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Eröffnung: 06. Februar, um 20 Uhr

Die Ausstellung „Öffentliche Erregung“, die am 6. Februar im loop-raum für aktuelle kunst eröffnet wird, lotet die Grenzen in der Kunst zwischen Provokation und Denk-Anstoss aus. Die Arbeiten der Künstler Michael Kirkham, Karsten Konrad, Jukka Korkeila, Vitek Marcinkiewicz, Stu Mead, Bernadette Rottler, Heike Ruschmeyer, Torsten Solin, Caro Suerkemper, Ivonne Thein, und Goetz Valien bewegen sich thematisch auf sozial-gesellschaftlichen Minenfeldern, bleiben aber durch ihre unprätentiöse, seriell-nüchterne Präsentation unangreifbar. Die Bildthemen, die reihenweise Tabus und Ästhetiknormen brechen – (Politischer) Terror, Gewalt, exponierte Sexualität und Körperausscheidungen – wirken in ihrem Understatement autonom, still und distanziert. Die ausgelösten Empfindungen beim Betrachter – Scham, Ekel, Angst, Empörung – sind dagegen starke Gefühle: der Betrachter ist ihnen ausgeliefert, kann sich nicht entziehen und wird mit seinem eigenen Voyeurismus konfrontiert.

Die Idee zur Ausstellung „Öffentliche Erregung“ entstand im Zusammenhang mit dem Strafrechtsseminar „Kunst und Strafrecht“ an der Universität Potsdam. Was Kunst darf und was sie kann, was sie auslöst, wen sie provoziert, ist Thema der Ausstellung wie des Seminars, das mit dem loop - raum für aktuelle kunst kooperiert.

Grenzverletzung als Notwendigkeit Feuchtgebiete, Youtube oder MySpace – Voyeurismus und extrovertierte Zurschaustellung boomen – beim Betrachter wie auch bei den (freiwilligen) Protagonisten. Die Ausstellung greift konsequenterweise Themen und Künstlerarbeiten auf, die nur auf den ersten Blick die Schaulust bedienen. Im Vordergrund steht die künstlerische Qualität. Ihr kann sich der Betrachter nicht entziehen - und möchte es auch nicht. Die Arbeiten oktroyieren keine Haltungen, sie drücken lediglich die inneren Bilder aus, die der Besucher bereits in sich trägt. Tabubegriffe werden bearbeitet, gestreift, reflektiert und referiert. Die Werke beschreien nicht den Skandal. Sondern flüstern von kollektiven, archaisch geprägten, intensiven Ängsten, die im Verborgenen und in der Sprachlosigkeit leben. Grenzverletzungen sind aber notwendig, denn erst die Konfrontation mit allen Gefühlswelten dient wiederum der Festigung und Bewusstmachung von Wirklichkeit und Realität.

Mythische Motive Nichts an den Ausstellungsarbeiten wirkt inszeniert. Sie treten selbstbewusst, authentisch, in sich schlüssig auf. Provokation ist hier nicht der Selbstzweck, es geht um das Streifen der mythischen Tabus. Stu Meads Bildwelten, in denen sich Tiere und junge, entblößte Mädchen, Jungen und Männer in (auto-)erotischen Posen bewegen, überwältigen den Betrachter mit (seiner eigenen) sexualisierten Fantasie. Die klare, einfache Bildsprache und die Szenerie fangen eine Fabelwelt ein, die von Tieren und Nymphen bevölkert ist. Die Illustrationen, die wie Bildtafeln zu einem De Sade’schen Märchenbuch wirken, strotzen von saftigen Anspielungen, Dopplungen, Zitaten und Querverweisen. Gleichzeitig sind Szenen und Motive so mythisch verschwommen, dass sie sich der konkreten Lesbarkeit verweigern und damit auch dem Skandal. Etwas subtiler nähern sich auch Vitek Marcinkiewicz undMichael Kirkham dem Thema Sexualität. Während Marcinkiewicz’ Zeichnungen unbewusste (verdrängte) Traumata oder Traumszenerien preiszugeben scheinen – düstere Landschaften, Sexszenen im Superzoom – tragen Kirkhams farbige Gemälde eher unbefangene, fast friedlich wirkende Motive – die in ihrer Art doppelt befremdend wirken. In der Ausstellung ist die Serie „Anfang-Ende“ zu sehen, die gleich mehrere ethisch-ästhetisches Konflikte birgt – von sexuellen Anspielungen über Kastrationsszenen bis hin zur Verquickung von Sexualität, Tod und Einverleibung – ein kannibalesker Reigen. Der finnische Künstler Jukka Korkeila bezieht wiederum eindeutig Stellung. Geschlechtsorgane in Großformat recken sich dem Betrachter entgegen, eingebettet in gezeichnete Szenen, die den Verlauf der Bildgeschichte offen lassen.

