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Eine neue Dimension in der Malerei Die „Virtual Space“- Bilder von Michael Burges von Gerhard Charles Rump

Ein Hauptanliegen der Malerei war es, praktisch seit Anbeginn und unabhängig von der Thematik, das Bild zu transzendieren, eine bildliche Autonomie jenseits von Abbildlichkeit zu schaffen, Raum zu kreieren, der eine Pforte in Dimensionen öffnet, die in die Welt hinter Farbe, Faktur und Motiv führt.

Die essentielle Flächigkeit von Malerei – Malerei ist zunächst nichts anderes, als durch Farbe veränderte Oberfläche – kann anerkannt und thematisiert , sie kann aber auch als zu überwindendes Hindernis gewertet werden, das erst durch eine erfolgreiche Überwindung ein Bild im Kopf des Betrachters entstehen lässt.

Eine Methode, das zu erreichen, war die „künstliche Perspektive“, die Erfindung des Bildraums, deren Geschichte man in John Whites Buch „The birth and rebirth of pictorial space“ nachlesen kann (New York 11967). Hier zeigte sich schon früh, dass ein Bild erst dann ein Bild ergibt, wenn es auf die Zurüstungen des menschlichen Wahrnehmungssystems, die „Grammatik“ des Sehens zugeschnitten ist, mit dieser korrespondiert. Ex negativo: nur wer sehen kann, kann Bilder sehen. Das mag wie eine Binsenweisheit klingen, gehört jedoch zu den Grundvoraussetzungen von Malerei.

Eine andere grundsätzliche Vorgehensweise zur Transzendierung von Bildern (natürlich auch in Kombination mit anderen Mitteln) war die Verwendung der Farbe. Dabei kam es zu so hochabstrakten wiewenn dennoch sinnlichen Vorgehensweisen wie dem Goldgrund in der mittelalterlichen Malerei (zum Teil auch im 19. Jahrhundert wieder angewendet), der für das Transzendentale einstand, oder, für die weitere Entwicklung bedeutsamer, der Farbe als Symbol für Licht. Farbe ist bekanntlich keine Eigenschaft der Gegenstände (wie etwa die Form), sondern nur eine visuelle Erscheinung, die von der Oberflächenstruktur der Dinge in der Weise abhängt, dass diese einen bestimmten Teil des Wellenspektrums des Lichts zurückwerfen, der zudem noch von unserem Wahrnehmungsapparat mitbestimmt wird (wir können zum Beispiel kein UV-Licht sehen, Bienen ja). Von Wolfgang Schöne („Über das Licht in der Malerei“) stammt der Begriff des „transzendentalen Leuchtlichts“, so wie wir es etwa aus Grünewalds „Auferstandenem Christus“ kennen: leuchtkräftige Farbe, die sich nicht als physikalisches Licht im Bilde versteht, sondern als Repräsentation von Transzendenz.

So gut dies auch alles funktioniert haben mag (wir lassen hier die Skulptur beiseite, die ebenfalls Strategien zur Transzendierung entwickelt hat), das Bild blieb stets am Bildträger verortbar, hatte Faktur, hatte „Stil“ und war in Bezug auf den Betrachter jedwedem Zugriff zugänglich. Erst im Barock, in der illusionistischen Deckenmalerei (nicht im „quadro riportato“, dem an der Decke angebrachten Tafelbild) geschah ein weiterer Schritt, indem plastische Elemente, etwa die Beine eines Engelchens, in der zweiten Dimension in der Malerei weitergeführt wurden. Aber diese Art von Transzendierung, obwohl sie, zumindest an den Rändern, eine exakte Verortung des Bildes unmöglich machte, hob das Bild als Malerei nicht aus der Sphäre des physisch Eindeutigen heraus: es war zwar vom gewünschten Betrachterstandpunkt aus nicht möglich zu sagen, wo die dritte in die zweite Dimension hinüberglitt, aber die Illusion als gemalte Illusion war stets präsent.

In der Moderne sind viele Muster durchprobiert worden. Die Op-Art spielte mit Interferenzen und Simultankontrasten, Barnett Newman mit der Überwältigung des Betrachters durch große, essentiell monochrome Farbflächen, Julio Le Parc, Dan Flavin und viele andere mit realem Licht. Dennoch blieb das Bild, so sehr die Kunst auch auf das „Numinose“ oder transzendental ausgerichtet war, immer ein zugängliches Bild, definierbar und letztendlich haptisch. Auch bei Anish Kapoors großen, konkaven Wandapplikationen ist diese Begrenzung eindeutig: ihr Irritationspotenzial eröffnet sich erst in enger Nähe, und der Ort des Geschehens ist klar definierbar.

