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Martin Walde gelingt es seit Jahren mit einer unverwechselbaren, innovativen Praxis, den Ausstellungsbesucher in seine dynamischen Installationsprozesse mit einzubeziehen. Seit seiner Teilnahme an Catherine Davids documenta X (1997) ist Martin Walde international bekannt. Seine Arbeiten haben den Begriff von Skulptur an die Front der Materialformung vorangetrieben. Das Konzept, Skulptur als Verhalten im Raum anzusehen, ist durch zahlreiche Werke – von Franz Erhard Walther bis Erwin Wurm – mittlerweile durchgesetzt. Die Erweiterung des Skulpturbegriffs in eine neue Materialtechnologie, die unsere Vorstellung von Materie und Raum vollkommen verändert, ist jedoch noch Neuland, das zwar in den 1960er-Jahren (von Robert Smithson, Bill Bollinger, Joseph Beuys u.a.) erstmals beschritten, aber mit wenigen Ausnahmen kaum weiterentwickelt worden ist. Martin Walde erforscht dabei den Zusammenhang zwischen Material und Skulptur in diesem Sinn und erreicht dadurch auch ein neues Verhältnis von Sinnesorganen und Sinneswahrnehmung am Beispiel der Skulptur. Walde kann als einer der herausragenden Plastiker der Gegenwart angesehen werden, der systematischer und subtiler auf jenem Gebiet arbeitet, wo zahlreiche andere Künstler monumentale Spektakel errichten. Auch mit Arbeiten, die nicht mehr an einen festen Platz im Ausstellungsraum gebunden waren, sondern plötzlich beweglich waren, multifunktional wurden und kontextfrei einsetzbar waren, setzte Martin Walde seit den späten 1980er-Jahren seine Arbeit an der Erweiterung des Skulpturbegriffes fort. Man konnte seine Skulpturen herumtragen und in dem Sinne verwenden, wie es einem gerade einfiel. Die Funktion war von ihrer Form nicht ablesbar. Waldes Arbeiten sind somit auf natürliche Weise interaktiv. Mit einer anderen Werkgruppe konterkariert Walde wiederum den beschriebenen Umgang mit der Kategorie Skulptur: Mit Werken, die aus zähflüssigem Gel bestehen. Denn wie sollte man eine schleimige Masse transportieren, wenn schon die Berührung nicht leicht fällt?

Im ZKM | Museum für Neue Kunst wird die eigens für diese Ausstellung hergestellte Gruppe von Hallucigenia-Skulpturen präsentiert: dünnwandig geblasene Glaskörper, die mit verschiedenen Edelgasen befüllt sind und durch Hochfrequenztechnik zum Leuchten gebracht werden. Sie gehen in ihrer Form auf präkambrische Weichkörpertiere zurück, deren Abdrücke 1977 in Kanada gefunden wurden. Ihr Entdecker S. C. Morris nannte eines dieser Tiere Hallucigenia. Aufgrund der nicht möglichen Einordnung dieser Urtiere in den kanonisierten Stammbaum der Tierwelt wurde dieser mithin insgesamt in Frage gestellt. Walde thematisiert mit diesen geradezu alchemistisch wirkenden Leuchtskulpturen den Versuch, Unbekanntes mit Unbekanntem zu erklären. Sein gesamtes Hallucigenia-Projekt ist dabei als Medienplattform zu verstehen, die ihren Fokus einerseits auf den Umgang mit und die Interpretation von neuen, unbekannten Strukturen richtet, andererseits die Ableitung und Entwicklung von künstlichen Wesen von wissenschaftlichen Fundstücken offenbart. Weit zum Lichthof geöffnet, präsentiert die Ausstellungsfläche im ersten Obergeschoß eine raumgreifende Struktur, die aus einer Vielzahl von Carbonstäben und flexiblen Verbindungselementen besteht, die individuell geformt nahezu unendliche Möglichkeiten der Strukturierung und Organisation des Raumes erlauben. Die Erstaufstellung dieser Struktur findet vom Künstler arrangiert am Ausstellungsort statt. Aufgrund ihrer komplexen Natur gibt es keine Vorhersehbarkeit der Stabilität und der „Raumwucherungen“. Das Verwenden von einfachsten Arbeitsmitteln, die auf ungewöhnliche Weise kombiniert, arrangiert und dem Ausstellungsbesucher als Aufforderung zum Handeln angeboten werden, gehört zu den Grundprinzipien Martin Waldes: So zwängt er bei einer weiteren Arbeit metallene Maßbänder im Ausstellungsraum zwischen Boden und Decke, die dadurch in labiler Spannung gehalten werden: Ein normales Maßband wird hierbei in eine ephemere Säule transformiert. Eine labile Konstruktion, die jederzeit bei Berührung zusammenfallen und ebenfalls vom Besucher in veränderter Form neu in den Ausstellungskontext eingebracht werden kann. Somit gelingt es Martin Walde auf unterschiedlichen ästhetischen, materiellen und intellektuellen Ebenen Fragen der Kunstproduktion zu beleuchten, dabei dem Zufall und dem Willen der Betrachter Raum zu geben und auf eine spielerische Weise den Besucher an seinen dynamischen Werkprozessen teilhaben zu lassen.

Kuratiert von Peter Weibel

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Martin Walde. Hallucigenia
Eine Ausstellung im ZKM | Museum für Neue Kunst
Kurator: Peter Weibel