Erleuchtung, Ekel und Ekstase „Öffentliche Erregung“ wäre auch ein passender Titel für Bernadette Rottlers Mann im Wald. In Selbstberührung versunken und doch wie jemand, der die Blicke Fremder spürt und auf sich ziehen will, steht er im Dickicht, in Licht-Schatten-Geflimmer. Exponiert, entblößt begibt er sich in eine Position irgendwo zwischen Erleuchtung und Ekstase. Ob er uriniert oder ejakuliert bleibt der Vorstellung des Betrachters überlassen.

Völlig entspannt präsentiert sich Caro Suerkempers Keramikfrauchen, das, anmutig auf einer Kugel hockend, seinen Stuhlgang verrichtet. Das gehobene Röckchen des unschuldigen Püppchens, dessen Schwestern in der Porzellan-Parallelwelt Züchtigkeit und Schamhaftigkeit verkörpern sowie die dreidimensionale Form bietet dem Betrachter ungehinderte Sicht auf das private Anliegen und sein Ergebnis. Wie bei Rottlers nacktem Mann wird der Betrachter hier unfreiwillig zum „Spanner“ auf zwei Tätigkeiten, denen er eigentlich nicht beiwohnen möchte. Die Selbstbefriedigung als Thema, über das im Gegensatz zum Sex wenig kommuniziert wird, ist auch in anderen Arbeiten anwesend. Eine „fucking machine“, der ‚love-o-mat’ von Karsten Konrad komplettiert als stummer und doch präsenter Zeuge die Präsentation. Angesiedelt zwischen Jean Tinguelys verspielten autonomen Metallskulpturen und Konrads eigener Materialsprache – rohe Stofflichkeit, Farbe, verspielte, detailreiche Umsetzung – wird sie zum Perpetuum mobile und führt doch in ihrem Aufbau die Autoerotik ihres Benutzers ad absurdum. Denn das Schwungrad – an ein Glücksrad erinnernd, wer möchte seine Erfüllung hier finden? - das die Stoßbewegungen des Love-o-mats antreiben soll, ist pedalbetrieben: die fucking machine benötigt folglich zwei Personen für ihren Betrieb. Zwei Personen, die, voneinander abgewandt, „Liebe machen“ – der eine für den anderen, Wechsel nicht ausgeschlossen.

Körperwelten Torsten Solin und Ivonne Thein lenken den Blick auf die menschlichen Körper. Thein dokumentiert mit ihrer Serie „32 Kilo“ die Anorexie und ihre Folgen. Sie überzeichnet in ihren Fotografien das bereits skeletthaft abgemagerte Modell und löst so in dem Betrachter eine schmerzhafte Form von Projektion aus. Thein spitzt die Darstellung zu, arbeitet Knochen und Überlängen heraus, und hält doch durch ihre zurückgenommene Farbgebung ästhetische Normen ein. Die Körperdarstellungen von Torsten Solin springen dagegen den Betrachter an. Knallige Farbigkeit, Schrille Szenen, nackte Brüste und riesige Augen hypnotisieren den Betrachter nach Art der Werbeästhetik. Kombiniert mit toten Tieren, die Solin den Models über die Schulter hängt, tritt ein Spannungsfeld zutage: die sichtbare und doch immer verdrängte Präsenz des Todes inmitten des prallen Lebens. Mit seiner Arbeit „m2,1“ entlarvt er den Blick aufs pornografische Motiv: Weiße Flüssigkeit rinnt über Gesicht und Brüste. Doch der Blick des Modells bleibt unberührt, keusch und anmutig. Goetz Valien transkribiert die Fotografie einer gefesselten, eingeschnürten Frau auf die Leinwand, auch hier wird Gewalt und Sexualität appliziert, zugleich bedient es eine andere, im Metabegriff „Kunst und Recht“ nicht unwichtige Thematik: die Umwandlung eines Motivs in ein anderes Medium, folglich die Untergrabung der künstlerischen Urheberschaft.

