press release only in german

Wir freuen uns, von 26. Januar bis 8. März 2008 als erste Ausstellung in den neuen Veranstaltungsräumen in der Gutleutstrasse 8-12 das Projekt ‚Das schwache Haus’ von Michaela Meise präsentieren zu können. Alle Arbeiten, die unter dem Titel ‚Das schwache Haus’ präsentiert werden, greifen die vielschichtigen und polyvalenten Bedeutungen des Architektonischen auf, um über die Beschäftigung mit formalen Fragen hinausweisend die Bedeutungsebene zu illustrieren, die Architektur in ihrem jeweiligen Kontext eröffnet.

Michaela Meises Arbeiten fußen auf einer minimalistischen Tradition, weiten den phänomenlogischen Status des Objekts allerdings zugunsten kulturgeschichtlicher und persönlicher Bezugpunkte aus. Die im Rahmen der Ausstellung präsentierten Arbeiten vertiefen das seit langem bestehende Interesse Meises an Architektur und den historischen sowie kulturellen Bedeutungsfeldern, die durch architektonische Setzungen generiert werden. Im Zentrum steht dabei das Verständnis von Behausung, Gebäude oder Haus als Ort der nicht nur phänomenologisch, sondern auch existentiell verstanden werden kann und immer wieder als Mittel einer Bezugnahme unterschiedlichster historischer und kultureller Kontexte in Stellung gebracht wird.

Gegenüber den früheren Arbeiten Meises, die oft Zitate aus kunsthistorischen und populärkulturellen Bezugsfeldern aufweisen, verdichtet sich in den hier gezeigten, formal äußerst reduzierten skulpturalen Arbeiten der Serie ‚Das schwache Haus’ sowie „Umgedrehte Satztische“ von 2007 eine konzentrierte Beschäftigung mit den Grundparametern des Hauses. Vermittelt durch die formale Reduktion der Objekte erscheint dabei eine Befragung von Aspekten wie Innen und Außen, von Schwere, Masse und Stabilität innerhalb architektonischer Formsprachen offensichtlich. Die nur aneinander lehnenden Holzstelen, die gemeinsam die Form eines Daches assoziieren oder die zerbrechlich wirkenden, ineinander geschobenen Teile der Satztische illustrieren in genauer Betrachtung eine Instabilität und das Bemühen, ein Gleichgewicht zu finden und zu etablieren. Das alltägliche Material der Arbeiten, günstiges Bauholz, kontrastiert mit der aufwändigen Oberflächenbehandlung, wodurch minimalistische Gestaltungsprinzipien der präzisen Massenfertigung sowie der architektonischen Funktion von Oberflächenwirkung gespiegelt werden. Die in den Arbeiten angedeutete Hinwendung zu einem auf basale Formbegriffe reduzierten Bild von Architektur und ihrer Funktion eröffnet in Verbindung mit dem assoziativen und vieldeutigen Titel der Ausstellung ‚Das schwache Haus’ ein Bedeutungsfeld, das über eine phänomenologische Betrachtung der Arbeiten hinaus auf eine existentialistische Lesart verweist. Das Haus, Architektur allgemein, wird dabei als Körper verstanden, das ‚schwache Haus’ skizziert darin das Bild einer Verletzlichkeit und Vergänglichkeit. Andreas Gryphius verwendet die Metapher des Hauses für den Körper explizit als Hinweis auf dessen Vergänglichkeit.1 Meise gelingt es in der Kombination der Objekte mit dem gewählten Titel, einen Bedeutungsraum für die Betrachtung der Arbeiten zu öffnen, der vielschichtig lesbar ist und die komplexe inhaltliche Bezugsebene des Architektonischen andeutet. Verletzlichkeit und Vergänglichkeit steht gerade nicht für Architektur, die viel mehr als beständig angesehen wird, wohingegen der Körper, mit dem sie hier in Analogie gesetzt wird, genau jene Eigenschaften vertritt, die hier dem Haus, bzw. der Architektur zugeschrieben werden.

