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Eröffnung am Freitag, den 10. Juli, 19 Uhr

Metahaven ist ein Forschung- und Designbüro in Amsterdam und Brüssel, das im Zwischenbereich von Grafikdesign, Architektur und Kunst arbeitet und veröffentlicht. Zu den Schwerpunkten der Gruppe gehören Themen wie Markenbildung, Branding, Netzwerke und die Ästhetik der Politik. Forschung bedeutet für die Gruppe Metahaven Daten zu erfassen und Zusammenhängen herzustellen, aber ebenso auch neuen Vorstellungen zu entwickeln und nicht zuletzt ein offenes spekulatives Feld zu erzeugen. Arbeit von Metahaven wurden in letzter Zeit in internationalen Ausstellungen gezeigt, unter anderem bei Arnolfini Bristol, Stroom in Den Haag und dem Musée d’Art Contemporain in Bordeaux. Für das Künstlerhaus Stuttgart entwickelt Metahaven ein neues Projekt, das in Zusammenarbeit mit Casco, Office for Art, Design and Theory in Utrecht produziert wird. Das Projekt ist als umfangreiches Forschungsvorhaben über den aktuellen Status des Ortes und die die Gestaltung von räumlichen Zusammenhängen angelegt. Dabei spielt der Bezug zur sozioökonomischen und technologischen Entwicklung, aber auch Verbindungen zur sozialen Identität von Orten eine wichtige Rolle. Die Ausstellung wird die erste große Einzelpräsentation von Metahaven sein und die Arbeiten der Gruppe über neue Informationstechnologien und die Auswirkungen von Verschlüsselungs- und Kompressionsverfahren auf Gestaltung und Raum umfassend vorstellen. Zeitgleich zur Ausstellung wird die umfangreiche Monografie “Uncorporate Identity” von Metahaven im Lars-Müller-Verlag erscheinen.

Methodik: Verschlüsselung und Datenkompression

Verschlüsselung und Verdichtung sind Verfahren der Informationstechnologie, die aufs Engste mit dem Leben in der globalen Informationsgesellschaft verbunden sind. Sie beschreiben mehr als nur eine neutrale Methode der Informationstechnokratie, die uns umgibt. Sie stellen vielmehr auf fundamentale Weise bekannte Vorstellungen von Identität, Kommunikation, dem Zugang zu Information und der Rolle des Designers in Frage. Verschlüsselung und Verdichtung bedeuten in letzter Konsequenz, dass lesbare, repräsentative und symbolische Formen - darunter Dinge, mit denen wir alle im Alltag umgehen, wie Pässe, Briefumschläge oder Produktbeschreibung - immer weniger Bedeutung als notwendige Zwischenglieder im alltäglichen Datenaustausch haben. Verbunden über einen elektronischen Datenraum, funktioniert Datenaustausch vielmehr zunehmend innerhalb eines eigenen Netzwerks von Verbindungen, das eine neue Art der informationellen Realität erzeugt. Biometrisches Profiling, Gesichtserkennung, RFID Datenerkennung, Datamining, die Kodierung von Informationen mittels Verschlüsselung und Kompression sind “technische” Abläufe, die unser Verständnis von Sichtbarkeit und Erkennbarkeit auf grundsätzliche Weise verändern.

Infolge der wachsenden Bedeutung der Information in verschlüsselter und verdichteter Formen - ein bekanntes Beispiel ist der Barcode - schwindet zunehmend der Einfluss von Formen der symbolischen Repräsentation. Im Bereich des visuellen Designs kommt ein neues Modell der Sichtbarkeit zum Vorschein: eine Ordnung der Formen, die auf den ersten Blick unlesbar, unleserlich und unverständlich sind. Die strukturelle Lesbarkeit dieser Formen stützt sich auf die elektronischen Werkzeuge (sogenannte “vantage points”), die erst durch einen technischen Prozess des Lesens und Scannens ihre eigentliche Nachricht übermitteln. Auf diese Weise funktionieren Verfahren der Verschlüsselung und Kompression als Werkzeuge, die den Zugang zu Informationen organisieren und den Informationsfluss kontrollieren. Die neuen informationellen Abläufe schreiben wie eine Art Grenzkontrolle Bereiche der Sichtbarkeit und des gemeinsamen Wissens fest, was nicht zuletzt auch Ausschlüsse daraus beinhaltet. Unter diesem Blickwinkel werden einige der unmittelbaren politischen Konsequenzen der sichtbar: eine Gesellschaft, in der die “Unmarkierten” eine verdächtige Klasse bilden, während eine hybride Gruppe von wechselseitig abhängigen, staatlichen und nichtstaatlichen Agenten im globalen Informationsnetzwerk unsere Berechtigung dazu, Grenzen zu überschreiten und auf Bürgerrechte zuzugreifen, auf der Grundlage von Profilen und Datenbanken einschränkt, die den Bürgern selbst unbekannt sind.

Forschungsthema: Ein spekulativer Stadtstaat und seine Marke

Um die grundsätzlichen Fragen bezüglich Methodologien und politischen Zusammenhängen, die mit Datenverschlüsselung und -verdichtung verbunden sind, in Form einer Ausstellung anschaulich zu behandeln, entwickelt Metahaven ein Forschungsszenario als spezifisches Beispiel für die Untersuchung. Das Szenario reagiert auf die zwei bevorstehenden Ausstellungen von Metahaven in Stuttgart und Utrecht und die spezielle Situation dieser beiden Städte. Grundlage des Szenarios bilden die Forschungstätigkeiten und die Diskussionen von Metahaven, aus denen die Gruppe eine höchst spekulative, beinahe utopische Erzählung über eine neue mögliche geographische Organisation mit einer neuen politischen Agenda entwirft.