Mit ihrem Bild, das tote Kinderkörper zeigt, bricht Heike Ruschmeyer gleich mehrfach mit den Gefühlen der Betrachter. Der Tod, heißt es, ist das letzte Tabu, zumindest in der westlichen Gesellschaft. Hier werden (getötete) Kinder abgebildet, nach Dokumenten aus der Gerichtsmedizin. Ruschmeyer holt die Toten aus der Verdrängung und dem Vergessen zurück. Und kratzt am „Totschweigen“ - der Titel „Schlaf Kindlein schlaf“ hebt auch den Schleier der innerfamiliären Gebote und Sprachlosigkeit, der Missbrauch und Misshandlung bedeckt.

Zeichen, Zitate und Verweise Die Ausstellung wird komplettiert mit Material, das auf kunstgeschichtliche und popkulturell determinierte konfliktreiche Bildwelten hinweist. So etwa das Cover der 1976 erschienen LP „Virgin Killer“ der Scorpions. Ein knapp 12jähriges, nacktes Mädchen räkelt sich in lolitahafter Pose vor dem Betrachter. Das Bild wurde im vergangenen Jahr – über 30 Jahre nach der Veröffentlichung – aufgrund eines britischen Wikipedia-Eintrags zunächst indiziert. In den USA und Japan wurde das Cover bereits 1976 verboten. Das Bild zeigt den Rezeptionswandel und die reflexhafte Empörung über Kinderpornografie in der heutigen Zeit. Obwohl das Motiv bereits seit Jahren im Internet zugänglich ist, sind Bemühungen da, es verschwinden zu lassen. Aber die Geister im WWW lassen sich nicht in die Flasche zurückstopfen.

Das Fahndungsplakat für die RAF-Terroristen von 1980 komplettiert die Ausstellung als kontextfreier Link – es verweist auf Tabus und deren Brüche ohne konkret zu werden. Der Skandal hat bereits stattgefunden, an anderer Stelle, in anderen Medien. Längst hat die quasireligiöse Verklärung der RAFschen Ikonografie in die popkulturelle Bilderwelt Eingang begehrt und bekommen. Die Geschichte wurde inszeniert, die Protagonisten sind bekannt. Im Rahmen der Ausstellung erzählt das Plakat nichts, es symbolisiert andere Debatten, die Terror und Tod beinhalten. Kein Künstler hält die Autorenschaft, doch es ruht im kollektiven Gedächtnis, birgt sein Konfliktpotential in sich. Ähnlich verhält es sich mit anderen, in der Ausstellung verborgenen Exponaten, die erst vom Betrachter entdeckt werden müssen, etwa „Leuchte Karinhall“, von Karsten Konrad eine Arbeit, die in Haptik, Material (Tierbeine), Titel und Umsetzung formal wie inhaltlich die Greuel der Nationalsozialisten aufgreift.

Schließlich macht die Ausstellung „Öffentliche Erregung“ einen Exkurs in die Historie von Gewalt in der Kunst. So etwa mit Salvador Dalí, der Originaldrucke von Goya in der „Caprices-Serie“ überarbeitet hat. Goyas Motiv eines betrunkenen Mannes, der eine Kerze „anbetet“, erhält in Dalis Transformation ein enormes, erigiertes Glied. Die Anbetung eines flackernden Kerzenstumpens galt schon zu Goyas Zeiten als zersetzend, Dalis Schwenk in die Sexualisierung, die collagenartige Zusammenführung zweier „verbotener“ Dinge macht das Bild zu einem einprägsamen Werk. Die Abbildung des Architekten Giovanni Battista Piranesi zeigt eine brutale Folterszene vor einem detailreich herausgearbeiteten architektonischen Hintergrund. Und mit Augustin Hirschvogels „Kindermord zu Bethlehem“ wird ebenfalls ein Tabubruch im doppelten Sinne herausgegriffen. Die Tötung von Kindern schlägt einen Bogen zu Ruschmeyers Arbeiten, das biblische Motiv deutet die Versündigung an, und die edle, pompös umgesetzte Bildsprache erzählt – ähnlich wie bei Piranesis Bildfülle – von einer Ästhetisierung der Brutalität – Bilder, die in der Realität von Suiziden in Angesicht der Internetgemeinschaft, „Happy slapping“-Filmchen und snuff movies von der Gegenwart eingeholt wurden.

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Öffentliche Erregung

Künstler: Michael Kirkham, Karsten Konrad, Jukka Korkeila, Vitek Marcinkiewicz, Stu Mead, Bernadette Rottler, Heike Ruschmeyer, Torsten Solin, Caro Suerkemper, Ivonne Thein, Götz Valien, Salvador Dalí, Augustin Hirschvogel, Giovanni Battista Piranesi