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’Über die letzten zwanzig Jahre habe ich mit meiner Arbeit untersucht wie psychologische Strukturen, Denksysteme und Überzeugungen sich in realen Objekten ausdrücken, die Teil der Welt sind, die wir um uns herum geschaffen haben. Ich, beispielsweise, lebe in der Wüste, wo alles zum Leben nötige online bestellt und vor meine Haustür geliefert werden muss. Ein nicht enden wollender Strom an Produkten, jedes einzelne sicher verpackt in einem eigens dafür vorgesehen Karton. Nachdem ich den Inhalt entnommen habe, schaue ich mir die Verpackung an und denke mir, wie schade es doch wäre, ein so perfektes Objekt wegzuwerfen, besonders wenn es ungewöhnliche Proportionen hat, oder die Ecken und Kanten noch gut erhalten sind. Schon bald ertappte mich dabei, wie ich die Kartons entlang einer leeren Wand aufstapelte, um aus dieser undurchsichtigen Struktur eine zusammenhängende Einheit zu schaffen, die ein Modell meines durch Konsum bestimmten Lebens widerspiegelt.

Die Form und die Struktur der Arbeit ’Aggregated Stacks’ lässt an ein beschädigtes Raster denken. Nach meinem Empfinden streben wir Menschen nach Ordnung und Systematik, wenn auch das Leben selbst oft sehr chaotisch ist. Die unbedingte Wirklichkeit jener zwei Kräfte wird in der Dynamik dieses unvollkommenen Systems sichtbar, wo Muster und Formen in und aus der Ordnung fallen, oder sich verbiegen, um Platz zu schaffen.

Der Umgang mit unserer Zeit, wie wir sie strukturieren und aufteilen, ist ein weiteres Beispiel für dieses zerklüftete Raster. So ist ein Kalender etwa nichts weiteres als die Umwandlung verfügbarer Zeiteinheiten in messbare Formen, die dann zu einem Raster aus Monaten, Wochen, Tagen, Stunden angeordnet werden. Letztlich nicht ganz unähnlich dem, wie wir Müslipackungen in einem Regal im Supermarkt anordnen. Wenn ich meine täglichen Routinen beobachte, fällt mir auf, dass es Zeitblöcke gibt, die ich gar nicht in meiner unmittelbaren Realität verbringe. Ich lebe in der Wüste, aber für ungefähr fünf Stunden meines Tages liegt mein Fokus auf Projekten und Kommunikationen einer ganz anderen Wirklichkeit. In der Arbeit ’Pattern of Habit’ habe ich meine Zeit im Internet über die Dauer von 39 Tagen aufgezeichnet. Die Zeiten, die ich mit dem Schreiben von Emails verbringe wurden in raumähnliche Formen verwandelt, die reflektieren, inwieweit Aufmerksamkeit neben einem Zeit- auch einen Raumaspekt nachweist.

Auch die Informationen in den Medien sind zu konsumierbaren Blöcken voller Inhalt geformt, die wie Zeit in ein loses Raster mit austauschbaren Komponenten verwandelt werden können. Während wir Zeit verbringen, nehmen wir Inhalte auf. Aber wie bei einem Kalender, ist auch der Inhalt der Spalten einer Zeitung jederzeit austauschbar. Das Format schafft letztlich eine Gleichförmigkeit, die das Durcheinander aus Naturkatastrophen, Dramen und einer sich ständig ändernden Welt verdrängt. ’Tellus Interdum’ ist eine Ausgabe der lokalen Zeitung, die in Yucca Valley unweit meines Hauses in Joshua Tree, Kalifornien, erscheint, in welcher der gesamte Inhalt durch Lorem Ipsum ersetzt wurde. Lorem Ipsum ist ein von Grafikdesignern verwendeter Blindtext, der aus lateinischen Sätzen besteht, deren Worte verändert, hinzugefügt oder entfernt worden sind, um nicht vom Inhalt abgelenkt zu werden.

’Single Strand Shapes: Forward Motion’ ist der Titel der Arbeit, die alle anderen Recherchen in dieser Ausstellung miteinander verbindet. Dieses Projekt geht den anderen voraus und lässt sie vielleicht bereits erahnen. Ausgangspunkt ist das Häkeln, als eine sich aufbauende, modulare Bauweise, deren Ordnung durch verschiedene Denksysteme oder Anweisungen strukturiert werden kann. So entsteht etwa bei einer vorgeschriebenen Vorwärtsbewegung ein anderes Muster, als bei einer Vor- und Zurückbewegung. Jede Form beginnt mit einem Regelwerk an erlaubten Vorgehensweisen, auch wenn es keinen endgültigen Plan gibt, wie die Arbeit am Ende aussehen soll. Alle Entscheidungen können spontan getroffen werden, solange sie sich im Rahmen des Erlaubten bewegen. Schließlich entsteht eine fertige Arbeit, und ist auch jedes Muster einzigartig, so bleibt doch ein Grundmuster erkennbar, das an den Vorgaben orientiert ist. Es sind eben genau diese Bestimmungen, Denksysteme und Verordnungen welche die Form der Welt um uns herum festlegen. Während dieser Arbeit entwickelte sich bei mir eine starke Sensibilität für unsere streng geregelte Welt, die es mir erlaubte, hinter diese Ordnung zu schauen und nach grundlegenden Prinzipien und Überzeugungen zu suchen, die sie geschaffen haben könnten.’ - Andrea Zittel, Mai 2011

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Andrea Zittel
Pattern of Habit