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Olaf Nicolai (*1962 in Halle/Saale, lebt in Berlin) steht in der Tradition der Konzeptkunst, die das Verhältnis von Idee und Bild oder von Idee und Objekt überprüft. Durch seine Ausstellungen zieht sich meist ein bestimmter Gedanke wie ein roter Faden; die einzelnen Werke machen dessen verschiedene Facetten sichtbar. Der Titel der Ausstellung Faites le travail qu’accomplit le soleil verknüpft scheinbar Gegensätzliches: Übersetzt lautet er »Ihr müsst die Arbeit tun, die die Sonne leistet«. Welche Arbeit ist hier gemeint? Das Leuchten? Die wärmende Wirkung? Wie lassen sich diese Effekte überhaupt als Arbeit verstehen? Es gibt in Olaf Nicolais Ausstellung keine Erklärung, wie eine solche Verbindung von Natur (Sonne) und Künstlichkeit (Arbeit) zu verstehen ist – unkommentiert bleibt die Aufforderung stehen, leitet den Ausstellungsbesuch ein und begleitet ihn.

In seiner Ausstellungskonzeption bezieht sich Nicolai auf vielfältige Weise sowohl auf die Institution als auch auf den Ausstellungsort. Der russische Künstler El Lissitzky zeigte 1923 in der kestnergesellschaft Entwürfe seiner Prounen: abstrakte Konstruktionen, die eine radikale Absage an die Malerei darstellen und ein neues Raumverständnis umsetzen. Lissitzkys Schaffen zeugte von einem veränderten Menschenbild, in der ästhetischen Form sah er das Potenzial zu dessen Verwirklichung und Verbreitung. Er steht so für ein utopisches Verständnis von bildender und angewandter Kunst, für die Überzeugung, dass sie sozialen Wandel ausdrücken und vorantreiben kann. Für den großen Saal in den heutigen Räumen der kestnergesellschaft mit seiner hohen und gewölbten Decke konzipierte Olaf Nicolai die mehrteilige Installation Faites le travail qu’accomplit le soleil (2010), die titelgebend zentrale Themen der Ausstellung bündelt. In ihrem Zentrum steht eine rundum verspiegelte, turmartige, in die Höhe ragende und begehbare Skulptur. Sie konfrontiert uns fortwährend mit unserem eigenen Spiegelbild, unserem eigenen Körper im Verhältnis zu anderen im Raum. Ihre Höhe setzt Assoziationen von Steigen und Fallen, von Unsicherheit und Orientierung frei. Um die Konstruktion zu erfassen, müssen wir sie umrunden, uns im Raum bewegen, die verschiedenen Blickachsen ausprobieren – hier hallen El Lissitzkys Ideen eines dynamischen Raumes nach, der die Funktion der Kunst neu bestimmen sollte. Mit seiner entschiedenen Betonung der Abstraktion als Gestaltungsmittel radikalisiert Nicolai die Verhältnisse von Funktion und Form bei der Entstehung von Sinn- und Handlungszusammenhängen. Die Frage nach dem Funktionieren von Handlungs-, Bewegungs- und Kommunikationsräumen, also nach der sozialen Dimension, wird als eine genuin ästhetische gestellt. Wann und wie werden wir bewegt, bewegen wir uns, beginnen zu handeln, was bewegt uns? Was geschieht, wenn die Sonne unsere Haut berührt?

Dieser Installation vorgelagert bildet die 80-teilige Fotoserie Zabriskie Point (2010) den Auftakt der Ausstellung. Sie entstand nachts an dem gleichnamigen Aussichtspunkt im kalifornischen Death Valley Nationalpark, der auch aus dem 1970 von Michelangelo Antonioni gedrehten Spielfilm bekannt ist. Zur Orientierung nutzte Nicolai das Blitzlicht seiner Kamera. Die monumentale Landschaft bleibt im Dunkeln, abgebildet ist jeweils nur ein winziger Teil des für einen kurzen Moment angestrahlten Bodens. Olaf Nicolais persönliches Erlebnis des nächtlichen Durchschreitens der unsichtbar bleibenden monumentalen Landschaft wird hier zum Bild für eine verstehende Annäherung an die Wirklichkeit, wobei jede Fotografie diese Annäherung zugleich dokumentiert und einfordert. Seine abstrakt wirkenden Bilder führen erneut zu der Frage, wie die Wahrnehmung von Formen Inhalt mit sich bringt, ohne diesen klar zu benennen. Der Betrachter, der solche Übersetzungen von Form und Inhalt versucht, vollzieht sie im Bildraum eines nächtlichen Spazierganges. Dabei tritt die Bedeutung von medialer Vermittlung bei den Prozessen von Sinn- und Selbstkonstitution hervor. Zugleich entsteht durch den im Titel aufgerufenen Bezug auf Antonionis gleichnamigen Film ein vielfältig gebrochenes Echo: Am Zabriskie Point spielt die zentrale Traumsequenz des Films, bei der in mittäglicher Sonne Liebespaare den Ort in eine Landschaft der Utopie verwandeln.

Die Ausstellung schließt mit der Installation Samani (Some Proposals to Answer Important Questions) (2008). Ein Scheinwerfer schlängelt sich an einer senkrecht im Raum stehenden Stange hoch, dreht sich um sich selbst, hält inne, leuchtet nach links und rechts, nach oben und unten. Mit seinen Bewegungen erweckt der Apparat den Eindruck, es handle sich um ein lebendiges Wesen, das etwas sucht. Wo aber bleiben die im Titel der Arbeit angekündigten »Vorschläge zur Beantwortung wichtiger Fragen«? Auf der Suche danach finden wir zunächst nur eine weitere abstrakte Form: einen Scheinwerfer, der sich um sich selbst dreht, wobei die Fragen offen im Raum und bis auf weiteres unbeantwortet bei uns verbleiben. Samani spielt hier zum Ende der Ausstellung eine weitere Facette der Verhältnisse von Wahrnehmungen abstrakter Formen zu einem konkreten Inhalt durch. Dieser ist weder vorgegeben noch eindeutig, sondern wird in Abgleich und Auseinandersetzung mit unseren sinnlichen Eindrücken formuliert. Das Kunstwerk erscheint hier als Bündelung von Ideen, die sich in einer bestimmten Form artikulieren und damit weitere Ideen herausfordern oder, anders gesagt, als Äußerung, auf die wir mit unseren Wahrnehmungen und Gedanken antworten.

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Olaf Nicolai
faites le travail qu’accomplit le soleil
Kuratorin: Kathrin Meyer