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Eröffnung: Dienstag, 11. März 2008, 19 Uhr

Ausstellungen des in Berlin lebenden Österreichers Peter Friedl (geb. 1960) sind nur selten in Wien zu sehen. In seiner ersten Einzelausstellung in der Galerie Meyer & Kainer zeigt er Arbeiten, die den fotografischen Blick – das Verhältnis von Dokument und Artefakt – auf unterschiedliche Weise thematisieren.

No Photography (2004) bezieht sich auf die politische Teilung Zyperns, im weiteren Sinn aber auf die Frage „Was ist eine Grenze?“ und somit auch auf die Geschichte anderer Teilungen. Der Rahmen um den kontextlosen Plasmaschirm setzt einer stillen, unverfänglichen Szene, in der sich weiße Wolken langsam von links nach rechts über einen blauen Himmel bewegen, eine Grenze, die an das klassische Bild erinnert und gleichzeitig darüber hinausweist. Tatsächlich fotografierte Friedl reale Wolken am Himmel über der mit einem Fotografierverbot belegten „Green Line“, die Zypern seit Jahrzehnten teilt. Die Wolkenbilder wurden dann im Studio animiert. Ursprünglich war die Computeranimation Teil des größeren Ausstellungsprojekts OUT OF THE SHADOWS, das der Künstler am Witte de With, center for contemporary art, in Rotterdam realisierte. Je weniger realistisch die bewegten Wolken erscheinen, um so deutlicher wird ihre Funktion als Mittel ästhetischer Reflexion, zum Beispiel über die Möglichkeiten der Kunst, politisch zu sein. Die Kulturhistorikerin Mieke Bal schreibt dazu: „No Photography appears to ask the question how far you can, must go, beyond contextualism.“

Bilder aus Zeitungen und Zeitschriften, die Peter Friedl seit 1992 für sein Archivprojekt Theory of Justice sammelt und ausstellt, sind auch die Motive der hier erstmals präsentierten Serie von Schwarzweißfotografien (2006–2008). Es geht darin um Fragen nach der Originalität und Historizität – und wie sich daraus neue Bilder ergeben. Jede Theorie als Kunst der Betrachtung entwirft ein Bild von der Welt. Aber was passiert, wenn die Bilder selbst zur Theorie werden wollen? Der Titel verweist auf den Versuch einer Erneuerung der Theorie vom Gesellschaftsvertrag, den der US-amerikanische Philosoph John Rawls (1921–2002) unternommen hat. A Theory of Justice (1971) und das spätere Restatement Justice as Fairness sind klassische Beispiele eines politischen Liberalismus, der an die Möglichkeit einer wohlgeordneten Gesellschaft und den übergreifenden Konsens ihrer Mitglieder glaubt. Wenn aber das globale Drama der Gegenwart von Ausschluss und Ausgrenzung handelt, dann mangelt es derartigen Gerechtigkeits- und Verteilungstheorien an Realitätsbezug. Begreift man stattdessen die Logik des Politischen als Opposition zur Logik der Verwaltung, der polizeilichen Repression und institutionellen Reglementierung, tritt der Konflikt (Widerstand) an die Stelle des Konsenses. Die kleinen Schatten an den Rändern der mit Schwarzweiß-Negativfilm abfotografierten Gebrauchsbilder verwandeln Geschichte in temporäre Autonomie.

In seinem neuen Video Liberty City (2007) behandelt Peter Friedl eine andere Standardszene aus der Geschichte. In der Nacht vom 17. Dezember 1979 wurde der (schwarze) Motorradfahrer Arthur McDuffie von (weißen) Cops an der Ecke North Miami Avenue und 38. Straße gestoppt und zu Tode geprügelt. Als im Prozess fünf Monate später die angeklagten Polizisten freigesprochen wurden, explodierte Liberty City. Es war der finsterste Moment in der Geschichte von Miami. Liberty City geistert als desolate Gegend durch voyeuristische Reality-TV-Serien in der Nachfolge von Homicide. Friedl kehrt die Dramaturgie um: In der vor Ort inszenierten und gefilmten Szene ist der (weiße) Cop das Opfer. Gedreht wurde in den Straßen des Liberty Square Housing Project, einer Wohnanlage, die während der Roosevelt-Ära in den 1930er Jahren für afroamerikanische Einwohner erbaut worden war. Um Schwarze und Weiße voneinander getrennt zu halten, wurde am östlichen Rand von Liberty Square eine Mauer errichtet, deren Überreste heute noch zu sehen sind. Friedls kurzer, ungeschnittener Loop ist eine Hommage an die Community von Liberty City – episches Theater im Genre der Dokumentarästhetik.

Das Werk von Peter Friedl wurde weltweit ausgestellt, unter anderem auf der documenta X (1997) und documenta 12 (2007), der 48. Biennale von Venedig (1999), der 3. Berlin Biennale (2004) und der 2nd International Biennial of Contemporary Art in Sevilla (2006). Seine Arbeiten befinden sich in wichtigen internationalen Sammlungen wie Centre Pompidou, Paris; Walker Art Center, Minneapolis; Museu d’Art Contemporani de Barcelona; in der Margulies Collection, Miami; der Hamburger Kunsthalle und im demnächst neu eröffneten Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Bozen.

Ausgewählte Einzelausstellungen: Künstlerhaus Bethanien, Berlin (1996); LACE, Los Angeles (1998); Palais des Beaux-Arts, Brüssel (1998); Neuer Berliner Kunstverein, Berlin (1999); Living Art Museum, Reykjavík (1999); Casino Luxembourg, Luxemburg (2001); Chisenhale Gallery, London (2001); Institut d’art contemporain, Villeurbanne-Lyon (2002); Institute for Contemporary Art, Cape Town (2002); Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Bremen (2002); Frankfurter Kunstverein, Frankfurt am Main (2004); Witte de With, center for contemporary art, Rotterdam (2004); Midway Contemporary Art, Minneapolis (2006). Das Museu d’Art Contemporani de Barcelona (MACBA) organisierte 2006 eine umfassende Retrospektive, die von Miami Art Central/Miami Art Museum und vom Musée d’art contemporain in Marseille übernommen wurde. In der Kunsthalle Basel läuft noch bis 30. März 2008 die Ausstellung Working. Peter Friedl ist für den Vincent Award 2008 in Amsterdam nominiert.

Neue Bücher von Peter Friedl:

Working at Copan / Trabalhando no Copan Sternberg Press, Berlin 2007 264 Seiten, 8 S/W-Abbildungen

Playgrounds (mit einem Essay von Jean-François Chevrier) Steidl, Göttingen 2008 256 Seiten, 237 Farbabbildungen

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