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In ganz Europa nahmen junge Künstler Ende der 60er Jahre Protesthaltung gegenüber dem bürgerlichen Establishment ein. Bourgeoises Kunstempfinden und starre Gesellschaftsstrukturen forderten den Widerstand einer ganzen Generation heraus. Auf unterschiedlichen Wegen suchte sie Neuansätze und entwickelte Konzepte: statt in Ateliers wurde ortspezifisch gearbeitet. Kunst und Leben vermischten sich. Im Wiener Aktionismus nahm der gewaltige Paradigmenwechsel dieser Jahre eine besonders radikale Form an. Otto Muehl stand im Zentrum einer Bewegung, die herkömmliche Kunstbegriffe durch extremen Einsatz von Geist und Körper und kunstfremden Materialien erweiterte. Unter den Wiener Aktionisten Hermann Nitsch, Günter Brus, Alfons Schilling und Rudolf Schwarzkogler bezog er, weit über die Grenzen Österreichs hinaus wirkend, Position.

Die Ausstellung „Otto Muehl. Leben / Kunst / Werk. Aktion / Utopie / Malerei 1960–2004“ wird zum ersten Mal das OEuvre dieses Grenzen auflösenden Künstlers aus der Sicht des Malers beleuchten. Neben Gemälden, vor allem aus der Zeit nach 1974, sind Materialbilder und Collagen, Foto- und Filmdokumentationen früher Aktionen sowie Texte Otto Muehls aus vier Jahrezehnten zu sehen.

Einen wichtigen Schritt in seiner künstlerischen Karriere bildete Anfang der siebziger Jahre die Umsetzung des Mottos „Kunst ins Leben“ in Form der Kommunegründung. Die AAO – „Aktions-Analytische Organisation“, später Kommune am Friedrichshof – stellte das einzigartige Experiment einer alternativen Lebensform dar, wie sie in Europa ohne Beispiel blieb. In letzter Konsequenz musste dieser anarchistische Vorstoß als Staat im Staat scheitern und Utopie bleiben. Schlüssig folgte die Gründung der Kommune aus den radikalen künstlerischen Fragestellungen der späten Sechziger. Otto Muehl hatte mit seinem frühen aktionistischen Werk den Boden bestens bereitet. Die Kommune am Friedrichshof war der idealistische Versuch, die Welt durch Kunst zu verändern. In der Ausstellung sollen die hier entwickelten Ideen neu zur Diskussion gestellt werden. Förderung gestalterischer Kreativität, kollektives Eigentum, freie Sexualität, gemeinsames Aufziehen des Nachwuchses sowie die Entwicklung der Aktionsanalyse zur analytischen Selbstdarstellung lauten die Stichworte. Dabei verpflichtet sich das MAK selbstverständlich sämtliche Persönlichkeitsrechte zu wahren. Überraschend an der Ausstellung wird das erstmals in dieser Breite veröffentlichte malerische Werk von Otto Muehl sein. Seit den späten fünfziger Jahren setzt er sich in intensiven Phasen immer wieder mit den Inkunabeln der jüngeren Kunstgeschichte auseinander. So beschäftigen ihn Cézanne, van Gogh, Kokoschka, Duchamp und Picasso nachhaltig, was bei Muehl früh zu einer eigenständigen Position in der Malerei führt. Mit den akademischen Bildern um 1954 setzt die Übersicht ein, während sie weiter belegt, wie sehr Muehls aktionistisches Werk der sechziger Jahre nicht nur von den eigenen Kriegserlebnissen, sondern gerade auch von dem Werk van Goghs abhängig war. Aus Muehls stark pastosen Materialbildern, die profane Tagesabfälle mitverwerten, folgt nach 1962 die Destruktion des herkömmlichen Tafelbilds und schließlich der Schritt aus dem Rahmen ins Räumliche der „Gerümpelskulptur“. Leider sind aus dieser Phase nur noch wenige Werke erhalten, da Muehls Atelier 1968 aus hygienischen Gründen geräumt und auf Anordnung zahlreiche Arbeiten durch Beamte der Stadt Wien vernichtet wurden. Nach einer Pause in den Gründungsjahren der Kommune beginnt Otto Muehl 1974 wieder intensiv zu malen. Erste Landschaften mit Motiven des Friedrichshofs und dessen Umgebung entstehen, wie die Landschaft seither durchgängig ein wichtiges Thema des Künstlers bis hin zur völligen Abstraktion bleibt. Daneben entstehen Selbstporträts sowie Bilder, die Jazzmusik und Tanz verarbeiten. Politischer sind Muehls Hitler- und Stalinporträts der achtziger Jahre, spannend aber auch seine Interpretationen von Bildern van Goghs, die er mit kraftvollem Duktus in Leuchtfarben ausführt. Nach Verbüßung einer mehrjährigen Haftstrafe setzt Otto Muehl sich in seiner Malerei besonders kritisch mit dem österreichischen Staat und dessen politischen Repräsentanten auseinander. Daneben entstehen Materialbilder mit Eiern, Urin und Kot. Erst kürzlich entwickelt der seit vielen Jahren in Portugal ansässige Künstler mit seinen „Electric Paintings“ ein für ihn völlig neues Genre, in dem er Aktionen, Fotografie, filmische Momente, Computerbilder und Töne einbezieht und so inhaltlich wie gestalterisch sein eigenes Werk resümiert und zusammenfasst.

Anlässlich der Ausstellung wird ein Katalog im Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, erscheinen. Erstmals wird auch hier eine Übersicht über das Gesamtwerk Otto Muehls gegeben. Texte von Eric Alliez, Michel Giroud und Peter Gorsen beschäftigen sich mit Themen des Aktionismus, mit der Geschichte und Theorie der Kommune sowie speziell mit der Malerei. Eric Alliez ist Professor für Ästhetik und Kunstsoziologie an der Akademie der bildenden Künste in Wien, außerdem hat er eine Gastprofessur an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe; Michel Giroud ist Historiker mit einem Forschungsschwerpunkt Avantgardetheorie. Er ist Direktor der L’Ecart Absolu bei der Presse du Reelle, Dijon, und lehrt in Besancon globale Kultur; Peter Gorsen ist emeritierter Professor für Kunstgeschichte an der Hochschule für angewandte Kunst Wien und einer der Spezialisten für den Wiener Aktionismus. Der Katalog enthält ferner Texte von Otto Muehl und Statements von Künstlern über Otto Muehl. Im Anhang findet sich eine Chronologie zu den Aktionen und zur Kommune sowie eine ausführliche Bibliografie.

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Otto Muehl
Leben/Kunst/Werk
Aktion/Utopie/Malerei 1960-2004
Ort: MAK-Ausstellungshalle
Kuratorin: Bettina M. Busse