Meise führt als Quelle des Titels und der Metapher Architektur – Körper darüber hinaus den romantischen Dichter Georg Friedrich Daumer an, der im Bild des Kartenhauses, dessen Konstruktionsprinzip die Skulpturenserie ‚Das schwache Haus’ folgt, eine Vereinigung von Fragilität und Konstruktivität erkennt.2

Der Bedeutungsraum von Architektur als Bezugsfeld von historischen, politischen und individuellen Ansätzen setzt sich in der Arbeit ‚Delos adelos Samos ammos Rhome rhume’ von 2006 fort. Die dokumentarisch aufgebaute Videoarbeit zeigt Eindrücke der museal gesicherten Überreste der antiken Stadt Delos, die im griechischen Städtebund zunächst religiöses, später auch kulturelles und politisches Zentrum der antiken Welt war. Ein antiker Orakelspruch jedoch prophezeite bereits damals den Untergang der Metropole und auch den der Insel Samos, wohingegen Rom zukünftig als neues Zentrum aufsteigen wird. Das aus zeitgenössischer Sicht undenkbare, der Untergang der bedeutendsten Städte der antiken und spätantiken Welt, die ihre Bedeutung nicht zuletzt durch ihre urbane architektonische Präsenz gegenüber der Peripherie vermitteln konnten, ist heute ein Faktum. Der Aufstieg und Niedergang von Metropolen erscheint jedoch aus einer individuellen Lebensperspektive nicht greifbar. Meise kontrastiert in ‚Delos adelos Samos ammos Rhome rhume’ Bilder der historischen Überreste der Metropole mit Bildern der Neo-Klassizistischen Architektur von Downtown Manhattan. Neben der unmittelbar verständlich werdenden Parallele der Baustile – erstaunlicher Weise erscheinen klassische und klassizistische Bauelemente bis in die Postmoderne als architektonische Zeichen für Macht und Relevanz- wird, evoziert durch die Zwischenschnitte auf Flugzeuge am wolkenlosen Himmel über der Stadt, eine weitere Parallel spürbar -die der Verletzlichkeit oder gar des Verlustes der Vormachtstellung einer Kultur. Ein Gefühl, das durch die Anschläge vom September 2001 in New York erstmals für die Vereinigten Staaten und die westliche Welt greifbar wurde. Die Macht, die sich durch Architektur ausdrückt, diese zu begründen scheint und zugleich als dessen Repräsentanz in Stellung gebracht wird, erscheint hier vordergründig als vergängliche.

Die Verletzlichkeit des Einzelnen innerhalb dieser historischen Prozesse wird durch Michaela Meises Einsatz individueller Verknüpfungen sichtbar, die das Gezeigte für einen größeren Bedeutungshorizont öffnet. Die Zwischenschnitte aus einem Flugzeug, das Reise, Bedrohung und Veränderung zugleich evoziert, ist mit einem Harfensolo aus Benjamin Brittens ‚A Ceremony of Carols’ unterlegt. Das Stück wurde von Britten auf seiner Rückreise aus den USA nach Europa noch vor Ende des 2. Weltkriegs komponiert, einer Reise, die Brittens Versuch, sich in den USA zu beheimaten um dem Krieg und der gewaltorientierten Politik Europas zu entgehen, endgültig beendete. Auch hier wird auf einer eher assoziativen Ebene das Gefühl von Verlust, von Scheitern spürbar, ohne unmittelbar historisch oder politisch verstanden werden zu müssen.

Der Ort, um den die Kamera in New York kreist, umschreibt die urbane Situation eines erst vor zehn Jahren entdeckten Friedhofs für Sklaven aus Afrika, die im 17. und 18. Jahrhundert an diesem Ort im südlichen Manhattan bestattet wurden. Delos, das als heiliger Ort keinen Friedhof besitzen sollte, wird gegenüber New York auf sehr vielschichtige Weise als analoger und zugleich konträrer Ort vorgestellt.3 Der hier offensichtlich werdende höchst unterschiedliche Umgang mit Geschichte, was durch den nahezu vergessenen Friedhof für die afrikanischen Sklaven sowie der Funktion von Ground Zero als prominentes Gräberfeld der vielen nicht mehr auffindbaren Toten der Anschläge aus dem Jahr 2001 greifbar wird, ist nur ein weiterer Aspekt der komplexen Auseinandersetzung Meises mit den Bedeutungsebenen, die Architektur für historische, politische und kulturelle Prozesse bündelt.

Die dokumentarische Arbeit „Der Ort Station Z“, die als Reader ausliegt, beschreibt die Topografie des Todestraktes im KZ Sachsenhausen und ihre Kontextveränderung im Laufe der Jahrzehnte. Als Ort der Vernichtung tausender Gefangener des nationalsozialistischen Regimes eröffnet sich hier nach mehr als 60 Jahren deutscher Geschichte anhand des Umgangs mit den architektonischen Überresten der Hinrichtungsstätte ein Palimpsest unterschiedlicher Bedeutungsebenen, die dem Ort als Gedenkort in der DDR 3 Als Handelsplatz beheimatete Delos zwischen dem 6. bis 1. vorchristlichen Jahrhundert zudem einen der größten Sklavenmärkte der antiken Welt. und danach im wiedervereinigten Deutschland über die architektonische Gestaltung eingeschrieben wurde.

