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Michael Müller. Der Mont Blanc ist höher als der Mount Everest
Eröffnung: Donnerstag, 5. September, 19-21 Uhr

Nach den Prologen im vergangenen April findet Michael Müllers Ausstellungszyklus im September in der Galerie Thomas Schulte seine Fortsetzung. Im Laufe der Ausstellung werden die Ausstellungsräume mehrfach verändert, zum Teil nur in wenigen Details, zum Teil in ihrer ganzen Struktur. Manche Ausstellungen werden nur wenige Stunden, andere über einen längeren Zeitraum zu sehen sein. Beendet wird die Ausstellungsreihe schließlich 2014. Ausgangspunkt für Michael Müllers Ausstellungszyklus bildet Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“, den Michael Müller vor mehr als 17 Jahren begann, in einer eigens von ihm entwickelten Zeichenschrift zu übersetzen, die auf Kreissegmenten, horizontalen und vertikalen Linien basiert und von dem Künstler „K4“ genannt wird. Mittlerweile umfasst „K4“ rund 400.000 Einzelzeichen, die aufgrund von einigen wenigen Grundregeln ihren Linien Bedeutung verleihen. Jedes Zeichen kann – zumindest potentiell – verstanden werden. In ihrer Häufung fallen die Zeichen jedoch auf grafische Formen zurück. Die Fülle an Bedeutung führt daher zu keinerlei Verständnis, sodass im Ganzen „K4“ ein zweck- und maßloses Vorhaben bleibt.

Eine große Gruppe dieser transkribierten Buchseiten wird Müller während der gesamten Dauer der Ausstellungen wandfüllend im Hauptausstellungsraum der Galerie zeigen, ergänzt um eine Fülle von Archivmaterial, das die Entstehung und Entwicklung der Zeichenschrift dokumentiert. Vor dieser Folie – mal sichtbar, mal hinter einem zugezogenen Vorhang – wird Michael Müller Ausstellungen inszenieren, in denen er sowohl mit Werken und Objekten anderer Künstler und Nicht- Künstler als auch mit eigenen Arbeiten die Figuren und die Zeit des Romans umkreist, vor allem das Jahr 1913, in dem Musils Roman beginnt

In der ersten Ausstellung, die nur am Eröffnungsabend zu sehen sein wird, also am Donnerstag, den 5. September von 19 bis 21 Uhr, bleibt der Ausstellungsraum geschlossen bzw. kann nur durch die einen Spalt breit geöffnete Eingangstür betrachtet werden. Dort, kaum hörbar und mit den Kunstwerken allein, hält ein Kunsthistoriker einen Vortrag über das Konzept und die Struktur der Ausstellungsreihe. In einem Vorraum zum Ausstellungsraum sitzt und wartet eine Person vergeblich auf Einlass in die Ausstellung. Die Unzugänglichkeit der Ausstellung, die den Fragmentcharakter des Romans widerspiegelt und sich einer eindeutigen Lesart verschließt, wird hier wörtlich genommen: Betrachter und Werk bleiben getrennt voneinander. Erst im Rahmen der folgenden Ausstellung, die am nächsten Tag, am 6. September beginnt, darf der Ausstellungsraum schließlich betreten werden. Dazu allerdings muss der Besucher zunächst im Vorraum Platz nehmen und warten, bis man ihn aufruft und in die Ausstellung führt. Neben zahllosen Blättern in der K4-Zeichenschrift begegnet dem Betrachter wiederum das Motiv des Ibis aus den Prologen, der auf den ägyptischen Gott Thot, den Erfinder von Sprache und Schrift, anspielt und damit auf die Entwicklung von Müllers „K4“- Schrift. Gleichzeitig ist der Ibis ein Verweis auf Musils Roman, der den Mythos um das göttliche Zwillingspaar Isis und Osiris in der Beziehung der Hauptfigur Ulrich zu dessen Schwester Agathe thematisiert.

Neben Michael Müllers „K4“-Schrift wird im weiteren Verlauf des Ausstellungszyklus auch eine Version des 3. Buches von Musils Roman präsentiert, die Müller spiegelverkehrt reproduziert hat. Ähnlich wie in Müllers Übersetzungsprozess wird der zuvor lesbare Text nun zu Bildern, die erst wieder mit Hilfe eines Spiegels zu lesbarem Text werden.

Im Laufe der Ausstellungsreihe tauchen einige Werke und Werkgruppen immer wieder auf, während andere komplett verschwinden. Mit der Zeit entspannt sich ein Netz von Bezügen zwischen den Werken und Ausstellungen, so dass sich am Ende die vielen Einzelteile zu einem komplexen Ganzen zusammensetzen. Vermittelt wird eine Vielfalt von formalen wie inhaltlichen Korrespondenzen, welche zwar erahnt werden können, sich letzten Endes aber einem tiefergehenden Verständnis verschließen. Die Zugänglichkeit von Kunst ist für Michael Müller die zentrale Frage in seinem Ausstellungszyklus. Vergleichbar mit Musil, der sich mit seinem Romanfragment bewusst von der klassischen Werkkonzeption mit linearer Erzählstruktur abgewendet hatte, erfüllt auch Michael Müller absichtlich nicht die Erwartungshaltung seines Publikums. Das Vorläufige und Unfertige von Musils Romanfragment wie die Unmöglichkeit zu einer präzisen Deutung wird so zum Spiegel der Ausstellung.

Michael Müller, geboren 1970 in Ingelheim am Rhein, lebt und arbeitet in Berlin. Er studierte Bildhauerei und bildende Kunst an der Kunstakademie Düsseldorf bei Magdalena Jetelova. Neben Galerieausstellungen war Müller in den vergangenen zehn Jahren an zahlreichen Gruppenausstellungen im In- und Ausland beteiligt, wie an der Landart Biennial in Ulan Bator, Mongolei (2010), an Ausstellungen in den Kunstsaelen in Berlin (2010), im Kunstmuseum Kloster unser lieben Frauen in Magdeburg (2010) und in der Kunsthalle zu Kiel (2010). Jüngst waren seine Arbeiten im Kunsthaus Dresden (2012) und in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik (2013) zu sehen.