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Fotografien von Tieren sind seit der Erfindung des fotografischen Verfahrens nicht nur Abbild der Wirklichkeit, sondern auch ein Bild der Empfindungen und Kompensationen, die angesichts dieser Wirklichkeit und im Bewusstsein ihres drohenden Verlustes entstehen; und die Tierfotografie ist auch ein Sujet der experimentellen Wissenschaft.

Im Zentrum unseres Herbstprogramms steht eine umfangreiche Ausstellung die sich der Repräsentation des Tieres in der Fotografie widmet. Dieser motivische Zugang zur Fotografie dokumentiert die vielfältigen und sich verändernden Interessen an Tieren und macht Vorstellungen und Sehnsüchte des Menschen erkennbar, die sich während der beschleunigenden Industrialisierung und damit seit der Erfindung der Fotografie 1839 entwickelt haben.

In den vergangenen zehn Jahren sind nur wenige Themen so übergreifend von Journalismus, Werbung und bildender Kunst aufgegriffen worden wie das Genre Tier. Allgemein formuliert ist Natur für jeden sichtbar zu einem Phänomen der Kultur geworden: Bildenden Künstler haben unser Naturverständnis beeinflusst und die Naturwissenschaften beeinflussen weiterhin die Arbeit der Künstler und Künstlerinnen. Für die Fotografie im besonderen gilt, dass ihre Erfindung und Verbreitung in einem Zeitraum stattgefunden hat, in dem das Verhältnis des Menschen zur Natur eine fortschreitende Dynamisierung erlebte, die in krisenhaften Zuständen kulminierte. Deshalb ist das umfangreiche Repertoire fotografischer Tierbilder in hervorragender Weise geeignet, die Verbindung von gesellschaftlichen Veränderungen und ihren medialen Formulierungen zu veranschaulichen.

Die Ausstellung fragt nach dem Naturverständnis, das den zahlreichen Tier-Bildwelten der historischen und zeitgenössischen Fotografie zugrunde liegt. Ihr Ausgangspunkt ist die Annahme, dass das Interesse am fotografierten Tier nicht allein gesellschaftspolitisch begründet ist, etwa als Reaktion beispielsweise auf die Massentierhaltung einer industrialisierten Landwirtschaft, auf Tierversuche und die Gentechnologie, sondern einem emotionalen Bedürfnis des Menschen nach Naturerfahrung Ausdruck verleiht: Die Beschäftigung mit dem Bildsujet Tier wird als Projektion von Naturvorstellungen stellvertretend für eine bedrohte Mitwelt gesetzt. Das fotografierte Tierbild verweist sowohl auf individuelle und gesellschaftliche Bedingungen tierischer Existenz, als auch auf Wünsche, die das ’Kulturwesen’ Mensch angesichts des ’Naturwesens’ Tier empfindet.

In dem Maße, wie sich die Fotografie von etwaigen Vorbildern anderer Bildkünste löst und ihrem Publikum ein neues, aus ihren spezifischen technischen Möglichkeiten generiertes Tier-Bild zur Verfügung stellt, verändert sie auch die Wahrnehmung des lebenden Tieres und seiner Wirklichkeit. Wilde Tiere werben für Autos und andere Hightechgeräte, zahme Hunde und Katzen sollen zum Kauf von Tiernahrung animieren; das Privatfernsehen und lokale Zeitungen vermitteln „Tiere in Not". Safari und Abenteuerreisen werden mit ’niedlichen’ Löwen und Giraffen beworben und die Wahrnehmung lebender Tiere in einer von Menschen gestalteten Umgebung ist Bestandteil künstlerischer Praxis.

Während Trickfilmfiguren, in denen menschliche und tierische Eigenschaften miteinander verschmelzen im Kino Erfolge feiern, verkünden Zeitungen und Nachrichtenmagazine den „Abschied von der Tierwelt". Kritische Reportagen über Pelz, Elfenbein und Hornjäger sowie die Verwendung von aus europäischer Sicht exotischen Tieren als Nahrungsmittel in Asien und Afrika münden in der Fragestellung „Haben Tiere Rechte?".

Daneben werden in Bücher und zahlreichen Fach- und Publikumszeitschriften, als Postkarten und Plakate weiterhin immer wieder „neue“ Fotos von wilden Tieren in ihrer (vermeintlich) natürlichen Umgebung veröffentlicht und gekauft. Und schließlich bilden KünstlerInnen den wissenschaftlichen Umgang mit Tieren ab, zitieren oder kopieren wissenschaftlich motivierte Tierbilder oder setzen ’Haustiere’ mit Hilfe von Accessoires an unterschiedlichen Orten in Szene.

Seit ihrer Erfindung haben Fotografen und Fotografinnen das Tier kontinuierlich beobachtet und abgebildet: als repräsentativen Besitz und Züchtungserfolg, als Trophäe erfolgreicher Expeditionen und Jagden, als ’treuen Freund’ und ’Arbeitsgerät’ des Menschen, als naturwissenschaftlichen Untersuchungsgegenstand und als Kunstobjekt.Die genannten Aspekte aktueller Tierfotografie überschneiden sich; gleichzeitig wandern Bilder aus ihrem ursprünglichen Kontext, Ort und Anlass, ihrer Herstellung, in neue Zusammenhänge.

