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In der bildenden Kunst der westlichen Industrieländer führte das vernichtende Verdikt in Adolf Loos‘ Streitschrift „Ornament und Verbrechen“ (1908) im 20. Jahrhundert zu einer Verbannung des Ornaments aus Kunst, Architektur und Design. Stattdessen kam es zu einer Neuorientierung mit der Entwicklung von abstrakter und konkreter Kunst. In den letzten zehn Jahren ist jedoch in der bildenden Kunst vermehrt eine erneute Hinwendung zum Ornament festzustellen.

In der gegenwärtigen Aneignung bzw. Übernahme ornamentaler Strukturen zeichnet sich eine sowohl kritische als auch ironische Rezeption tradierter Ornamentformen ab. Zum Teil zeigt sich der Einfluss außereuropäischer Kulturen, deren ornamentale Traditionen noch lebendig sind. Andererseits ist aber auch durch die Computertechnologie die künstlerische Verwendung serieller und ornamentaler Formen erleichtert worden, und hat somit einer neuen Beschäftigung mit diesen Stilelementen Vorschub geleistet.

Die Ausstellung „Ornamentale Strukturen“ stellt mit 12 internationalen Positionen eine Auswahl der heute virulenten Ansätze einer neuen Sicht auf das Ornament vor. In den Arbeiten der beteiligten Künstler und Künstlerinnen aus den Bereichen Malerei, Skulptur, Installation, Computeranimation und Video, die bildimmanente als auch konzeptuelle Ansätze vertreten, zeigen sich die unterschiedlichen Aspekte des Problemfelds Ornament.

Die bestimmenden Merkmale des Ornaments, wie Stilisierung, Serialität, Rapport und Rhythmik werden teilweise adaptiert, jedoch immer uminterpretiert. Durch Crossover-Techniken, die Elemente aus den unterschiedlichsten Bereichen und Stilen zusammensetzen, entstehen zum einen völlig neuartige ornamentale Kompositionen, oder aber bekannte Ornamente werden durch einen Kontextwechsel, durch Übertragung auf andere Materialien völlig verändert. Durch Manipulation und Fusion lassen sich herkömmliche Motive umstrukturieren, durch Monumentalisieren oder Banalisieren codieren die KünstlerInnen bekannte Formen neu und laden sie mit neuen Inhalten auf.

Darüber hinaus beziehen sich einzelne Werke der Ausstellung auf besondere Aspekte der immanenten Botschaften des Ornamentalen, so etwa dessen Repräsentationsfunktion und dessen nobilitierenden Charakter, der es als Machtinstrument prädestiniert. So finden sich in der Ausstellung auch „Ornamente der Macht“, wenn auch gebrochen und ironisiert, wie auch „Ornamente der Masse“. Vielfach zeigt sich auch die spezifische Suggestivität des Ornaments, die vermittels formaler Stilisierung und rhythmischer Wiederholung einen gewissen Zwang auf die Wahrnehmung ausübt, und so ihre Nähe zum Rituellen preisgibt.

Grundsätzlich zeigt sich, dass ornamentale Strukturen immer dann verwendet werden, wenn sie spezifische künstlerische Aussagen ermöglichen. Das heißt auch, dass das dekorative Moment des Ornaments oft nur als Camouflage benutzt wird, um bestimmte Botschaften unterschwellig zu vermitteln. Den Werken der Ausstellung können sechs Themenfelder zugeordnet werden:

- von einem gesellschaftskritischen, soziopolitischen Anliegen geprägt sind die Arbeiten von Margret Eicher, Zhenchen Liu,und Parastou Forouhar)

-Gabriele Basch und Alke Reeh verschlüsseln Phänomene des heutigen Alltags, wie etwa die seriellen Strukturen der heutigen Umwelt, Rasterarchitekturen u.ä., und benutzen Techniken der Medientransformation

-Mariella Mosler und Karsten Trappe beziehen sich auf spirituell-kosmologische Vorstellungen, die bereits archaischen ornamentalen Konfigurationen zugrunde liegen

-Björn Melhus und das Künstlerduo Stoll/Wachall stellen sich Fragen nach einem Ornament des Körpers, Melhus verfolgt diesen Gedanken am Beispiel des Kloning.

