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Ein Bauarbeiter kommt in das Büro des Stadtplaners und gibt ihm diesen Würfel. Der Würfel als erstes Modul beginnt in sich zu wachsen und seine Kanten auszudehnen. Innerhalb von Tagen durchdringt die expandierende Gitterstruktur Häuser, Türme und Brücken. Diese schwarze und rätselhafte Struktur ist unzerstörbar und bietet den Bürgern neue Wege und Räume. Nach einigen Jahren dehnt sich die Struktur auf eine Weise aus, dass sich die Abstände des kleinsten Moduls über die Stadtgrenzen hinaus weiten und für niemanden mehr wahrnehmbar sind. Das Fieber des Stadtplaners.

Die Skulpturen von Mirko Tschauner sind statische Materialzusammenstellungen aus Waschbeton, Jurakalkstein und Eisenrohr. Aus diesen Materialien werden einfache, geometrische Formen geschnitten oder gegossen. Material deren Schwere durch die Anordnungen der Arbeiten scheinbar relativiert wird. Während die Einzelformen aus Guss- und Schnittformen gewonnen werden, entsteht die Gesamtarbeit durch einfache Kompositionsmethoden wie Spiegelungen, Drehungen, Kippen und Schichten.

Für die Ausstellung in der SIMULTANHALLE werden drei Arbeiten erstellt. Die zentrale Bodenarbeit zeigt wesentlich die Vorgehensweise: Die Arbeit besteht aus 8 Elementen, vier schmale spitze Dreiecke und vier großflächige Dreiecke aus Waschbetonplatten. Je eine schmale und eine großflächige Dreiecksplatte bilden einen Schichtungskörper. Die vier Schichtungskörper berühren sich an den Spitzen der zusammenlaufenden Flächen, so dass eine Freifläche entsteht. Ein offenes Gebilde bei dem nicht klar ist, ob die Elemente ruhen, drücken oder kippen. Die Metallrohrarbeit, „Fieber“, wirft ein ähnliches statisches Kippmoment auf, ein Kreis aus Metallrohr durchspannt den Raum, beziehungsweise wird von dem Raum eingespannt. Diese Spannungsmomente in den Arbeiten von Tschauner scheinen nicht definierbar zu sein: Drückt es nach Innen oder nach Außen, schwebt es oder lastet es?

Mirko Tschauner stellte im KONSORTIUM, Düsseldorf, 2006 im schmalen Eingangsbereich eine Skulptur mit dem Titel „elegante Geister“aus. Diese Skulptur bestand aus zwei Jurakalksteinplatten, die gegeneinander gestellt waren und sich durch die gegensätzliche Schwere stabilisierten. Die Platten selbst waren zusammengesetzt aus vorgefertigten aber beschnittenen Kalksteinplatten. Unmittelbar: Der Eindruck des Fragmentarischen. Ebenso die Arbeiten „Kristallfreunde“, zwei Dreiecksformen, eine aus Waschbeton gegossen, eine mit Jurakalksteinplatten. Wie verlorene Versatzstücke, übriggeblieben, über die Zeit gegeneinander gedrückt wie tektonische Platten. Zu den Kristallfreunden gehört eine weitere Arbeit, ein Metallrohr mit Schutzfarbe angestrichen. Das Rohr durchläuft in einer Rechtecksform zwei Räume, das heißt es liegt auf der Wand auf, durch die es gezogen ist.

Erinnerungsstücke des urbanen Alltäglichen: Fassaden, Laternenmasten, Treppenhäuser. Versatzstücke moderner Architektur, aber nicht singulärer Architekturmonumente, sondern gesehene städtische Architektur. Gesehen im Vorbeigehen.

Das scheinbar Fragmentarische an den Arbeiten blitzt aber nur auf, weil die Arbeiten auf etwas anspielen oder etwas wecken, was bekannt scheint. Eine scheinbare Ikonografie architektonischer Formen, Teile von Stadterfahrung. Hergestellt sind die Arbeiten durch Schnitte in den Stein. Es sind geschnittene oder gegossene Platten, folgen also keinem Zufall. Keine Bruchstellen, keine gefundenen Reststücke, sondern geplante geometrische Formen. Die Dynamik der Dreiecksformen und der in die Schräge gestellten Objekte gerät in eine austarierte Ruheposition beim Betrachten des Statischen. Beunruhigung. Unsicherheit über die Wirkung und die Herstellung: Das Gefundene, das Noch-nicht-Fertige, das Reststückhafte in der Wirkung und die Geometrie der Schnittformen, die Statik der angehaltenen Dynamik, das Ruhen und Lehnen der Objekte. Eine Beunruhigung und charakteristisches Kippmoment aus Trägheit und Anspannung spiegelt auch der Titel der Ausstellung in der SIMULTANHALLE wider:„Einer bleibt am Wagen“.

Sebastian Freytag, 2007

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Mirko Tschauner
EINER BLEIBT AM WAGEN