Bei den neuen Arbeiten von Michael Burges ist das alles ganz anders. Hier eröffnet sich eine neue Dimension der Malerei, indem die Malerei wirklich transzendiert wird, ihren durch die Wahrnehmung des Betrachters bestimmbaren physikalischen Ort aufgibt und dahin wandert, wo das Bild wirklich Bild wird: im Kopf des Betrachters. Das auch konzeptuell Entscheidende dabei ist, dass das gesehene Bild zwar wahrgenommen, aber nicht nicht verortet werden kann,- es schwebt frei im Raum, verändert sich durch die Bewegung des Betrachters, und niemand weiß zu sagen, wo es eigentlich ist, außer, dass es im Kopf wirkt. Die wenigstens ungefähre Verortung des Bildes in dem es umgebenden wie hervorrufenden Kasten ist akzidentell: das Bild würde sich als Bild nicht verändern, wenn der Kasten die Größe unendlich hätte.

Die Veränderung des Bildes durch die Bewegung des Betrachters im Raum beinhaltet auch, hervorgerufen durch Spiegelungen und Interferenzen, eine Mehrschichtigkeit, die in dieser Weise auf einem herkömmlichen Bildträger mit den Mitteln des Farbauftrages nicht erreichbar und auch, etwa bei Pistoletto, sonst nicht Absicht ist. Hier ist es aber Absicht, dass diese mit der Bewegung des Betrachters variierenden Staffelungen auftauchen. So entsteht eine Komplexität, die der entsprechenden Komplexität der emotionalen Reaktion des Betrachters zugeordnet ist und diese auch ästhetisch reflektiert.

Entscheidend ist, dass diese Transzendierung der Malerei durch Malerei geschieht und von ihr ausgeht. Michael Burges gesellt der Malerei ein technisches Element hinzu, eine Diffusorscheibe. Anders als bei Stephan Kaluza, der eine gewisse, das konkrete Sujet ins Allgemeine hebende Wirkung dadurch erzielt, dass er eine getrübte Scheibe vor seine Bilder hängt, geschieht bei Michael Burges durch die Diffusorscheibe etwas ganz Anderes und ganz Neues: das gemalte Bild als körperlicher Gegenstand wird völlig aufgehoben, es schwebt frei im Raum, verändert sich mit der Bewegung des Betrachters und wird vollkommen ortlos. Der Betrachter hat keinen Zugang zum Bild, es sei denn, er zerstörte es, er wird auf sich selbst zurückgeworfen und lebt ästhetisch gesehen, damit, dass er die sich ergebenden Bilder im Kopf ständig neu erschaffen lässt. Dadurch werden sie in der Tat zu transzendentalen Erlebnissen, denn, horribile dictu, alles das, was die Tradition noch hoch hielt, wie Künstlerhandschrift, Faktur, Textur, sind verschwunden. Sie werden durch die Wahrnehmungsfähigkeit und Wahrnehmungswilligkeit des Betrachters ersetzt, wodurch dieser wiederum auf die Grammatik des Sehens verwiesen wird.

Diese „Kontrollosigkeit“ für den Betrachter zwingt ihn, seine innere babylonische Bibliothek einschließlich des imaginären Museums zu öffnen. Die Bilder können dann so im Unterbewussten abgelagerte Wissenskomplexe, die vorher durch den Neokortex ausgefiltert wurden, aktivieren und zu bewussten Erlebnissen umkonfigurieren. Da der Betrachter, anders als sonst vorher wohl in der gesamten Kunstgeschichte, sich einem so nicht-haptischen Bild gegenüber sieht, weil er radikal vom Raum des Bildes ausgeschlossen ist, ist dieser Raum virtuell. Er ist vorhanden, aber nicht „da“,- und ist er präsent, dann erweist er sich als nicht zugänglich – mit der so intendierten wie notwendigen Ausnahme durch die Wahrnehmung und Einbildungskraft. Diese Bilder von Michael Burges sind nicht „einfach so“ entstanden. Viele Elemente finden sich in früheren Werken von Burges, werden hier aber auf signifikante Weise zusammengeführt und neu zugerüstet. Die Verweigerung eines fixierten Standpunktes, einer eindeutigen Perspektive, gab es schon in den „CESM“-Paintings (Colour-Energy-Space-Matrix), und visuelle Verselbständigungen durch Mischung von reflektiertem, farbigem Licht zeichnete schon die „Refraction Paintings“ aus. In diesen Werken kam schon Michael Burges’ systematischer Zugriff auf die „Wissenschaft der Malerei“ zum Ausdruck. Einmal im Verzicht auf subjektive Gesten als Ausdruck eines wie auch immer leidenden Subjekts, und zum anderen wurden wir Zeuge einer wohltemperierten Zurückhaltung und eines systematischen Forschungsvorgangs zu Fragen nach dem, was ein Bild sein kann, wie es funktioniert, sowohl im Inneren wie in der Wirkung nach Außen, welche Effekte es hervorruft, wie es sich zu den Kräften unserer Wahrnehmung verhält, und letztlich, nach dem Wissen, dem Wissen über uns selbst und dem, was uns antreibt, wenigstens im Allgemeinen. Burges’ Werke waren also nicht Zeugnisse der Selbstvergewisserung eines künstlerischen Ich als vielmehr Ergebnisse von Untersuchungen über die Natur von Farbe, Raum, Energie und das menschliche Wahrnehmungssystem; Untersuchungen gleichsam wissenschaftlicher Natur, die dahin tendieren, die Lücke zu füllen, die sich zwischen den Geisteswissenschaften auf der einen, und den Naturwissenschaften auf der anderen Seite aufgetan hat. Michael Burges betont gerne, dass auch Mathematiker mit einem Sinn für die „Schönheit“ ihrer Formeln operieren, und Physiker ebenso. Alle Bilder von Michael Burges sind Versuche, uns diese Eigenschaften des Denkens und der Wahrnehmung, letztlich des Wissens über Welt, bewusst zu machen.

