press release only in german

Das Kunstmuseum St. Gallen präsentiert mit der Ausstellung „Phantasien – Topographien“ erneut auf höchstem Niveau Meisterwerke der Graphik aus den Niederlanden und macht damit nachdrücklich auf einen in den vergangenen Jahren substantiell ausgebauten Bereich der Sammlung aufmerksam: die Kunst der Alten Meister des 16. und 17. Jahrhunderts.

Im Jahr 2006, zum Jubiläum des 400. Geburtstags von Rembrandt, waren es dessen Radierungen, das bedeutendste druckgraphische Corpus des Barockzeitalters, die das Kunstmuseum St.Gallen in beeindruckender Zahl und höchster Qualität zeigte. «Phantasien – Topographien» präsentiert nun erstmals, punktuell ergänzt durch Gemälde aus dem eigenen Bestand, erlesene Zeichnungen und druckgraphische Blätter aus einer noch nie gezeigten Schweizer Privatsammlung. Seit den frühen 1960er Jahren konsequent und kenntnisreich aufgebaut, umspannt sie den Zeitraum von etwa 1530 bis 1680. Dank der seltenen Grosszügigkeit der Leihgeber öffnet sich nun in dieser Ausstellung ein wunderbares Panorama niederländischer Landschaftskunst aus Renaissance und Barock.

Schon früh hatten die Niederlande als Hochburg der Landschaftsmalerei gegolten. Und schon früh fiel das besondere Verhältnis dieser Bilder zur sichtbaren Wirklichkeit auf. In einem häufig zitierten „Dialog“ (publ. 1549) soll der grosse Michelangelo moniert haben, in Flandern male man mit einem Blick für äusserliche Genauigkeit, aber ohne Vernunft und Proportion, ohne entschiedene Auswahl und ohne Kühnheit des Entwurfes. Die Aufzählung gegenständlicher Einzelheiten, die der irritierte Meister der Hochrenaissance vorbrachte, lässt vermuten, dass er sich auf die detailreichen, weiten Gebirgslandschaften der flämischen Schule bezog.

Solche Werke bilden den Auftakt der Ausstellung. Der Blick geht zuerst nach Antwerpen, in die südliche Metropole, und zeigt die Voraussetzungen der künstlerischen Revolution, die gut 50 Jahre später in den holländischen Nordprovinzen stattfinden sollte. Auf die imaginären, weiträumigen «Weltlandschaften» mit biblischen Szenen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts folgen der Pionier der «realistischen» Landschaft, Pieter Bruegel d.Ä. (um 1525–1569), und Hans Bol (1534–1593) mit spektakulären Radierungen von Gebirgs- und Dorfansichten. Letztere sind auch das Thema des anonymen, aber höchst einflussreichen «Meisters der kleinen Landschaften» und seiner naturnahen ländlichen Alltagsszenerien.

In der niederländischen Kultur setzte nach 1600 ein tiefgreifender Wandel ein. Die Abspaltung der nördlichen, calvinistischen Gebiete (die heutigen Niederlande) von den katholisch-habsburgischen Südprovinzen (das heutige Belgien) fand ihre Parallele in einer neuen Wirklichkeitsauffassung der aufblühenden holländischen Malerei. Es waren Zeichner und Kupferstecher im Norden, die sich als erste von den aus Flandern importierten Phantasie-Landschaften zu lösen begannen. Sie wandten sich Motiven der eigenen Umgebung zu: «naer’t leven» (nach dem Leben) wurde zum obersten Prinzip des neuen, naturnahen Stils.

Im Zentrum steht die entscheidende Phase des Umbruchs, die mit einer einzigartigen, im aufstrebenden holländischen Kunstzentrum Haarlem um 1615 entstandenen Werkreihe dokumentiert werden kann. Neben den Landschaftsfolgen von Jan van de Velde II (1593–1641) ist der berühmte Esaias van de Velde (1587–1630) mit bahnbrechenden frühen Zeichnungen und Radierungen vertreten. Konfrontiert mit dem gleichzeitigen Bildpaar «Sommer» und «Winter» aus der Sammlung des Kunstmuseums, belegen exakte Schilderungen unscheinbarer ländlicher Schauplätze beispielhaft die Übertragung der in der Graphik erarbeiteten neuen Lösungen in die Malerei: Die typisch holländische Flachlandschaft mit ihrem tiefen Horizont und hohen Himmel, unter dem sich auf Viehweiden und Feldwegen neben Bauernhütten alltägliches Leben abspielt, ist bildwürdig geworden.

Seit den späten 1620er Jahren schufen die Künstler der sogenannten tonalen Phase eine regelrechte Topographie ihrer holländischen Heimat im Wechsel der atmosphärischen Bedingungen von Zeit, Wind und Wetter. Eine Reihe locker ausgeführter Kreidezeichnungen mit Fluss- und Dorfansichten des ungemein produktiven Jan van Goyen (1596–1656) ist dafür ebenso repräsentativ wie die Gruppe der Zeichnungen seines Zeitgenossen Pieter Molyn (1595–1661), welche die pittoresken Motive der Dünenlandschaft ausloten.

Bedeutende Landschaftsradierungen Rembrandts (1606–1669) schliessen hier an, und bildhaft ausgearbeitete Blätter seiner Nachfolger Johannes Ruischer (um 1625 – um 1675) und Lambert Doomer (1624–1700) vertreten die typisch holländische Gattung der Panoramalandschaft.

Die Sehnsucht nach der Ferne verkörpern die südlichen Ideallandschaften der «Italianisanten», so der legendäre «Diamant» von Claes Berchem (1621/22–1683). Das nordische Pendant dazu bilden felsige Waldlandschaften mit Wasserfällen, Motive, die Allaert van Everdingen (1621–1675) von seiner Skandinavienreise nach Holland mitgebracht hat. Die nahsichtigen Baumszenerien von Jacob van Ruisdael (1628/29–1682) schliesslich setzten den Schlusspunkt, zusammen mit eindrücklichen topographischen Gebäudeansichten des Zeichners Antoni Waterloo (1609–1690).

only in german

Phantasien – Topographien
Niederländische Landschaften des 16. und 17. Jahrhunderts in Druckgraphik, Zeichnung und Malerei
Kurator: Matthias Wohlgemuth

Künstler: Johannes van Doetecum, Lucas van Doetecum, Hieronymus Cock, Hans Bol, Jan Wellens de Cock, Lucas Gassel, Hans Bol, Paul Bril, Simon Frisius, Hendrick Goudt, Jan van de Velde, Moyses van Wtenbrouck, Egidius Sadeler, Adriaen Collaert, Crispin de Passe,Herman Breckerveld, Pieter de Molyn, Herman Saftleven, Simon de Vlieger, Jan van Goyen, Claes Jansz Visscher, Hendrick Hondius, Esaias van de Velde, Cornelis Schalke, Rembrandt van Rijn, Pieter Keere, Jan Porcellis, Ludolf Bakhuizen, Lambert Doomer, Johannes Ruischer, Antoni Waterloo, Reinier Nooms (Zeeman), Jan van Almeloven, Nicolaes Berchem, Jan Both, Herman van Swanevelt, Jan Asselijn, Jan Wynants, Thomas Wyck, Visscher, Jacob van Ruisdael, Adriaen Verboom, Allaert van Everdingen