-Mit konzeptuellen Positionen, die auf tradierte ornamentale Formmentalitäten verweisen, wie etwa der ornamentalen Wandordnung von Renaissance-Architektur, beschäftigen sich Diet Sayler und Marten Georg Schmid.

-Marius Watz benutzt die spezifischen Möglichkeiten des Computers, um stets neu sich formierende generative Ornamente zu entwickeln.

Beteiligte KünstlerInnen: Gabriele Basch (D), Margret Eicher (D), Parastou Forouhar (D/IR, Zhenchen Liu (CHN), Björn Melhus (D/N), Mariella Mosler (D), Alke Reeh (D), Diet Sayler (D), Marten Georg Schmid (D), Stoll/Wachall (D), Karsten Trappe (D), Marius Watz (N).

Die Ausstellung wird kuratiert von Dr. Lida von Mengden.

Zur Ausstellung ist ein Katalog (112 S.) erschienen, mit Abbildungen der ausgestellten Werke, sowie der großen Rauminstallationen in der Stadtgalerie Saarbrücken, der 1. Station der Ausstellung, Texte von Lida von Mengden und Myriam Herbel.

Kurztexte zu den Arbeiten:

Margret Eichers (DE) Copycollage „Wo ist Gott?“ (1998/2012) könnte als Pop-Art-Ornament und Ornament der Masse bezeichnet werden. Eicher setzt das Rundbild des Comics von „Tim und Struppi“ mit dem Oval des Deckengemäldes von Tiepolo aus der Würzburger Residenz zu einem regelmäßigen Raster zusammen. Anspielungen auf die Pop-Art ergeben sich durch die Verwendung von allseits bekannten Bildmotiven, die serielle Anordnung und das Industriematerial LKW-Plane. Durch die serielle Reihung, die unbegrenzt fortgesetzt werden könnte, entwickelt Eicher ein Massenornament. Durch das Cross-Over der Motive aus High-Culture und Low-Culture kommentiert und entlarvt die Künstlerin gesellschaftliche Distinktionsbedürfnisse.

Als „Ornament der Macht“ kann die Schmetterlingstapete „Zeit der Schmetterlinge“ (2011/2012) der iranischen Künstlerin Parastou Forouhar (IR) gelesen werden. Sie nimmt Bezug auf die Ornamenttradition der arabischen Länder. Hinter der so heiter und harmlos wirkenden dekorativen Oberfläche verbergen sich in den Mustern der Schmetterlinge Folterszenen. Forouhar verweist auf die Widersprüchlichkeit des Ornaments, da sich hinter dem Schönen das Schreckliche verbergen kann.

Auch Zhenchen Lius (CN)Software-Arbeit „Kaleidoscope“ (2009) erscheint vordergründig spielerisch. Doch hinter den sich zu immer neuen Kombinationen fügenden Farbsplittern zeigen sich dem aufmerksamen Betrachter lächelnde Gesichter. Liu verweist auf jene von Chinas Regierung verordnete Harmonie, die sich in immer und überall lächelnden Menschen ausdrückt. Die Arbeit ist ein Massenornament des Lächelns, das wie in einem Zerrspiegel demaskiert wird.

Gabriele Baschs (DE) monumentaler Scherenschnitt „pakt“ übersetzt ein aus der Romantik und dem Biedermeier geläufiges Verfahren in die Bildsprache der Sprayerkultur, das Graffitti. „pakt“ bezieht seine künstlerische Präsenz aus der Verschlüsselung von Phänomenen des heutigen Alltags, etwa der Monotonie von Rasterarchitekturen und deren Zerstörung.

Alke Reehs (DE) „Spiegelobjekt“ (2012) und die sog. „Genähte Decke“ (2012) sind Medientransformationen architektonischer Motive, insbesondere von Kuppelgewölben islamischer und barocker Baukunst. Ihre Ornamentik gewinnt einen überraschenden Charakter durch den Wechsel von statischer Architektur in die labile Materialität der Leinwand, bzw. der optischen „Beweglichkeit“ der Spiegel.

