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Das Ausstellungsprojekt "Ornament und Abstraktion" behandelt ein grosses Thema der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, das bislang noch nicht in diesem Umfang dargestellt wurde: durch Gegenüberstellungen von Werken unterschiedlicher Kulturen und Zeiten werden in der Fondation Beyeler neue Zusammenhänge erschlossen und in anschaulicher Weise präsentiert.

Die Bedeutung des Ornaments für die Grundlegung und Entfaltung der abstrakten Kunst wurde lange Zeit unterschätzt: Für Pioniere wie Kandinsky und Mondrian galt das Ornament lange Zeit als "Sündenfall" für die Abstraktion. Bis zu seiner Verdammung durch Adolf Loos ("Ornament und Verbrechen", 1908) war das Ornament in allen Kulturen in einer jeweils eigenen, jahrtausendealten Geschichte präsent. Im 19. Jahrhundert hat es sich dann gleichsam als "blinder Passagier" in die Konzeption des modernen Tafelbildes eingenistet und begann so die Entwicklung der abstrakten Kunst als formales und methodisches Element zu beeinflussen.

Die prinzipielle Affinität von Ornament und abstrakter Malerei erklärt auch das periodische Auftauchen des Ornamentalen in der Kunst des 20. Jahrhunderts. So ist beispielsweise der "Hang zum Ornamentalen" in der Kunst der Nachkriegszeit ein augen- und sinnfälliges Charakteristikum. Das Ornament ist formal, aber auch inhaltlich als ein Schlüsselbegriff für das Verständnis der Abstraktion der achtziger und neunziger Jahre zu verstehen.

Als "Leuchttürme" führen vier wichtige Künstler der Moderne durch das komplexe Thema der Ausstellung: Wassily Kandinsky, Piet Mondrian, Henri Matisse und Frank Stella. Diesen Künstlern wird im Rahmen von "Ornament und Abstraktion" eine ausführlichere Präsentation gewidmet.

Den Auftakt der Ausstellung bildet die neuartige Bildkonzeption von Philipp Otto Runge: hier findet die letzte genuine Form der Ornamentgeschichte, die Arabeske, am Anfang des 20. Jahrhunderts Eingang in die Tafelmalerei. Von dort wirkt die Arabeske über den Symbolismus (Gauguin) und den Jugendstil (van de Velde, Klimt, Hoffmann) auf das "Abstraktwerden" des Tafelbildes ein (Kandinsky, Kupka, Hölzel) und konkretisiert sich einerseits als gegenstandsfreie, geometrische Linienstruktur (Mondrian) oder als kurvilineare Formation in den Bildern von Matisse und Pollock. Damit eröffnet die arabeske Abstraktion neben dem "Königsweg Kubismus" einen zweiten Zugang zur Welt des Ungegenständlichen.

Die Ausstellung möchte aber nicht nur eine Ansammlung von Werken mit ornamentalen Gestaltungsweisen vorführen, sondern tatsächliche form- und kulturgeschichtliche Zusammenhänge aufzeigen. Sie geht der interessanten Frage nach, inwiefern gewisse Tendenzen der abstrakten Malerei nicht auch als Fortsetzung formaler Entwicklungen der Ornamentgeschichte zu verstehen sind. Die theoretischen Erkenntnisse zum Thema "Ornament" leisten überdies einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Verhältnisses zwischen Abstraktion und Figuration, ungegenständlicher und gegenständlicher Kunst (Kandinsky, Klee).

Wesentliche Einflüsse ergeben sich auch aus dem Dialog moderner Künstler mit der Ornamentik ferner Kulturen, wie etwa Henri Matisse mit dem Orient und Ozeanien, Ad Reinhardt mit der Kultur des Fernen Ostens oder die amerikanische Malerei mit dem präkolumbischen Ornament (Josef und Anni Albers). Durch die Abstraktion schuf sich das moderne Tafelbild die Möglichkeit, auf neuartige Weise mit dem Umraum und der Architektur Verbindungen einzugehen (van Doesburg, Léger). Die wand- und raumgreifende Malerei von Henri Matisse sowie die Malerei der De-Stijl-Bewegung und des Bauhauses lassen sich auch als "Fortsetzung des Dekors mit abstrakten Mitteln" lesen. Diese Grundtendenz erweiterter Malerei führte bis in die Gegenwart und zu den vielfältigsten Formulierungen (LeWitt, Buren).

Ein zentrales Bindeglied zwischen der klassischen Moderne und der Gegenwart bildet die amerikanische Malerei der 50er und 60er Jahre (Pollock, Johns, Kelly, Stella usw.), die über Henri Matisse wesentliche Impulse in Hinblick auf ihre ornamentalen Gestaltungs- und Entwicklungsprinzipien bezog. Für Frank Stella ist eine kleine Werkübersicht geplant, die zeigen soll, dass seine vielfältig kritisierte Wandlung vom geometrischen Minimalisimus der 60er Jahre zu den opulenten Metallreliefs der 80er und 90er Jahre der Logik der Avantgarde widerspricht, wohl aber überraschende Parallelen zur Strukturgeschichte des Ornaments von der Renaissance zum Rokoko aufweist. Ein Kabinett mit Ornamentstichen aus dem 15. bis 18. Jahrhundert und die fototechnische Rekonstruktion von François de Cuvilliés Spiegelsaal in der Amalienburg in München sollen dies anschaulich machen.

Spektakulär sind ebenfalls der Nachbau des Mondrian-Zimmers nach Originalplänen (1926) und die Installation einer Rekonstruktion des Beethoven-Frieses von Klimt (1907/8). Vor Ort werden die Künstler Sol LeWitt, Daniel Buren und Kara Walker raumbezogene Installationen realisieren.

Ein Ausstellungsbereich mit ausgesuchten Werken der Gegenwart (Taaffe, Armleder, Federle, Merz, Reed u.a.) will zeigen, dass die Diskussion um die gegenstandslose Malerei der achtziger und neunziger Jahre nur mit Bezug auf das Ornament sinnvoll geführt werden kann. Eine augenfällige Wiederkehr feiert das Ornamentale in den neuen Medien, deren innere digitale Logik viel mit den Bildungsgesetzen des Ornaments gemeinsam hat (Peter Kogler, Shirin Neshat, Knowbotic Research): Die Zukunft der vernetzten Kommunikation des 21. Jahrhunderts wird eine ornamentale sein.

An der Schwelle zum 21. Jahrhundert wird mit dieser Ausstellung also der Blick auf die wichtigste Errungenschaft der bildenden Kunst des vergangenen Jahrhunderts, die Abstraktion, und die Rolle des Ornaments gerichtet.

Dr. Markus Brüderlin, Kurator

Eine als Katalogbuch angelegte Publikation im DuMontVerlag dokumentiert die ausgestellten Werke in repräsentativer Weise und vertieft das Thema anhand von Aufsätzen namhafter Autoren.