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Mischa Kuball
refraction house
27.2. – 29.4.1994

Mit seiner Erinnerungsarbeit über ein Erinnerungszeichen, die Synagoge Stommeln, bewegt sich Mischa Kuball im sozialen Bereich unserer urbanen Umwelt. Wie schon im Herbst 1990 bei der frappierenden Umwandlung des Mannesmann-Hochhauses in ein Megazeichenoder bei der zwei Jahre später realisierten Lichtbrücke am Bauhaus handelt es sich auch hier um eine temporäre Installation. Während sich in Düsseldorf die Architektur vorübergehend in eine mächtige Lichtskulptur verwandelte, die die nächtliche Stadtsilhouette dominierte, diente in Dessau eine Außenwand der Inkunabel modernen Bauens für etliche Abende als Projektionsfläche geometrischer Zeichen, wodurch auf ingeniöse Weise der Denkmalanspruch untergraben und zugleich die utopische Programmatik des Bauhauses hervorgekehrt wurde. Im Spannungsfeld dieser beiden bemerkenswerten Arbeiten Kuballs ist auch sein refraction house anzusiedeln. Wie seinerzeit in Düsseldorf erstrahlt das Gebäude von innen, hier allerdings sehr viel intensiver, so als sollte das Zeichen sich selbst überblenden. Und ähnlich wie in Dessau trifft das Licht benachbarte Häuser, ist aber so gestreut, dass Mauern und Zäune, Bäume und Büsche lange Schatten werfen.

Kuballs Idee ist ebenso einfach wie überzeugend: Die Synagoge, obwohl von der Hauptstraße kaum zu sehen, so eingeschachtelt und verborgen liegt sie, wird vor allem während der Dämmerung und in der Nacht durch die enorme Helligkeit zum Anziehungspunkt, der unsere Neugier weckt; näher gekommen, weisen uns jedoch die grellen Scheinwerfer ab, verbieten geradezu den Eintritt und lenken alle Aufmerksamkeit auf uns selbst zurück beziehungsweise auf das Umfeld, dessen Zentrum der kultische Raum bildet. Durch die gebündelte Energie im Innern erscheinen die Mauern der Synagoge finster, ihre Scheiben gleißend, beides jedenfalls entmaterialisiert. Pfosten und Sprossen der fünf Fenster und der Lünette brechen die Strahlen und werfen eine dunkle Zeichnung in den Raum, besonders eindringlich bei feuchter Witterung. So liegt ein scharfer Gegensatz zwischen der Konzentration des sich selbst überstrahlenden Monuments einerseits und der Diffusion eines Lichtes andererseits, das keine Bilder oder geometrischen Formen projiziert, sondern gleichsam nur sich selbst.

Gesteigert wird dieser Kontrast durch die abrupten Wechsel von innen und außen, von belebt und unbelebt, von spirituell und profan. Das alles vor dem Hintergrund, der das Gestern mit dem Heute verschwistert.

Vilém Flusser hat in seinem phänomenologischen Essay Wände auf einen indogermanischen Wortstamm (>h...I<) hingewiesen, dessen Bedeutung beide Extreme des sakralen Komplexes umfasse: Heil und Hölle, Helle und Höhle, whole und hole. Wände, so Flusser, würden uns vor die Wahl stellen, entweder aus ihnen herauszuschreiten, um die Welt zu erobern und sich dabei zu verlieren, oder in ihnen auszuharren, um sich selbst zu finden und so der Welt verlustig zu gehen. Für Flusser wird die Undurchsichtigkeit der Wände geradezu zur Bedingung des Menschen beziehungsweise zur Voraussetzung, unter denen das Religiöse überhaupt erst zur Entfaltung kommen könne. Auch wenn man nicht bis ins Detail zustimmen mag, Kuballs Eingriff, der sich vor allem nachts zur vollen Wirksamkeit steigert, macht deutlich, wie die gleichsam entstofflichten Wände aus Licht und Schatten die paradoxale Illusion nähren, als wären innen und außen vertauscht. refraction house nämlich macht seine Umgebung zur Bühne, auf der uns eine doppelte Identität zufällt: Als Passanten und angereiste Kunstliebhaber sind wir Akteure und Beobachter in einem. Wir stehen im Hellen und werfen Schatten, wir sehen und werden gesehen. Und mit zunehmender Dunkelheit trifft das Licht nun immer stärker auch die Anwohner, passive Mitakteure, ohne deren Bereitschaft, sich dem grellen Schein auszusetzen, das Projekt nur eine unverbindliche Idee geblieben wäre. Anders nämlich als in Dessau bricht die intensive Strahlung nicht in unbelebte Arbeitsräume, sondern teilweise in die Zimmer der Anwohner und macht deren private Sphäre zu einer halböffentlichen. Für einen begrenzten Zeitraum definiert Kuball auf diese Weise die soziale Situation in einem der Zentren Pulheims neu, schafft ein Spannungsfeld um das Denkmal, artikuliert den Widerspruch zwischen der Banalität des Alltags und der historischen Bedeutung dieses besonderen Ortes, zwingt indirekt Normalität und Schrecken zusammen, lässt unmittelbar Gewohntes in Lästiges übergehen, verschränkt aber auch, so will es scheinen, die tagtäglichen Gewalttaten gegen Minderheiten im Gefolge der barbarischen Ereignisse von Mölln, Rostock und Solingen mit der Erinnerung an die historische Schuld der Deutschen, wie sie sich in der Synagoge manifestiert.

