- und Beobachtungspunkt dient Schinwald der menschliche Körper in seiner Unzulänglichkeit und Unheimlichkeit. Er zeigt nicht mehr einen festen, stabilen Körper, denn dessen kontrollierte Hüllenfunktion ist aus den Fugen geraten, sondern eine osmotische Körperbühne, eine Projektionsfläche für die psychologisch aufgeladenen Innenwelten, die sich permanent ihren Weg nach aussen suchen und sich dort manifestieren. Im Film 1st Part Conditional (2004) wird eine klassische Biedermeier-Wohnung zum protagonistischen Schauplatz, eine psychologisch aufgeladene Architektur. Eine weibliche Figur, uniformiert in einem grauen Anzug, bewegt sich mit spastischen Bewegungen durch den Raum, während aus dem Off eine Stimme Fragmente literarischer und wissenschaftlicher Texte wiedergibt. Eine dem Betrachter unbekannte Macht führt die marionettenhafte Frau schliesslich gewaltsam zum Kollaps. Der beunruhigende Zusammenbruch wirkt dabei gleichermassen fremd- wie selbstgesteuert. Von einem solchen kann auch gesprochen werden, wenn Schinwald mit subtilen Eingriffen in die Bildsubjekte alter Stiche und Gemälde eingreift und diese mit (un)heimlichen Attributen und Manipulationen wie uneindeutige Apparaturen und prothetische Accessoires versieht – dem scheinbar gefestigten historischen Körper wird durch eine temporale (Durch-)Brechung eine neue, andere körperliche Oberfläche verliehen.

Mit Foucault gesprochen, ist der Körper der Nullpunkt, an dem sich alle Wege und Räume kreuzen. In Schinwalds Arbeiten reagieren die Körper symptomatisch auf ihre inneren Zustände und widerspiegeln die äussere Erfahrung in der Pose. Die Szenarien, die Schinwald entwickelt, folgen keiner linearen Narration mit Anfang und Ende, sondern zirkulieren obsessiv und repetitiv um eine inhaltliche Mitte. Die auf den ersten Blick in ihrer minimal-kühlen Inszenierung gehaltenen Filme, Bilder und Skulpturen verdichten sich so zu einem komplexen Wirkungsgefüge, das eine Vielzahl an Möglichkeiten und Geschichten zulässt, die sich aus unserem kollektiven Gedächtnis speisen. Sie entführen den Betrachter in einen sich selbst stützenden Kosmos, in ein unheimlich-surreales System, wo normative Grenzen aufgehoben werden zugunsten des Enigmatischen und Wunderbaren.

So beschränkt sich auch die Präsentation der Werke in der Ausstellung nicht bloss auf eine einfache Anordnung. Der White Cube wird zwar in seiner Isolation, seiner von der Umwelt entfremdeten Lokalität belassen, wird jedoch durch ein auratisches, psychologisches Element ergänzt, das den Raum in eine Erzählung einbindet. So konstruiert Schinwald für die Ausstellung in Anlehnung an den Architekten, Bühnenbildner und Künstler Friedrich Kiesler eine modulare Holzkonstruktion, die sich wie ein Leitfaden durch die Räumlichkeiten zieht. Das Ausstellungs-Display wird so von einem «Träger- und Legersystem» bestimmt, das den Betrachter in einen räumlichen und temporalen Rahmen einbindet. Kiesler entwickelte dieses «T- und L-System» 1924 für die Internationale Ausstellung neuer Theatertechnik in Wien. Dieses erlaubt eine flexible, frei stehende Konstruktion zur Präsentation von Objekten und Bildern und stellt gleichzeitig den Reformationsversuch dar, veraltete Ausstellungspräsentationen neu zu überdenken. Diese modernistische Holzkonstruktion ermöglicht dem Künstler ein raffiniertes Spiel von Sichtbarem und Verborgenem. Dem Betrachter wird somit seine Rolle als «aktiver Sehender» nochmals bewusst gemacht und die Möglichkeit geboten, eigene Analogien und narrative Stränge zu entwickeln und zu verfolgen.

Zuletzt waren Werke von Markus Schinwald unter anderem in den Ausstellungen The World is a Stage in der Tate Modern in London (2007), True Romance in der Kunsthalle Wien (2007) oder an der 3. Berlin Biennale (2006) zu sehen.

Ein Ausstellungskatalog ist bei JRP|Ringier erschienen, der in Zusammenarbeit mit dem migros museum für gegenwartskunst, Zürich, und dem Belvedere, Wien, entstanden ist.

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Markus Schinwald
Kuratorin: Heike Munder