Permanente Veränderungen des Areals, die bis heute sichtbar bleiben, verdeutlichen auch hier die Funktionalisierung von Architektur als Instrument der historischen und politischen Deutung.

Nach der umfassenden Sanierung und Neugestaltung des Areals zu Beginn dieses Jahrhunderts wird deutlich, welcher ästhetisch aufgeladenen Gestaltungsideen die Gedenkarchitektur heute folgt. Die Erhaltung der historisch belegten Spuren und Überreste steht im Mittelpunkt der aktuellen Präsentation, jedoch erscheint, wie Meise im Kontext der Geschichte der Hinrichtungsstätte aufzeigt, auch diese Gestaltung als stilistisch vorgeprägt. Die Neugestaltung eröffnet eine minimalistische Präsenz der Gedenkarchitektur, die durch ihre scheinbar schwebenden Wände und die modische Kargheit der Waschbetonmauern auf eine Emotionalisierung abzielen. Die scheinbare Neutralität dieser Gestaltungsentscheidung erscheint vor dem Hintergrund der Umformungen und Neubestimmungen des Areals innerhalb der letzten Jahrzehnte als weiteres Indiz einer fortwährenden gesellschaftlichen Instrumentalisierung der Gebäudereste. Das historische und politische Verständnis, welches den Zugang zum Themenkomplex des Dritten Reichs prägt, scheint sich in Sachsenhausen bis heute durch die immer wieder veränderte Präsentation der architektonischen Überreste zu manifestieren.

Michaela Meise gelingt es in ihren Arbeiten luzide, die scheinbar statische Präsenz von Objekten zugunsten vielschichtiger Bedeutungsebenen mit historischen, politischen und individuellen Bezügen anzureichern. Die Bezugsfelder, die Meise in ihren Arbeiten knüpft, erscheinen dabei als Bedeutungssystem, das, ist man durch die Intensität der hier offen zutage tretenden Bezüge sensibilisiert, eine komplexe Bereicherung alltäglicher Erfahrungen ermöglicht. In diesem Sinne stehen Meises Arbeiten inhaltlich in einer minimalistischen Tradition, die auf eine emphatische Welterkenntnis verweist. Die erhöhte Sensibilität nicht nur für formale, sondern darüber hinaus für gesellschaftliche, historische und individuelle Phänomene, die sich über die Auseinandersetzung mit ihren Arbeiten einstellen kann, führt zugleich postminimalistische Tendenzen fort, indem die Bezugspunkte der Arbeiten subjektiv wie kollektiv lesbare Verweise entwickeln, die auf kulturellen, historischen und sozialen Prozessen fußen. Das Nebeneinander dieser Diskurse sollte nicht als bloßes Ineinanderfließen von unterschiedlichen Lebensbereichen verstanden werden, sondern als Aktivierung des individuellen Reflexionsprozesses gegenüber den Weltbezügen, in die wir fortwährend eingebunden sind.

1 Andreas Gryphius: Trauerklage des Autors in sehr schwerer Krankheit, 1636 Ich bin nicht, der ich war. Die Kräfte sind verschwunden, Die Glieder sind verdorrt, wie ein verbrannter Graus. Hier schaut der schwarze Tod zu beiden Augen aus, Nichts wird als Haut und Bein mehr an mir übrig funden. Der Atem will nicht fort, die Zung steht angebunden, Mein Herz, das übersteht numehr den letzten Strauß, Ein jeder, der mich sieht, spürt, daß das schwache Haus, Der Leib, wird brechen in gar inner wenig Stunden. Gleich wie die Wiesnblum früh mit dem Licht der Welt Hervorkommt und, noch eh der Mittag weggeht, fällt, So bin ich auch benetzt mit Tränentau ankommen, So sterb ich vor der Zeit. O Erden, gute Nacht! Mein Stündlein lauft herbei! Nun hab ich ausgewacht und werde von dem Schlaf des Todes eingenommen.

2 Georg Friedrich Daumer, Religionsphilosoph und Dichter, 1800 - 1875

Michaela Meise wurde 1976 geboren, lebt und arbeitet in Berlin.

only in german

Michaela Meise
Das schwache Haus
Kurator: Felix Ruhöfer