In zwölf thematischen Kapiteln der Ausstellung werden Tierdarstellungen unterschiedlicher Intentionen und Zeiten zusammengeführt z. B. unter dem Aspekt 'Studienobjekt' oder 'Bildmodell' oder 'Verwertung'. In dieser Zusammenführung von Berufs- und Amateurfotografie, wissenschaftlicher Dokumentation und künstlerischer Auseinandersetzung verfolgt die Ausstellung sich widersprechende und sich unterstützende Positionen der Darstellung. Gezeigt werden Fotografien, Alben, Druckbeispiele und Videos.

Die Recherchen zu dieser von Ute Eskildsen initiierten und mit Hans-Jürgen Lechtreck realisierten Ausstellung wurden unterstützt vom J. Paul Getty Museum, Los Angeles, und der Hasselblad Stiftelse, Göteborg. Die Produktion der Ausstellung und des Katalogs wurden von der Kunststiftung NRW, Düsseldorf, der Stiftung Presse-Haus NRZ, Essen, der Wüstenrot Stiftung, Ludwigsburg, der Stadt Essen und dem Folkwang Museumsverein e.V. gefördert.

Zur Ausstellung erscheinen zwei Publikationen im Steidl Verlag, ein Bildband mit ca. 300 Fotografien und ein Textband mit Beiträgen von Florian Ebner, Ute Eskildsen, Christina Grasseni, André Gunthert, Bernhard Gißibl, Jan-Christopher Horak, Bernhard Kathan, Eckhard Köhn, Hans-Jürgen Lechtreck, Jo Longhurst, Jürgen Müller, Hermann Sturm, Juha Suonpää, Friedrich Tietjen, Rainer E. Wiedemann und Anna-Katharina Wöbse sowie Interviews mit Michael Nichols (Tierfotograf) und Jane Goodall (Verhaltensforscherin).

Die Fotografen und Leihgeber

Die Auswahl umfasst mehr als 600 Exponate u. a Daguerreotypien und frühe fototechnische Versuche, das Tier in Bewegung zu zeigen, Aufnahmen von Großwildjagden und Fotosafaris, Amateurfotografien und zu wissenschaftlichen oder zu Zuchtzwecken hergestellte Bilder, außerdem Beispiele des Bildjournalismus und der Autorenfotografie sowie Installationen und Projektionen zeitgenössischer Künstler.

Gezeigt werden Arbeiten von namenhaften und bislang nicht bekannten Fotografen u. a. von Comte Olympe Aguado, Ottomar Anschütz, Bisson Frères, Steve Bloom, Adolphe Braun, Balthasar Burkhard, Marie José Burki, Lewis Caroll, Chien-Chi Chang, Louis Adolphe Humbert de Molard, Comte de Montizon, Jean Louis Delton, Thomas James Dixon, A. Radclyffe Dugmore, Thomas Eakins, William Eggleston, Douglas English, Elliot Erwitt, Walker Evans, Georg Fischer, Joan Fontcuberta, Robert Frank, Paul Géniaux, Bruce Gilden, Hein Gorny, Andreas Gursky, Candida Höfer, Willoughby Wallace Hooper, Dora Kallmus, André Kertész, Philipp Kester, Josef Koudelka, Adolf Kull, Franz Lazi, Jochen Lempert, John Dillwyn Llewelyn, Jo Longhurst, Aleksandras Macijauskas, Per Maning, Etienne-Jules Marey, Lisette Model, Eadweard Muybridge, Michael Nichols, Cas Oorthuys, Eric Poitevin, Archille Quinet, Albert Renger-Patzsch, Olivier Richon, Humberto Rivas, Henry Peach Robinson, Horatio Ross, Maria Nadin Rüfenacht, Walter Schels, Carl Georg Schillings, Julius Eduard Schindler, Friedrich Seidenstücker, Walter Schmitz, Frederick Sommer, Anne Lise Stenseth, Joel Sternfeld, William Strode, Juha Suonpää, Henk Tas, Richard Tepe, Waldemar Tietzenthaler, Adrien Tournachon, Rosemarie Trockel, Hedda Walther, William Wegman, Garry Winogrand, Wols und Ylla

Neben Fotografien aus dem Bestand der Fotografischen Sammlung im Museum Folkwang versammelt die Ausstellung zahlreiche Leihgaben von Fotomuseen, öffentlichen und privaten Sammlungen, naturhistorischen Museen, Universitätsarchiven sowie den Archiven von Zoologischen Gärten in Deutschland, Europa und Nordamerika.

Zu den über 60 nationalen und internationalen Leihgebern gehören u. a. das Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, der Ullstein Bilderdienst und die Universität der Künste in Berlin, das Deutsche Literaturarchiv in Marbach Paul Eipper Nachlass, das Archiv des Tierparks Hagenbeck in Hamburg, die Fondation Herzog in Basel, die Albertina Wien, die Bibliothèque nationale de France und die Société Française de Photographie in Paris, das National Museum of Photography, Film and Television in Bradford, der Royal Collection Trust in Windsor und das J. Paul Getty Museum in Los Angeles.