Karsten Trappes (DE) Ausgangspunkt ist das physikalische Experiment des Foucaultschen Pendels, mit dem der Nachweis der Erdrotation gelang. Mittels eines darauf aufbauenden Computerprogramms hat der Künstler Veränderungen der Ausgangsbedingungen entwickelt, wie Kippen der Achse, Perspektivwechsel u.ä., die ihm erlauben, den ursprünglichen kosmologischen Bezug des Experiments künstlerisch zu verdeutlichen. Ornamentale Strukturen entstehen durch die Überlagerungen der regelmäßigen Pendelschwingungen.

Mariella Mosler (DE) bezieht sich mit den Haarobjekten auf archaische Ornamentformen, die im kollektiven Gedächtnis der Menschheit verankert sind. Das organische Material Haar hat für sie eine besondere Bedeutung, weil es die DNA des Individuums repräsentiert. DNA ist ein Bausteinsystem wie das Ornament, deren Kombinationen die unendliche Artenvielfalt organischen Lebens ermöglicht.

Das Künstlerduo Stoll&Wachall (DE) entwickelt in seiner Video-Performance „ Mit allen fünf Fingern der Augen“ (2001) eine Choreographie des Körperornaments, das nur Hände, Finger und Arme in Szene setzt. Die Symmetrie des menschlichen Körpers wird zum Ausgangspunkt eines komplexen Spiels mit den Verschlingungen von 4 Händen und Armen voller Ausdruckskraft.

Björn Melhus‘ (DE/NO) Video „Again & Again“ (1998) beschäftigt sich mit dem Ornament des Körpers am Beispiel des Kloning. Sein Video erzählt eine Geschichte ähnlich der von Goethes „Zauberlehrling“. Die Klone, flache Kopien des Protagonisten, hinterfangen von grünen Blättern, erscheinen in der seriellen Vervielfältigung als Ornamente der Masse. Die grüne Farbgebung verweist sowohl auf die Laborsituation als auch auf die künstliche, quasi pflanzliche Art der Reproduktion.

Diet Sayler (DE) nimmt mit dem Wandornament aus schwarzen Folienelementen, das explizit für diesen Pfeiler geschaffen wurde, konkret Bezug auf die Halle des Kunstvereins. Saylers Konzept sog. „individualisierter Formen“ bezieht sich hier auf das Quadrat als Grundform und ein quadratisches Raster, dem die Einschnitte folgen. Die Installation in der Art eines senkrechten Bandes kann als Hinweis auf die Raumordnungen von Renaissance und Barock gelesen werden, in der Ornamentbänder zur Wandgliederung dienten und löst Assoziationen an den griechischen Mäander aus.

Die Raumverspannung im Hof des Reuchlinhauses von Marten Georg Schmid (DE) ist eine konzeptuelle Arbeit, bei der die Form des Ornaments durch die Anknüpfungspunkte der Schnur an bestimmten Stellen der Architektur bestimmt wird. Es entsteht eine diagonal orientierte Raumzeichnung mit Dreiecks-und rhombischen Formen, die mit der Quadratstruktur der Fassaden sowie dem unregelmäßigen freien Formen des Plattenbelags in einen Dialog tritt.

Marius Watz‘ (NO)Computeranimation „Illuminations A“ (2005) stellt ein signifikantes Beispiel für die bedeutende Rolle dar, die die Computertechnologie für das Revival des Ornaments geleistet hat. Die formale Vereinfachung , die Herstellung von seriellen Strukturen, von Rapporten und deren Rhythmisierung - alles Charakteristika des Ornaments – leistet der Computer heute schneller und besser, so dass sich eine neue Qualität entwickelt hat: das animierte, sich stets zu neuen Formationen fügende Ornament mit einem unendlichen Formenvorrat.

Dr. Lida von Mengden

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Ornamental Structures / Ornamentale Strukturen
Kuratorin: Lida von Mengden

Künstler: Gabriele Basch, Margret Eicher, Parastou Forouhar, Liu Zhenchen, Bjørn Melhus, Mariella Mosler, Alke Reeh, Diet Sayler, Marten Georg Schmid, Klaudia Stoll & Jacqueline Wachall, Karsten Trappe , Marius Watz