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Die Dialogausstellung stellt den Arbeiten von Marlene Dumas historische Beispiele für die Bildform der Tronie gegenüber. Tronies sind Darstellungen von Köpfen, die sich durch besonders virtuose Handhabung der künstlerischen Mittel, starken Ausdruck und individuelle Physiognomie auszeichnen. Erst in jüngster Zeit wurde die Bildform der Tronie von der kunstgeschichtlichen Forschung entdeckt.

Tronies Der Begriff stammt aus dem niederländischen Sprachgebrauch des 16. und 17. Jahrhunderts und bedeutete soviel wie 'Kopf', 'Gesicht' oder 'Miene'. Tronies wurden zunächst als Vorlage für Figuren in Historiengemälden nach dem lebenden Modell gemalt. Als Proben von der Handschrift eines Künstlers waren sie bei Sammlern besonders begehrt. Im Laufe des 17. Jahrhunderts emanzipierte sich die Bildform: Die Werke wurden als autonome Kunstwerke geschaffen und auf dem Kunstmarkt angeboten. Diese Entwicklung wurde maßgeblich von den beiden jungen Malern Jan Lievens und Rembrandt in Leiden forciert. In den nördlichen Niederlanden waren auch Amsterdam, Delft und Haarlem wichtige Zentren der Produktion von Tronies. In den südlichen Niederlanden widmeten sich die führenden Meister Peter Paul Rubens, Anton van Dyck und Jacob Jordaens der Tronie, die in deren Werkstätten auch zu Schulungszwecken eine wichtige Rolle spielte. Anders als das Porträt erfüllte die Tronie keine repräsentative Funktion. Die Köpfe werden meist isoliert und knapp ausgeschnitten vor einem neutralen Hintergrund gezeigt. Die Identität des Dargestellten ist nebensächlich. Anders als Figurenbilder und religiöse Einzelfiguren lassen sich Tronies nicht ohne weiteres auf moralische oder erzählende Inhalte festlegen. Vielmehr loten sie das Spektrum menschlicher Physiognomie und Affektäußerung aus und spiegeln charakterologische Vorstellungen, die der Frühgeschichte der Psychologie angehören. Der Betrachter bekommt die Freiheit für eigene Assoziationen.

Die Auswahl an Tronies umfasst Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken von Meistern des späten 16. Jahrhunderts: u.a. Frans Floris, den großen Flamen Rubens, Van Dyck und Jordaens, Jan Lievens, Rembrandt und seinen Schülern sowie Michael Sweerts. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Haarlemer Schule mit Leendert van der Cooghen, Cornelis Cornelisz. van Haarlem, Hendrick Goltzius und Judith Leyster.

"I use second-hand images and first-hand emotions" (Marlene Dumas)

Den niederländischen Kopfstücken stehen in der Ausstellung unterschiedliche Arbeiten von Marlene Dumas aus allen Jahrzehnten ihres Schaffens gegenüber. Im Werk der 1953 in Kapstadt geborenen Künstlerin, die 1976 nach Holland übersiedelte, bilden neben anderen figürlichen Sujets gezeichnete und gemalte Darstellungen von Köpfen eine Konstante. Im Gegensatz zu den Alten Meistern, die vom lebenden Modell ausgingen, arbeitet Marlene Dumas überwiegend mit fotografischen Reproduktionen aus Büchern, Modemagazinen, populären Zeitschriften und Zeitungen. Sie greift dabei nicht nur auf Fotos von bekannten Persönlichkeiten zurück, sondern auch auf Bilder von Verbrechen, Katastrophen etc. Die Themen sind neben den alltäglichen Dingen des Lebens - wie Geburt, Liebe, Sex, Leiden, Tod und Religion - auch Apartheid und Stereotypen von Rassismus.

Marlene Dumas fasst ihre Darstellungen von Köpfen nicht als Bildnisse auf. Schon durch die mehrdeutige Betitelung ihrer Werke lockert sie die Verbindung zur Vorlage. Ihre oft überlebensgroß gemalten Gesichter lassen keine bestimmte psychologisierende Interpretation zu. Naomi Campbell wird von Marlene Dumas als Ikone ohne Glamour präsentiert ("Naomi", 1995): Das Supermodel ist in den austauschbaren Typus einer schönen Frau verwandelt. Metamorphosen erfahren auch Abbildungen von Männern, die unser visuelles Gedächtnis bevölkern. "The Pilgrim" (2006) zum Beispiel zeigt uns ein überraschend buntes Bild von Osama Bin Laden. Das Gemälde "Waterproof Mascara" (2008) erinnert an die barocke Metapher von der Welt als Bühne, auf der jeder seine ihm zugewiesene Rolle zu spielen hat.

Die Zusammenstellung der Werke wird durch eine Auswahl von Zeichnungen aus den vielteiligen Serien "Females" (1992-93), "Jesus-Serene" (1994), "Models" (1994) und "Rejects" (1994-) vervollständigt. Die Serie "Females" ist eine Art Enzyklopädie von Frauen, die der Auffassung entspringt, dass jede Frau schön ist. "Jesus-Serene" ist eine Sammlung von Männerporträts, die auf Bildern oder Skulpturen von Jesus quer durch die ganze Kunstgeschichte basieren. Es sind aber auch Porträts von Kollegen und Bekannten von Marlene Dumas darunter. Bei aller Verschiedenheit der Gesichter ist ihnen ein gelassener Ausdruck gemein. "Models" (1994) befasst sich mit Ikonen der Massenmedien wie Filmstars oder Covergirls. Auch Musen und Mätressen, die den Alten Meistern für eine "Juno", "Lucretia" oder "Bathseba" Modell gestanden haben, kommen vor. Immer wieder bezieht sich Marlene Dumas auf Werke der Kunstgeschichte, von Cranach über Caravaggio bis hin zu Courbet.

Das Bildverständnis der Tronie, die bisher nur im Rahmen von Rembrandt-Ausstellungen thematisiert wurde, wird zum ersten Mal im Dialog mit zeitgenössischer Malerei formuliert. Dabei werden wichtige Gemeinsamkeiten deutlich wie die Immunität der Werke und Arbeiten gegenüber der Deutung als Bildnisse.

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Marlene Dumas
tronies
Kurator: Leon Krempel