Das geschieht in den neuen Bildern der „Virtual Space“-Serie auf verstärkte Weise, da dem Betrachter der Bilder der Bildkörper unzugänglich ist. So wie der Quantenphysiker nicht Geschwindigkeit und Ort eines Teilchens gleichzeitig bestimmen kann, sondern immer nur eines von beiden, was bedeutet, dass das Teilchen „an sich“ ihm unzugänglich ist, so kann der Betrachter der neuen Bilder von Michael Burges auch immer nur einen Aspekt, einen aus einer Serie von möglichen Bildzuständen wahrnehmen. Oder eines aus einem „String“ von Bildern.

Das hat auch mit „Shärenklängen“, mit Musik zu tun. Der moderne Begriff der Vibration, auch der von Licht (Frequenzspektrum) in der physikalischen Theorie findet sich in der visuellen Vibration des malerischen Universums von Michael Burges wieder. Um Kosmologie, das Universum, und damit die fundamentalsten Bedingungen von Existenz überhaupt in einem Bild zu thematisieren, um ernsthaft im Feld universeller und kosmologischer Probleme zu arbeiten, muss man, wie Michael Burges, tiefer in das Gewebe der Welt und unserer Vorstellungen von ihr eindringen.

Das geschieht in den neuen Bildern in vorher nie gekannter Weise. Dadurch dass sie als Malerei und als Bild konzeptuell von Materialität im Sinne von Körperlichkeit befreit sind und nur auf die Wahrnehmung des Betrachters und deren ästhetischer Analysefähigkeit abzielen, werfen sie die Frage nach dem Bild neu und in bisher unbekannter Radikalität auf: Wo ist das Bild? Und: Was ist das Bild? Was ist überhaupt ein Bild? Was kann es leisten? Was leisten wir, angesichts von Bildern, und besonders, angesichts solcher Bilder, die uns fundamental auf uns selbst zurückwerfen? Diese Wirkung auf den Betrachter ist einem „impact“ vergleichbar, einem Aufeinanderstoßen, wie es im Mikrobereich im Teilchenbeschleuniger geschieht oder im Makrobereich, wenn ein Asteroid auf einem anderen Himmelskörper einschlägt. Frühere Zustände, also im Betrachter die bisherige Summe ästhetischer Erfahrungen, wird mit einem Schlag Geschichte und verändert sich. Das passiert zwar in gleichsam selbstverständlicher Weise, mit jedem neuen Bild, das man sieht, mit jeder neuen ästhetischen Erfahrung. Hier aber, bei den „Virtual Space“-Bildern von Michael Burges, ist das von einer anderen Dimension: hier wird Malerei in der Tat räumlich, und bleibt doch an die Malerei angebunden. Michael Burges hat der Malerei eine andere, eine neue Dimension erschlossen.

Die neuen Bilder von Michael Burges sind gleichsam „weiße Löcher“: sie verströmen alles, nichts senkt sich in sie hinein. Nur in uns geschieht alles, vorausgesetzt, wir verfügen über die entsprechenden Kenntnisse der visuellen Grammatik. Haben wir sie nicht, können wir sie an diesen Bildern lernen.

Pressetext

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Michael Burges "VIRTUAL SPACE WORKS"