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"Sometimes the class struggle ist the struggle of an image against another image and one sound against another sound“ (Jean-Luc Godard)

Die überwiegende Mehrzahl jener Sachverhalte, die in elementarer und grundsätzlicher Weise unser Leben bedingen, sind schwer zu erschließen und entziehen sich einer festschreibenden Darstellung. Deshalb ist jede Gemeinschaft auf vermittelnde Systeme und Traditionen angewiesen, die einerseits Identität und Orientierung ermöglichen, die aber andererseits auch immer von Interessen geleitet werden. Einen unmittelbaren Ausdruck findet diese Gesellschaftsarbeit in den mentalen und real wahrnehmbaren Bildern, die gesellschaftliche Sachverhalte darstellen und in diesem Sinne auch mit produzieren. Alain Bourdin, ein französischer Soziologe, kategorisiert deshalb Bilder nach drei Arten:

1. Bilder die von beiden Seiten propagiert werden und allen zur Verfügung stehen 2. Bilder, die jeweils von einer Seite der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder kriegerischen Kontrahenten gezeigt werden 3. Bilder, die von keiner der rivalisierenden Kräfte gezeigt werden.

Jene dritte Kategorie von Ideen und Bildern, die bewusst dem kollektiven Gedächtnis und dem politischen Souverän, den Staatsbürgern, vorenthalten werden, sind Einsatzpunkte der künstlerischen Interventionen von Milica Tomiç.

In READING CAPITAL unternimmt sie den Versuch der Visualisierung eines abstrakten Begriffs. Sie hat Passagen aus dem "Kapital" von Karl Marx herausgegriffen und angesehene "Kapitalisten" aus San Antonio/Texas, dazu bewegt, diese Passagen zu rezitieren. Sie greift damit auf ein Vorhaben von Sergej Eisenstein zurück, der "Das Kapital" mit Hilfe eines, für das Kino adaptierten dialektischen Prinzips, verfilmen wollte. Durch die "intellektuelle Montage" sollte aus dem filmisch Dargestellten ein mentales Bild entstehen, um die antagonistischen Gegensätze in der Gesellschaft und die "Gesetze" des Kapitalismus als bestimmende Lebenslogik sichtbar machen zu können.

Diese Logik hat ihre Entsprechung in der Logistik, die den freien Fluss von Kapital und Waren regelt. Ein zentrales Objekt, das gleichsam eine bezifferbare Grundeinheit bildet, ist der CONTAINER, der beim Transport von Waren Verwendung findet. Er wird auch zum Transport von Menschen benutzt, seien dies illegal in die USA verfrachtete Mexikaner, oder Kriegsgefangene ohne den Schutz der Genfer Konvention, wie im Krieg gegen die Taliban, oder seien es ermordete Menschen, deren Körper es zu entsorgen und zu vernichten galt, wie im letzten Krieg der Serben. Diese Menschen bekommen dadurch den Status von Waren und werden wie diese gehandelt, verbraucht und entsorgt. Der Container wird so zum perfekten Ort für das Verschwinden dieser Menschenwaren, einem Ort, von dem auch keine Bilder existieren sollen. So gesehen wird auch die Logik, der durch diese verborgenen Mechanismen zugearbeitet wird verunklärt und der Darstellung entzogen.

Milica Tomiç nutzt die Mittel der Kunst um derartige Sachverhalte zu Bildern in unserem kulturellen Gedächtnis werden zu lassen. Sie bedient sich dabei der Re-Konstruktion, deren Resultate im Einzelnen auch Bilder sind, deren Ort aber, wie von Eisenstein intendiert, ein Ort der Erkenntnis ist. Das Politische ist darstellbar und zwar gerade durch die Vermeidung der unabschließbaren Dialektik von Bild und Gegenbild, sowie durch die Vermeidung der Ästhetisierung des Elends und Leidens anderer, die dadurch nur einer erneuten Ausbeutung, der Erzeugung von künstlerischem Mehrwert, anheim fielen.

Pressetext

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Milica Tomic: READING CAPITAL