Es entbehrt dabei nicht abgründiger Schärfe, dass sich der Künstler bei seiner Installation eines Mittels bedient, das in Form Speerscher Lichtdome während des Dritten Reiches zum Synonym für die Ästhetisierung von Gewalt wurde. Aber es versteht sich von selbst und bedarf keines weiteren Kommentars, dass Kuball völlig anders vorgeht und absolut konträre Absichten verfolgt. Weder senkrecht gebündelt noch parallel in den Himmel ausgerichtet, kann das Licht hier nicht als Verherrlichung von Macht missverstanden werden. Ganz im Gegenteil: Durch mehr oder minder horizontale Ausrichtung, durch Brechung und Beugung fungiert es als Mittel der Aufklärung und geistigen Durchdringung.

Kuball realisiert seine Arbeit nur für einige Wochen. In ihrer Flüchtigkeit beziehungsweise in der Tatsache, dass von refraction house eben kein materielles Substrat in Holz, Stein oder Stahl übrig bleibt, das womöglich noch woanders hingelangt und zum Handelsobjekt mutiert, liegen vielleicht konträr zum Augenschein Chancen, dass die Installation als ortsspezifisches Kunstwerk in zukünftiger Vergangenheit überdauert, wenngleich materiell nur als fotografisches Dokument. Widerstand gegen visuelle Entropie und Arbeit an der Geschichte kristallisieren sich für Kuball nicht in stabilen Formen traditioneller Gattungen, zumal hier nicht, wo es um einen Dialog mit einem bereits bestehenden Denk- und Mahnmal geht. Nicht inhaltliche Verdoppelung, emotionale Intensivierung oder ästhetische Kommentierung jener Momente von Trauer und Reue, Mahnung und Gedenken, die der Synagoge eingeschrieben sind, hat der Künstler intendiert, sondern Ausweitung einer Botschaft aus Verzweiflung und Hoffnung bei gleichzeitiger Versachlichung und intellektueller Aneignung; statt der Wendung nach innen, wie sie auf jeweils unterschiedliche Weise Kounellis, Serra und Baselitz vollzogen, indem sie museale Präsentationsformen wählten, hier ohne vordergründige Aktualisierung der entschiedene Schritt nach außen. Das immateriellste Medium, über das bildende Kunst verfügt, dient in diesem Fall dem Versuch, den wiederhergestellten, freilich säkularisierten jüdischen Kultraum, der, weil damals ungenutzt und zweckentfremdet, die Pogrome der Nazis überdauerte, in seine gebaute und belebte Umgebung einzubinden. Im gebrochenen Licht rückt das prosaische Ambiente in eine Perspektive, die es mit der Geschichte verknüpft, und zwar einer ortsspezifischen, die wie allenthalben mit dem Stigma des Versagens, Wegsehens und Verdrängens gezeichnet ist. So wendet sich bei Kuball die Kunst nicht zu sich selbst zurück, bleibt abstrakt und distanziert sich vom empirischen Leben. Statt subjektivistischer Selbstbespiegelung transzendiert sie vielmehr die Bedingungen ihrer historischen Möglichkeiten. In zeitlich begrenztem Rahmen weitet sie sich zwar ins Soziale aus, ohne indessen konkrete Vorgaben zu machen, besondere Tatbestände zu akzentuieren oder auch nur im Entferntesten eine Anklage erheben zu wollen. Bezeichnenderweise unterscheidet sich das hier gedruckte Konzept von refraction house von seiner ursprünglichen Fassung durch den Wegfall der moralischen Implikationen. Das Licht, so wie Kuball es in diesem Fall einsetzt, ist Bezeichnendes und Bezeichnetes zugleich. Es leuchtet nicht etwas aus oder an, sondern dient, ganz traditionell im Übrigen, als Metapher für Wahrheit.

»Wo Kunst«, so notierte Adorno in seiner Ästhetischen Theorie, »die gesellschaftlichen Zwänge reflektiert, in die sie eingespannt ist, und dadurch den Horizont von Versöhnung freilegt, ist sie Vergeistigung.« Darin, so meine ich, könnte das utopische Potenzial von refraction house liegen. Löst sich nämlich die Konzeption Kuballs in situ ein, wären eventuell Antworten auf Fragen möglich, ob und inwieweit ein der Bildlichkeit völlig beraubtes, ebenso helles wie unspezifisches Licht den von Adorno zitierten »Horizont von Versöhnung« in unserem Bewusstsein illuminieren kann, und sei es auch nur vorübergehend, beziehungsweise ob und wenn ja, inwieweit die Ästhetik des Immateriellen die ubiquitären Strategien des Vergessens zu unterlaufen vermag.

Armin Zweite

aus: Stadt Pulheim (Hg.), Mischa Kuball. refraction house, Ausstellungskatalog, Düsseldorf 1994.