“Die globale Wirtschaftskrise erfasst Europa. Verschiedene politische Einheiten machen sich auf die Suche nach neuen Allianzen. Da die Staaten zunehmend dem Einfluss globaler Kräfte außerhalb ihrer nationalen Grenzen unterliegen, sollen neue multilaterale Korridore das Modell des Stadtstaat in den europäischen Regionen wiederbeleben. Ein solcher Korridor wird zwischen den Städten Stuttgart und Utrecht entstehen. Beide Städte sind mit ähnlichen Bedingungen, aber verschiedenen Herausforderungen konfrontiert. Beide sind groß und wirtschaftlich stark, liegen zentral (zumindest in Bezug auf die jeweilige Region), dennoch befinden sie sich abseits der vielbeachteten metropolitanen Zentren. Beide Städte haben ein vernarbtes Stadtzentrum - Stuttgart aufgrund der alliierten Bombenangriffe während des Krieges, Utrecht infolge der Masterplanungen des niederländischen Staates. Vereint in der drohenden Bedeutungslosigkeit als europäische Zentren entscheiden sich Stuttgart und Utrecht dazu, ihre endlosen (und hoffnungslosen) innerstädtischen Erneuerungsprojekte aufzugeben und stattdessen den Fokus auf die Ausformung einer europäischen hybriden räumlichen Organisationsform zu setzen.” (Metahaven, Stadtstaat Szenario)

Die Ausstellung präsentiert Forschungsmaterial, experimentelle Entwürfe für ein Branding sowie detailierte Designanwendungen für eine neue Art des Stadtstaates, in dem Stuttgart und Utrecht sich vereinigen oder “verdichten”. Die fiktionale Marke des Stadtstaates repräsentiert ein radikales politisches Experiment, das gegenwärtige Phänomene des Stadtmarketings und Brandings ebenso wie mögliche Alternativen zur neoliberalen politischen Agenda untersucht. Im neu entworfenen Stadtstaat werden biometrische Formgebung, Gesichtserkennung, RFID Datenerkennung und Datamining, die den internationalen geopolitischen Raum dominieren, durch einen “erweiterten sozialen Vertrag” ersetzt.

Die Arbeiten und Modelle in der Ausstellung arbeiten zwischen Informationsarchitektur und experimenteller Markenbildung, fokussiert auf den Begriff der Lesbarkeit und die Beziehung von Form und Raum. Thematisch präsentiert die Ausstellung im Raum der visuellen Gestaltung - durch Grafikdesign und Architektur - mögliche Alternativen zu aktuellen Formen des Grenzmanagements. Das Projekt diskutiert das Thema der Verschlüsselung und Verdichtung jenseits seiner Bedeutung in der Informationstechnologie und erforscht die Auswirkungen und Resultate in der Politik und in Bezug zum visuellen Erkenntnisprozess. Die neue Marke, die das Projekt entwickelt, spricht potentiell Konsumenten und Nutzern weltweit an und eröffnet eine bislang beispiellose Idee des europäischen Raumes jenseits des akzeptierten Modells der Partnerstädte.

Biographische Information

Metahaven (Daniel van der Velden, Vinca Kruk und Gon Zifroni ) ist ein Forschungs- und Designbüro, das in Amsterdam und Brüssel arbeitet. Zu den bisherigen Arbeiten von Metahaven zählt der Entwurf einer visuellen Identität für den Mini-Staat Seeland sowie Forschungsprojekte über den ehemaligen Volkspalast in Bukarest und die europäische Internet-Suchmaschine Quaero. Arbeiten von Metahaven waren in folgenden Ausstellung zu sehen: “Forms of Inquiry: the Architecture of Critical Graphic Design” (Architectural Association, London), “On Purpose: Design Concepts” (Arnolfini, Bristol), “Since we last spoke about monuments” (Stroom in Den Haag). 2008 zeigten sie die Einzelausstellung “Affiche Frontière” im CAPC, Musée d’Art Contemporain in Bordeaux. Metahaven nahm an der Architektur-Biennale in Venedig 2008 mit Vorträgen im niederländischen Pavillon teil. Neben Tätigkeiten im Design, der Forschung und als Autor von Beiträgen und Publikationen hat Metahaven zahlreiche Vorträge gehalten und an Konferenzen teilgenommen. Die Mitglieder der Gruppe unterrichten u.a. an der Yale University in New Haven, der Academy of Arts in Arnhem, dem Sandberg Institute in Amsterdam und der Ecole régionale des beaux-arts in Valence, Frankreich.

Kuratoren: Axel John Wieder (Künstlerischer Leiter, Künstlerhaus Stuttgart) und Binna Choi (Casco Utrecht) Die Ausstellung ist eine Koproduktion mit Casco, Office for Art, Design and Theory in Utrecht.

Mit freundlicher Unterstützung der Mondriaan Foundation.

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Stadtstaat. Szenario für das Verbinden von Städten
Ein Projekt von Metahaven 
Kuratoren: Axel John Wieder, Binna Choi

Episode 1:
Künstlerhaus Stuttgart
11. Juli 2009 - 12. September, 2009

Episode 2:
Casco, Utrecht
27. September - 15. November 2009